Wir leben von und mit Pflanzen und ihren Produkten. Pflanzen sind wie selbstverständlich da und bleiben als Lebewesen den meisten von uns doch erstaunlich fremd. Dabei entgeht uns ein doppeltes botanisches Drama.
Zum einen das Drama pflanzlichen Lebens selbst, mit seiner unendlichen Vielfalt an Formen und Lebensweisen. Wo wir einzelne Pflanzen sehen, verkennen wir die Netzwerke, in die sie eingebunden sind. Vieles davon geschieht im Boden, den wir als Lebensraum kaum beachten. Manche der pflanzlichen Arten haben eine Überlebensstrategie für Jahrtausende entwickelt. Der übliche Planungshorizont der gegenwärtigen Gesellschaften ist verglichen damit winzig.
Viele von uns wissen nicht einmal, dass wir nichts wissen – was auf das andere botanische Drama verweist: Wie bei der Tierwelt führt unsere Lebens- und Wirtschaftsweise zur Vernichtung pflanzlicher Lebensformen, das ist inzwischen messbar als Artensterben. Die routinierte und politisch abgesicherte Ignoranz kann dramatische Folgen für die Gattung Mensch haben – wir sind auch hier dabei, die natürlichen Grundlagen unseres eigenen Lebens anzugreifen. Die Frage unseres Verhältnisses zur Welt der Pflanzen wird damit hochpolitisch: Wie können wir aus der Anerkennung und Beachtung pflanzlichen Lebens eine Politik der Nachhaltigkeit und gelungenen menschlichen Lebens machen, sie darin integrieren?
Vielleicht braucht es eine Renaissance der solidarischen Wahrnehmung der Pflanzenwelt, eines viel weiter gefassten Zugangs zur pflanzlichen Natur.
Allerdings wird es kaum einfache Lösungen geben. Das Dilemma des Fortschritts zeigt sich, wenn für den Ausbau ressourcenschonender Energiegewinnung Lebensräume angegriffen werden, die für das Klima ebenso wichtig sind. Und die bloße technologische Aufrüstung bisheriger Produktion und Verwertung, zum Beispiel durch Gentechnik, greift eher zu kurz. Aber ohne wissenschaftliche und technologische Entwicklungen wird es auch nicht gehen.
Das zeigt sich schon da, wo wir eine lange Geschichte der Nutzung von Pflanzen haben, in der Land- und Forstwirtschaft. Die hochproduktive industrialisierte Landwirtschaft ist bereits Opfer des Klimawandels und gleichzeitig Teil des Problems. Wie können hier andere Produktionsweisen und kooperativere Verwertungsketten Anregungen für eine Neuorientierung geben? Wie können die Erfolge dabei auch für weniger kaufkräftige Menschen zugänglich werden?
Die drängenden Fragestellungen reichen tiefer: Wie können die ökologischen Kosten effektiver in die globalen Preisbildungen aufgenommen werden? Welche Zwecke sollen im Umgang mit der Natur vorrangig gelten, wo und wie wird das verhandelt, wer entscheidet und kontrolliert das nach welchen Kriterien und Regeln? Wie könnten dabei pflanzenethische Grundsätze für die Abwägung der widersprüchlichen Interessen und Positionen aussehen und gesellschaftlich verankert werden?
Leben ist Zusammenleben, auch mit der Pflanzenwelt. Wir müssten es wacheren Sinnes tun.