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„Ich klebe mir gern falsche Wimpern an, damit die Message rüberkommt“

Um Thailands König kritisieren zu können, floh der Professor Pavin Chachavalpongpun nach Japan und gründete eine der größten Facebook-Gruppen der Welt

Pavin Chachavalpongpun

Für viele junge Thailänder*innen ist Pavin Chachavalpongpun der König ihres Landes – und nicht Amtsinhaber Maha Vajiralongkorn. Bei den andauernden Protesten für mehr Demokratie und Reformen der Monarchie wird Chachavalpongpuns Bild goldgerahmt durch die Straßen getragen. Der Professor (Politik und internationale Beziehungen an der Universität Kyoto) hat im April 2020 die Facebook-Gruppe „Royalist Marketplace“ gegründet, die mit 2,2 Millionen Mitgliedern zu den größten Facebook-Gruppen der Welt gehört und als Initiationsort für die großen Proteste gesehen wird, die ein paar Monate später begannen.

fluter.de: Wenn man gerade nur deutsche Nachrichten verfolgt, wüsste man gar nichts von einer Demokratiebewegung in Thailand. Wird denn noch protestiert?

Pavin Chachavalpongpun: Ja, allerdings etwas weniger: Thailand hat eine neue Covid-Welle erreicht, und vier Anführer unserer Protestbewegung wurden wegen Artikel 112, einem strengen Majestätsbeleidigungsgesetz, festgenommen. In den aktuellen Protesten wird fast ausschließlich ihre Freilassung gefordert. Es fehlen die Forderungen, die die Menschen mal inspiriert haben, auf die Straße zu gehen.

Was waren das für Forderungen?

Die Auflösung des Parlaments, eine neue Verfassung, eine Reform der Monarchie, strenge Grenzen für Maha Vajiralongkorn.

Der König verbringt viel Zeit in Deutschland. Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 stieg er länger in einem Luxushotel in Garmisch-Partenkirchen ab, später in seiner Villa am Starnberger See. Viele Thailänder*innen sind enttäuscht, dass er sein Land mit der Corona-Krise allein lässt, um im Ausland sein luxuriöses Privatleben zu genießen.

Die Protestbewegung hat ihn deutlich kritisiert. Diese wichtigen Forderungen rücken in den Hintergrund, weil die Öffentlichkeit durch die Pandemie weniger über die Monarchie redet. Das spielt dem Regime in die Hände.

Der König hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr Macht verschafft, obwohl Thailand auf dem Papier eine konstitutionelle Monarchie ist. Er arbeitet eng mit dem Militär zusammen, kontrolliert persönlich die königlichen Finanzen und lässt Menschen, die ihn kritisieren, für Jahrzehnte wegsperren. Leben Sie deswegen im Exil?

Ja, und das schon seit 2014, als der letzte Militärputsch stattfand. Ich wurde damals abgemahnt, weil ich das Militär und die Monarchie öffentlich kritisiert hatte. Als ich mich weigerte zu schweigen, erließen sie einen Haftbefehl gegen mich und nahmen mir den Pass weg. Seitdem lebe ich in Kyoto.

Ihre Facebook-Gruppe „Royalist Marketplace“ wird von der Regierung genau beobachtet und war in Thailand zwischenzeitlich gesperrt. Wieso?

„Royalist Marketplace“ ermöglicht eine öffentliche Diskussion über die thailändische Monarchie. Dort tauschen Hunderttausende Menschen ihre Ideen zur Reform der Monarchie aus und organisieren ihre Proteste.

„Reiner Onlineprotest führt nirgendwo auf der Welt zu politischen Reformen“

Das wäre sonst im Land kaum möglich – oder gefährlich. Ist der Protest im Internet am Ende sogar effektiver als der auf der Straße?

Beide Protestformen funktionieren nicht für sich allein. Sie gehen heute Hand in Hand: Im Internet mobilisieren sich die Menschen, das ist eine wichtige Voraussetzung für den physischen Protest. Aber reine Onlineproteste führen nirgendwo auf der Welt zu politischen Reformen.

Worüber diskutieren die Menschen in der Gruppe?

Über alles, was das Königshaus betrifft. Wir posten zum Beispiel Bücher oder Artikel, die sich kritisch mit der Monarchie auseinandersetzen. Wir machen Witze oder reden über die neuesten Gerüchte und Skandale des Königs. Wir fordern unser Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Selbstbestimmung und auf Gleichberechtigung ein. Ich selbst bin queer, deshalb setze ich mich besonders für LGBTQ-Rechte ein. Jede Gesellschaft, die sich demokratisch und frei nennt, muss die Rechte ihrer Minderheiten respektieren. Und die Gruppe dient mir auch als Plattform für meine TikTok-Videos, in denen ich thailändische Tagespolitik, wie zum Beispiel Gewalt bei den Protesten oder die Zweithochzeit des Königs, kommentiere.

Dabei kleben Sie sich auch mal falsche Wimpern an.

Die meisten denken, Akademiker sitzen immer im Seminar, lesen und schreiben Bücher. Ich sehe das anders. Ein Akademiker muss Grenzen austesten, eine öffentliche Diskussion anregen. Dafür probiere ich Dinge aus. Ich lege gern eine Performance hin, singe Lieder oder klebe mir falsche Wimpern an, wenn die politische Message so besser rüberkommt. Nicht jeder versteht akademische Sprache. Viele junge Menschen in Thailand studieren nicht. Mir ist es wichtig, alle zu erreichen.

Das scheint zu funktionieren. Ihre TikTok-Videos sind beliebt, vielleicht weil sie überdreht und sarkastisch sind, aber immer hochpolitisch. Seit ein paar Wochen sind Sie auch auf Clubhouse. Geht es da genauso lustig zu?

Nein, wir führen dort eher seriöse Diskussionen über die Monarchie. Ich rede zum Beispiel darüber, was es für Thailand bedeutet, dass der König Maha Vajiralongkorn im Ausland – in Deutschland – lebt. Clubhouse ist für mich gerade die interessanteste Plattform, weil die Kommunikation so unvermittelt ist. An manchen Abenden spreche ich live mit 50.000 Personen.

Seine Dissidenz: Pavin Chachavalpongpun wagt Kritik am thailändischen König. Seit einigen Jahren lebt er deshalb in Kyoto

Was ist mit denen, die anderer Meinung sind? Bekanntlich gibt es in Thailand ja auch viele Anhänger der Monarchie, die Royalisten, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist.

Die Teilnehmer bei Clubhouse sind überwiegend junge Menschen, die sich Veränderung wünschen, also grundsätzlich eher meiner Meinung sind. Die Royalisten finden sie meist in der älteren Generation, den Eltern der Protestant*innen und im Militär, das das Land kontrolliert. Die thailändischen Proteste spiegeln auch einen Generationenkonflikt wider.

Wollen Sie irgendwann zurück nach Thailand?

Natürlich. Das würde bedeuten, dass Thailand sich zum Guten verändert hat.

Titelbild: TikTok

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