Gendermedizin und Sprachkonstrukte, Sextoys und Frauenrollen in der Literatur – auf rund 300 Seiten prangert die in Köln lebende Journalistin, freie Autorin und Podcasterin Rebekka Endler Produktdesigns und Raumplanung als ungerecht an. Die schiere Menge an Beispielen, bei denen Frauen laut ihrem Sachbuch „Das Patriarchat der Dinge – Warum die Welt Frauen nicht passt“ in irgendeiner Form übersehen und benachteiligt werden, ist beachtlich. Vier Beispiele:
1. Griff ins Klo
Weniger sichtbar als die meisten Hürden, aber nach drei Kaffees auch dringlich ist die ausbaufähige Anzahl von Toiletten für Frauen. Die Kapazitäten sind im Schnitt geringer. Ein Beispiel aus dem Buch: „Wenn auf 20 m2 im Männer-WC zwei Sitzklos und sechs Urinalplätze passen, sind es bei den Frauen vielleicht nur vier Sitzklos. Also 8:4 für die Männer.“ Diese Ungleichheit ist nicht nur Gründungsmythos von Bewegungen wie „Potty Parity“, die sich für gleich viele öffentliche Toiletten für Männer und Frauen einsetzt, sondern auch Anlass zur Findung von Lösungen. Eine solche könnte ein „Urinal für Frauen“ sein, allerdings ist es wohl aus anatomischen Gründen nicht so einfach, dieses ähnlich platzsparend zu bauen wie ein Männerurinal. Ein Vorteil wäre aber, dass sich Frauen dann nicht mehr zum Pinkeln hinsetzen müssten – viele empfinden das ohnehin als unhygienisch und vermeiden schon jetzt den direkten Kontakt bei öffentlichen Toiletten.
2. Sexistische Crashtest-Dummys
An Männern orientiertes Design kann für Frauen nicht nur kostspielig, sondern auch bedrohlich sein: Ein altbekanntes Beispiel sind Sicherheitstests in der Automobilindustrie. Dort kommen seit vielen Jahrzehnten hauptsächlich Crashtest-Dummys zum Einsatz, deren Körpergröße, -form, und -gewicht sich an einem Durchschnittsmann orientieren. Erst Ende der 1990er-Jahre wurde überhaupt damit begonnen, auch Unfälle mit Dummys zu simulieren, die an Durchschnittsgrößen von Frauen angepasst sind. Diese weisen allerdings bei weitem nicht alle, wie Endler es nennt, „Eigenheiten des cis-weiblichen Körpers“ auf. So würde beispielsweise die unterschiedliche Verteilung von Fett und Muskeln oder der unterschiedliche Abstand der Wirbel nicht berücksichtigt. Die Dummys sind somit nur kleinere Männer. Überhaupt sei in der EU nur bei einem von fünf Crashtests für die Zulassung neuer Automodelle ein weiblicher Dummy vorgesehen – und bei dem werde der Dummy auf den Beifahrerplatz gesetzt. Die Folgen können fatal sein, wie eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 nahelegt, bei der die Forschung zum ersten Mal empirische Zahlen zur Verletzungsgefahr nach Geschlecht analysierte: „Eine angeschnallte Fahrerin, die in einen Unfall verwickelt ist, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit verletzt als ein angeschnallter Fahrer identischer Größe, identischen Gewichts und identischen Alters, der in einen identischen Unfall verwickelt ist. Bei leichteren Verletzungen ist das Risiko sogar um 71 Prozent höher.“
Eine Studie, die zwei Jahre später erschien, belegte obendrein, dass eine Frau, die in einen Autounfall verwickelt wird, mit einer 17 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit stirbt als ein Mann. Schon vor einigen Jahren wurde ein Prototyp eines Crashtest-Dummys entwickelt, der einer durchschnittlichen Frau entsprach: „EvaRID“. Die Schwedin Astrid Linder, die den Dummy mit ihrem Team entwickelt hat, bot diesen auch kommerziell an. Bisher wird allerdings nirgendwo damit getestet.
3. Auf kleinem Fuß
Dass Fußball immer noch als Männerdomäne gilt, zeigt sich daran, dass vieles bei der Entwicklung eines eigenen Fußballschuhs für Frauen noch am Anfang steht – und das, obwohl ein schlecht passender Schuh einen erheblichen Einfluss auf das Verletzungsrisiko hat. Doch es gibt Hoffnung: Endler schildert im Buch das Beispiel der Firma IDA Sports, die das Problem als eine der Ersten erkannt hat. Das lag auch daran, weil eine eigene Erhebung der Co-Gründerin Laura Youngson ergab, dass 75 Prozent der Frauen im Amateur- und Profibereich mit Männer- bzw. Kinderschuhen Fußball spielen. Nach viel Pionierarbeit, etwa bei der Entwicklung von passenden Leisten für Frauenmodelle, verkauft der Hersteller nun „the world’s first female-specific football boots“ – für stolze 155 Euro.
4. Fahrradsättel für Vulvas
Die britische Profiradsportlerin Hannah Dines sagte einmal: „Having a vagina means having pain.“ Dines fuhr zahlreiche Erfolge auf dem Fahrrad ein und nahm 2016 an den Paralympics in Rio beim Dreiradrennen teil – unter großen Schmerzen. Grund dafür war das Design des Fahrradsattels, das „an männliche Hintern und Genitalien angepasst“ sei, wie Endler in ihrem Buch schreibt. Die Folgen führten bei Hannah Dines zu chronischen Entzündungen und Verhärtungen im Unterleib; sie musste an der Vulva operiert werden. 2019 schrieb sie im „Guardian“ darüber, woraufhin auch viele Kolleginnen ihre Erfahrungen teilten.
Man wisse noch gar nicht, wozu Frauen, die Radfahren als Leistungssport betreiben, fähig sind, glaubt Endler. Dazu müsse man das Rad mit viel Geld und Zeit erst mal neu erfinden. Individuelle Sättel aus Carbon, die mithilfe eines 3-D-Druckers hergestellt werden, könnten in der Zwischenzeit zumindest teilweise Abhilfe schaffen. Sie sind aber sehr teuer. Vor wenigen Jahren veröffentlichte zudem ein großer Fahrradhersteller vier verschiedene Sättel in zwei bis drei Breiten für Mountain- und Gravel-Bikes sowie Rennräder speziell für Kundinnen. Werbeslogan: „Your vagina will thank you“.
Titelbild: Renke Brandt