Vor vier Monaten hat das Militär unsere Demokratie gestohlen. Ich erinnere mich genau: Am 1. Februar bin ich gegen acht Uhr in meiner Wohnung in Yangon aufgewacht. Wie immer checkte ich erst einmal mein Smartphone – aber irgendwie ging das Internet nicht. Da wusste ich: Etwas stimmt nicht. Meine Mutter sagte: „Das Militär hat die Macht übernommen.“
Im Fernsehen wurde verkündet, dass die regierenden Politiker verhaftet worden seien. Schon in den Wochen vorher wurde überall von einem Putsch gesprochen. Dass ich gerade wirklich einen erlebe, habe ich aber lange nicht begriffen.
Nach dem Putsch blieben die meisten mehrere Tage lang zu Hause und verfolgten die Nachrichten. Am 5. Februar schaltete das Militärregime dann gleich für eineinhalb Tage das Internet ab. Damit begannen die Proteste. Zuerst waren es vor allem junge Leute, die gegen die Internetsperre protestierten. Junge Menschen sind in Myanmar wie überall auf der ganzen Welt: immer online. Dass ihnen einfach genommen wird, was so selbstverständlich ist und ihren Alltag bestimmt, hat viele verärgert.
Als das Netz wieder lief, wurden über die sozialen Medien Proteste organisiert. Immer mehr traten den Gruppen und Veranstaltungen bei. Sie forderten, dass die demokratische Regierung zurückkehrt, dass alle inhaftierten Demonstrierenden freigelassen werden. Daraufhin blockierte das Militär Facebook, Twitter und Instagram.
Ich selbst habe auch protestiert. Einmal waren wir gerade eine halbe Stunde auf der Straße, als Sicherheitspersonal anrückte und das Gebiet um uns herum abriegelte. Wir versteckten uns in umliegenden Häusern, ich blieb die ganze Nacht. Das war am 8. März, dem Internationalen Frauentag. Bei diesem Protest hatte ich das erste Mal Angst. Es war bis heute mein letzter.
Viele Protestierende werden verhaftet, manche sogar erschossen. Bislang sollen mehrere Hundert ums Leben gekommen sein. Nachts führt das Militär Razzien in Privatwohnungen durch. Manchmal verhaften sie Menschen allein aufgrund des Verdachts, dass sie mit der Protestbewegung sympathisieren. Vor ein paar Tagen hat das Sicherheitspersonal meinen Nachbarn geholt. Sicher fühlt sich hier niemand mehr.
Produktiv bin ich gerade nicht. Das will ich auch nicht sein, allein schon, um diese Ausnahmesituation nicht als neue Normalität hinzunehmen. Ich saß für Wochen nur zu Hause rum und hab mich gefragt, was ich noch für Myanmar tun kann, jetzt, wo Protestieren zu gefährlich ist.
Ich arbeite wissenschaftlich zu Gewalt gegen Frauen, ein paar meiner Projekte haben zu einem Entwurf für ein großes Gesetz geführt. Es sollte Gewalt gegen Frauen in Myanmar endlich unter Strafe stellen. Durch den Putsch liegt das Gesetz komplett auf Eis. Dafür versuche ich jetzt, Übergriffe gegen Protestlerinnen zu dokumentieren. Manche werden von Sicherheitskräften brutal verprügelt oder sexuell belästigt.
Gerade haben die Vereinten Nationen gewarnt, Myanmar könne zum failed state werden. Uns droht ein Bürgerkrieg, aber das ist schon seit Jahrzehnten so. Wir haben 135 anerkannte ethnische Minderheiten in Myanmar, ich selbst gehöre zu den Rakhine. Die Konflikte zwischen Militär und Zivilisten eskalieren vor allem dort, wo viele ethnische Minderheiten leben. Die jungen Menschen in Myanmar glauben kaum daran, dass das alles ein gutes Ende nimmt. Sie sind hoffnungslos, glauben nicht mehr an internationale Unterstützung. Die Vereinten Nationen haben Worte für uns, aber sie tun nicht genug.
Aye Thiri Kyaw hat Gesundheitswissenschaft studiert und setzt sich für Frauenrechte ein. Sie lebt in Yangon, der größten Stadt Myanmars
Titelbild: NYT/Redux/laif