Das Heft – Nr. 80

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Ohne alles bitte!

Obst in Plastikschalen, jeder Keks in Folie eingeschweißt: Wir produzieren immer mehr Verpackungsmüll. Unverpacktläden, wie die von Olga Witt, wollen das ändern. Ein Besuch

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Unverpackt

Im Laden riecht es nach Seife, Kaffee und frischem Brot – je nachdem, in welcher Ecke man gerade steht. Doch das, was es hier gibt, ist nicht das Besondere. Vielmehr das, was es nicht gibt: Verpackungen. Stattdessen lagern Haferflocken, Nudeln und Bohnen in großen Behältern in den Regalen. Toilettenpapier, Seife und andere Kosmetikprodukte liegen lose zum Mitnehmen bereit. Ein junges Pärchen betritt den Laden, aufmerksam lesen beide die Anleitung, die neben der Tür hängt. Der Zettel ist kurz, denn das Prinzip ist eigentlich einfach: Die Kunden füllen sich aus den großen Behältern die gewünschte Menge in wiederverwertbare Gefäße und Tragetaschen ab – also in Dosen, Gläser oder Stoffbeutel. Wer keine eigenen dabeihat, kann sich vor Ort welche ausleihen. An der Kasse wird dann alles gewogen, wobei das Eigengewicht der Behälter abgezogen wird. Ein kleiner Plausch beim Bezahlen? Ausdrücklich erwünscht – man setzt hier auf eine persönliche Atmosphäre.

Viele Verpackungen bestehen aus mehreren Schichten, die sich kaum voneinander trennen lassen

Der Unverpacktladen im Kölner Stadtteil Nippes heißt „Tante Olga“, gegründet wurde er von Olga Witt – einer zierlichen dunkelblonden Frau mit freundlichem Lächeln. Sie möchte ihren Kunden eine Alternative zum klassischen Supermarkt bieten: „Mittlerweile ist dort jede einzelne Gurke noch mal extra in Plastik eingeschweißt. Dadurch produzieren wir unfassbar viel Müll beim Einkaufen.“ Tatsächlich steigt der Verpackungsabfall stetig an. Laut Umweltbundesamt waren es 2018 in Deutschland bereits 18,9 Millionen Tonnen. Das liegt nicht nur daran, dass wir immer mehr konsumieren, sondern auch daran, wie wir es tun: Kaffee im To-go-Einwegbecher, Fertigsalat in der Plastikverpackung und abends noch eine Pizza vom Lieferdienst. Viele Verpackungen bestehen zudem aus mehreren Schichten, die sich kaum wieder voneinander trennen lassen.

Dabei sind Verpackungen nicht per se schlecht und haben sogar Vorteile. Sie schützen die Produkte beim Transport und vor Keimen. Außerdem sorgen sie dafür, dass Lebensmittel länger haltbar bleiben. Um das „Kondom“, das sich um manche Gurke schmiegt, gibt es einen regelrechten Gelehrtenstreit. Die einen finden es vernünftig, weil es die Gurke vor dem schnellen Vergammeln schützt – also Bioabfall spart –, für die anderen ist es der Gipfel der Plastikkultur.

„Es war wie eine Offenbarung, zu merken: Hey, es geht auch anders“

2013 las Olga Witt zufällig von Bea Johnson in den USA, die mit ihrer Familie nach dem sogenannten Zero-Waste-Prinzip lebt. Sie versuchen also, möglichst wenig Rohstoffe zu verschwenden. Nach eigenen Angaben produziert Johnsons Familie nur einen kleinen Behälter Müll pro Jahr. Olga beeindruckte das so sehr, dass sie kurzerhand beschloss, ihr Leben komplett umzukrempeln: „Es war wie eine Offenbarung, zu merken: Hey, es geht auch anders“, erinnert sie sich heute.

Mittlerweile ist Olga selbst ein Vorbild. Sie hat zwei Bücher geschrieben, einen Onlineshop, zwei Tante-Olga-Unverpacktläden eröffnet und berät Unternehmen und Privatpersonen, die sich für Zero Waste interessieren. Ihr wichtigster Tipp: „Dort anfangen, wo es dir am leichtesten fällt“, zum Beispiel einen Stoffbeutel zum Bäcker mitnehmen oder Leitungswasser trinken, statt es in Plastikflaschen zu kaufen. Danach kann man sich Schritt für Schritt steigern.

Zero Waste bedeute aber nicht, dass es null Müll gebe, sagt Olga. „Dieser Zustand ist in unserer Gesellschaft nicht möglich. Zero Waste ist eher ein Streben dahin, also so wenig Verschwendung wie möglich.“ Auch ein Unverpacktladen kommt nicht ganz ohne Verpackungen aus. Denn entscheidend ist die gesamte Wertschöpfungskette – das heißt nicht nur, wie ein Produkt verkauft wird, sondern auch, wie es produziert und transportiert wird. Ein großes Hindernis auf dem Weg zu weniger Müll ist die auf intensive Nutzung von Verpackungen ausgelegte Logistik in der Lebensmittelbranche. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsprojekt an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Noch seien die Unverpacktläden ein Nischenmarkt. Wenn die Nachfrage steige, könnte das aber die Hersteller motivieren, ihre Produktionsprozesse umzustellen.

Menschen wie Olga geht es aber vor allem um einen Bewusstseinswandel

Doch Verpackungen sind nur ein Teil des Problems. Laut Umweltbundesamt verursachen die Produkte selbst meist eine viel größere Umweltbelastung. Neben dem Weglassen von Verpackungen verkaufen Unverpacktläden daher möglichst regionale Produkte in hochwertiger Bioqualität, um die Umwelt zu schonen. Deswegen sind die Preise dort auch höher als in klassischen Supermärkten oder Discountern. „Zu dem Preis, zu dem in Deutschland Lebensmittel im Supermarkt verkauft werden, können sie nicht nachhaltig produziert werden“, sagt Olga. Zu dem häufig angeführten Argument, dass sich nun mal nicht alle Menschen nachhaltige Produkte leisten können, hat sie eine klare Meinung: „Das ist natürlich auch eine politische Entscheidung, welche Produkte oder welche Form der Landwirtschaft wir subventionieren.“

Ob sich das Konzept der Unverpacktläden langfristig und für die breite Masse durchsetzt, wird sich zeigen. Aktuell scheint es zumindest mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu geben. Der Berufsverband Unverpackt e. V. zählt in Deutschland bereits über 442 Unverpacktläden. Tendenz steigend. Auch einige Bioläden und vereinzelt konventionelle Supermärkte bieten einen Teil ihrer Ware inzwischen unverpackt an.

Menschen wie Olga geht es aber vor allem um einen Bewusstseinswandel. Sie hat gemerkt, dass im Verzicht ein Zugewinn an Freiheit steckt. Kein ständiges Kaufenmüssen, keine Berge von Müll, um die man sich kümmern muss, kein schlechtes Gewissen, weil man die Umwelt zerstört. Bei Olga merkt man: Weniger kann viel mehr sein.

Titelbild: Victoria Jung

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.