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Instagram kann Spaß machen, aber auch Druck. Während unsere Autorin im Bett liegt und scrollt, machen andere scheinbar die große Karriere. Ein Vorschlag zum entspannteren Umgang mit der App

Instagram

Fast jede*r in meiner Altersgruppe nutzt soziale Medien. Instagram beeinflusst mittlerweile unsere Freundschaften, Interessen, politischen Meinungen, unsere Ästhetik und sogar die eine oder andere Karriere. Wir vertrauen Instagram als Inspirationsquelle blind, vergleichen uns mit anderen, ohne dabei zu fragen: Wie viel davon ist Sein und wie viel Schein? Ich kann diese App aus meinem Leben kaum noch wegdenken. Sie leistet lebensnahe Dienste, vermittelt WG-Zimmer und organisiert Umzüge. Man kann mit ihr sogar Gutes tun und zum Beispiel gemeinnützige Projekte unterstützen. Und dann ist Instagram natürlich die Plattform, auf der Leute zeigen, wie schön bei ihnen gerade die Sonne aufgeht. Während mir das eigene Leben manchmal ziemlich grau vorkommt. Wenn ich mir diese Bilder ansehe, packt mich das Fernweh. Ein kleiner Schmerz, ausgelöst durch einen einzigen Scroll. Und ich frage mich: Warum tue ich mir das an?

In dieser virtuellen Welt vergleiche ich mich ständig mit meinen Freund*innen und Bekannten, also mit den Menschen, die ich auch im echten Leben kenne und deren Internetpräsenz mich dennoch einschüchtert. Denn: Sich über Instagram mit anderen zu vergleichen ist um einiges schädlicher für die Psyche als der Vergleich im real life.

„Der Mensch ist ein soziales Wesen und daher von Natur aus darauf konditioniert, sich mit seinem Umfeld zu vergleichen“

Julia Brailovskaia kennt das Phänomen. Sie ist Dozentin an der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum und forscht zum Zusammenhang zwischen Mediennutzung, Persönlichkeit und psychischer Gesundheit. „Der Mensch ist ein soziales Wesen“, sagt sie, „und daher von Natur aus darauf konditioniert, sich mit seinem Umfeld zu vergleichen und daraus zu lernen.“ Doch in der Onlinewelt gebe es noch viel mehr Referenzen. Fast 30 Millionen Deutsche nutzen Instagram, etwa 500 Millionen Menschen weltweit sind täglich auf Instagram aktiv. Zig Millionen Vergleichsobjekte, gegen die man nur verlieren kann, weiß Brailovskaia: Auf Instagram finde eine „genau durchdachte Selbstpräsentation“ statt. Fortwährend poppen Idealbilder der anderen auf, und schon hat man sich wieder mit ihnen verglichen, ohne es zu bemerken. Nur vergleichen wir dabei unser echtes Leben mit den kleinen, genau ausgewählten und wahrscheinlich in den meisten Fällen besonders eindrucksvollen Ausschnitten aus den Leben der anderen. „Das hat gravierende Folgen auf unsere psychische Verfassung“, sagt die Psychologin.

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Bitte mal auffallen: Für seine Arbeit „Greek Summer“ hat Marco Arguello auf der griechischen Insel Santorini fotografiert – wie zeitgleich Tausende Touristen

Wenn ich morgens auf Instagram durch meinen Feed stöbere, bleibe ich bei einzelnen Posts hängen: Ein Kumpel von mir hat einen neuen Song rausgebracht. Eine Freundin repostet in ihrer Story das Announcement zu einem Magazin von Bekannten, das unter anderem ihre Fotografien zeigen wird. Ich liege im Bett und habe heute noch gar nichts geleistet. Ich weiß schon: Ich befinde mich offensichtlich in einer Kreativbubble, aber bestimmt kennt jede*r Instagram-Nutzer*in diesen Frust, wenn das Leben aller anderen einfach perfekt wirkt, das eigene aber gerade irgendwie nicht rundläuft.

Abends in der Stammkneipe werde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dort rücken alle mit ihren echten Krisen heraus, ich fühle mich plötzlich verstanden. Bis ich dann am nächsten Morgen Instagram öffne – und mir wieder faul und unfähig vorkomme. Warum also nicht einfach mal den Stecker ziehen? Obwohl wir wissen, wie gut es tut, mal ein paar Tage Abstand von der Bilderflut zu nehmen, bleibt kaum jemand dauerhaft abstinent. Ich befinde mich täglich im Zwiespalt: Sollte ich nicht doch noch viel aktiver auf Instagram werden oder meinen Account ganz einfach löschen?

Warum Instagram nicht einfach mal abschalten?

Neben dem suchtartigen Verhalten, das wir mehr oder weniger beiläufig – und fast ohne es zu bemerken – entwickeln, entsteht bei vielen eine fear of missing out, die bekannte FOMO, was laut Psychologin Brailovskaia Auswirkungen auf unseren gesamten Körper haben kann: Man wird unruhig und kann sich nicht mehr konzentrieren.

Ein Problem meiner Generation?

Man nennt uns die Kinder der Jahrtausendwende, die Gen Z, die Generation iGen oder die Digital Natives. Vielleicht waren wir die Letzten, die noch unbewacht im Sandkasten spielen durften oder im Kindergarten sogar bei Regen und Minustemperaturen Ausflüge in den Wald machten. In meiner Kita gab es sogar sogenannte „spielzeugfreie Wochen“, damit wir lernten, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Später waren wir plötzlich die ersten Jugendlichen, die sich mit einem Smartphone im digitalen Selbstdarstellungskosmos bewegten. Unser Anspruch an uns selbst ist dadurch enorm: Es scheint so, als würde uns die Welt zu Füßen liegen. Wir wollen alles erreichen, was möglich ist, weil wir es können. Wir können über Nacht berühmt werden, ohne die eigenen vier Wände zu verlassen. Das hätte schon bei den sogenannten Millennials angefangen, sagt Brailovskaia. Instagram öffnet Türen, aber es führt anscheinend – nicht nur bei mir – auch zur totalen Überforderung.

Wir sind auch die Generation Multitasking, wir machen alles zugleich. Während wir mit Freund*innen ein Feierabendbier am Späti trinken, fragen wir auf WhatsApp schon die Nächsten nach den weiteren Plänen für den Abend, posten Schnappschüsse in unseren Storys und liken hier und da ein Bild. Psychologin Brailovskaia nennt das: „Alles und nichts“. Mit tausend Dingen gleichzeitig beschäftigt sein, aber mit nichts richtig. „Unsere Aufmerksamkeitskapazität ist begrenzt, und das bedeutet: Entweder 100 Prozent Konzentration für eine Sache oder 20 Prozent hier und da.“

Warum also nicht einfach abschalten? Das Problem ist, dass Instagram nicht nur die Abendgestaltung beeinflusst, sondern inzwischen auch tief in der Berufswelt verankert ist. Meine Schwester berichtete mir vor ein paar Tagen, sie habe das Gefühl, den ersehnten Galeriejob nur deshalb nicht bekommen zu haben, weil sie nicht genügend Follower, also keine ausreichende Reichweite hätte. In manchen Branchen kommt es anscheinend nicht mehr nur auf ein abgeschlossenes Studium und Vorerfahrungen an, es ist auch wichtig, dass man bereits ein breites Publikum mitbringt. „Instagram Recruiting“ nennt man das, und immer mehr Unternehmen setzen jetzt auf die Methode, ihre Mitarbeiter*innen via Instagram auszuwählen. Eine laut der Expertin unsinnige Herangehensweise, die zeige, dass der jeweilige Arbeitgeber auf falsche Werte setze und Selbstpräsentation über echte Kompetenzen stelle.

Immer wieder denke ich an meine Kindergartentage zurück: Wenn uns die Erzieher*innen das Spielzeug wegnahmen, bereitete sich erst mal eine destruktive Langeweile aus. Ich war sauer, bockig, stritt mich mit den anderen und wusste mit mir selbst nichts anzufangen. Doch nach einer Weile wurde eine Art Schalter umgelegt, und wir begannen, anders und ganz neu zu spielen. Wir verkleideten uns eine Woche lang als Indianer*innen und bauten Tomahawks. Kehrte das Spielzeug dann zurück, brauchten wir es kaum mehr. Trotzdem freuten wir uns, dass es wieder da war. Wäre es nicht gut, wir könnten Instagram wieder wie ein lieb gewordenes, aber manchmal auch ziemlich überflüssiges Spielzeug betrachten?

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