fluter.de: Während wir uns zum Gespräch treffen, brennt rund um den Brocken im Harz der Wald. 2022 war in dieser Hinsicht ein Rekordsommer, europaweit sind bis Anfang September knapp 750.000 Hektar verbrannt. Experten sehen in der Katastrophe aber auch eine Chance. „Waldumbau“ ist das Stichwort. Teilst du diese Einschätzung?
Fee Brauwers: Ein Waldbrand ist immer eine Katastrophe. Punkt. Und beim Gebiet rund um den Brocken handelt es sich um einen Nationalpark, in dem Prozessschutz betrieben wird. Das bedeutet, der Wald wird weder genutzt noch umgebaut. An sich ist an dem Argument mit dem Waldumbau aber etwas dran …
Was genau ist mit Waldumbau überhaupt gemeint?
Nun, es ist so, dass wir in Deutschland viele Wälder mit einer Fichtenmonokultur haben. Da steht nichts anderes. Das ist unter anderem den Weltkriegen geschuldet: Rohstoffe waren dringend benötigte Mangelware, und Fichten liefern verhältnismäßig schnell gutes Holz. Sie können außerdem einfach auf Freiflächen wachsen. Aber Monokulturen sind unausgewogen und anfällig. Mischwälder sind widerstandsfähiger – gegen Schädlinge und den Klimawandel. Also muss Monokulturwald umgebaut werden hin zu mehr Vielfalt. Leider passiert dieser Umbau in Deutschland viel zu langsam. Und ob der Klimawandel uns genug Zeit lässt, ist fraglich. Insofern kann ich den Bränden auch etwas Gutes abgewinnen.
Der Klimawandel, der die Wälder bedroht, ist menschengemacht. Andererseits streben auch junge Menschen wieder in den Wald, sehnen sich nach Entschleunigung und unbeschwerter Zeit in der Natur. Wie sieht ein schonender, rücksichtsvoller Waldtourismus aus?
Ich bin grundsätzlich fest davon überzeugt, dass es uns allen besser gehen würde, wenn wir jede Woche mindestens zwanzig Minuten im Wald wären. Für das eigene Walderlebnis empfehle ich, das Handy zu Hause zu lassen, nicht zu schnell zu laufen, sich umzuschauen oder sogar eine Führung vom örtlichen Forstamt mitzumachen. Auch abseits der Wege zu gehen ist reizvoll – solange wir dabei nicht vergessen, dass wir uns im Wohnzimmer unzähliger Tiere und Pflanzen befinden. Es ist wichtig, wach dafür zu sein, ob an der Stelle, wo ich meinen Fuß hinsetzen möchte, vielleicht gerade eine junge Pflanze steht. Denn da wächst unsere Zukunft!
Beim Zuhören spürt man, wie stark du mit dem Wald verbunden bist – wie sehr du ihn schätzt, wie sehr du um ihn fürchtest. Woher kommen deine Begeisterung und dein Engagement für den Wald?
Ich bin auf dem Land groß geworden, am Niederrhein, und habe schon als Kind viel Zeit im Freien verbracht. Drinnen hatte ich immer das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Wir hatten Schafe. Mit denen bin ich zur Eisdiele gelaufen und habe uns was gekauft. Mir ein Eis, denen eine Waffel. Garten, Wiese und Wald waren einfach mein Kinderzimmer.
War es da die einzig logische Folge, zunächst Forst- und dann Holzwirtschaft zu studieren?
Absolut nicht. Ich bin zufällig durch einen Berufsberatungstest im Internet darauf gestoßen und habe mich auf das Studium eingelassen. Ehrlich gesagt kam ich aus einer richtigen Zauberblase: Ich träumte von einem unbeschwerten Leben als Försterin mit Hund, Pferd, Tiny House und endlosen Spaziergängen – und dann fand ich mich in Vorlesungen zu Bodenkunde, Physik und Chemie wieder und merkte, das ist echt hartes Brot. Nach fünf Jahren Studium weiß ich nun vor allem, dass ich vom Wald so gut wie gar nichts gecheckt habe, da er ein riesiges Ökosystem mit vielen stetigen Veränderungen ist. Zudem hat man als Försterin generell wenig Einfluss, weil man das Wetter, das Klima und die Gesetze nicht beherrschen kann.
„Ich jage ‚von der Kugel bis zur Gabel‘. Das heißt, ich übernehme alle Schritte vom Entfernen der Organe bis zum fertigen Gericht“
Den Einfluss hast du dafür buchstäblich als Influencerin, vor allem auf Instagram bist du aktiv. Wofür möchtest du ihn nutzen?
Es geht mir darum, den Wald ins Bewusstsein der Menschen zu holen, Aufmerksamkeit für ihn zu generieren, Diskussionen anzuregen. Mein Ziel ist nicht, Menschen von meiner Meinung zu überzeugen.
Gibt es trotzdem böse Kommentare oder Gegenwind?
Den habe ich eher beim Einstieg ins Studium gespürt – als Quereinsteigerin in der Forstszene. Die meisten Mitstudierenden kamen aus Familien mit großem Waldbesitz. Bei mir war das anders, und dann war ich auch noch eine Frau. Es brauchte ein bisschen, bis ich ernst genommen wurde. Aber Gegenwind macht ja auch stark.
Für Gesprächsstoff sorgt immer wieder auch deine Ernährungsweise. Du hast dafür das Wort „wilgan“ erfunden. Wofür steht es?
Wilgan ist die Kombination aus Wild und vegan. Ich ernähre mich eben überwiegend rein pflanzlich, da diese Ernährungsform sehr klimafreundlich ist. Das ergänze ich mit Wildfleisch wie Reh oder Wildschwein. Aber ich esse nur Fleisch, das von mir selbst geschossen wurde oder von Jägern, mit denen ich eng befreundet bin. Und ich jage „von der Kugel bis zur Gabel“, wie ich es nenne. Das heißt, ich übernehme alle Schritte, vom Entfernen der verderblichen Organe über das Auskochen der Brühe bis zum fertigen Gericht. Nur wenn ich mal keine Zeit habe, übernimmt mein Vater das. Wir helfen da einander aus.
Du hast also auch einen Jagdschein?
Genau. Für mich gehört die Jagd zur Pflege unserer kultivierten Landwirtschaft und Waldbewirtschaftung. Wildschweine fressen den Mais von den Feldern. Rehe wiederum gefährden den Waldumbau, weil sie junge Baumtriebe auffressen. Allerdings wäge ich jeden Schuss sehr genau ab. Wenn ich sehr emotional bin, ziehe ich gar nicht erst los – weder wenn es mir auffallend gut, noch wenn es mir besonders schlecht geht. Dazu schaue ich mir die Verfassung des Tieres natürlich genau an, Alter, Gesundheitszustand, Geschlecht, Nachkommen. Und im Endeffekt habe ich schon weit häufiger nicht geschossen als den Abzug gedrückt.
Das klingt wie eine Verteidigung ohne Anklage …
Vielleicht. Die wilgane Ernährung bringt mich oft in die Situation, mich erklären zu müssen. Doch im Grunde ist sie nicht mehr als meine private Entscheidung, und ich verurteile keine anderen Essgewohnheiten. Fakt ist dennoch, dass wir in einer Kulturlandschaft leben und auf einen gesunden, CO2-speichernden Wald angewiesen sind. Durch die Jagd kann ich beides schützen. Wir alle müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Konsum Folgen hat. Sei es der Lebensmitteleinkauf, die neue Handtasche oder ein Notizbuch. Bei der wilganen Ernährung kann ich diese Folgen gut überblicken. Die Tiere haben in der freien Wildbahn gelebt, sind stressfrei gestorben, und das Fleisch hat kurze Transportwege. Das schützt die Land- und Forstwirtschaft, ist klimafreundlich, gesund und – ja – es schmeckt.
Titelbild: Hojabr Riahi / BILD