Thema – Gender

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Vorbilder, No-Gos, Nippel auf Insta, Gendersternchen: Wir haben sechs Feministinnen drängende Fragen gestellt

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Was bedeutet Feminismus für dich?

Ilse:
Ich spreche eigentlich immer im Plural von Feminismen, denn die unterscheiden sich sehr. Feminismen sind für mich internationale Kritik sowohl an der Vorstellung von Geschlecht wie auch an der Gesellschaft.

Natasha:
Mein Feminismus ist intersektional, denkt also Gender, Race und Class zusammen. Er beschäftigt sich auch mit Fragen wie: Wer ist durch den Klimawandel besonders stark betroffen?

Mirna:
Feminismus ist für mich der Versuch, durch emanzipatorische Entwicklungen Mann und Frau gleichberechtigt miteinander in dieser Gesellschaft leben zu lassen.

Phenix:
Die Gleichstellung und Gleichberechtigung aller Geschlechter.

Şeyda:
Feminismus ist der Kampf für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für alle Geschlechter auf der Welt.

Anne:
Feminismus ist eine politische Bewegung und Haltung, um eine sozial gerechte Welt und ein gutes Leben für alle zu schaffen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Behinderungen, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und all diesen Identitätskategorien, die sich natürlich immer auch überschneiden und beeinflussen.

Wer ist dein großes Vorbild?

Ilse:
Ich könnte zehn Vorbilder nennen! Angela Davis und die Black Panther waren unheimlich wichtig in Deutschland in den 1970ern. Dann Yayori Matsui, eine japanische Feministin und Journalistin, die amerikanische Anarchistin und Feministin Emma Goldman, Schwarze Befreiungskämpferinnen ...

Natasha:
Audre Lorde. Weil sie sich regelmäßig in Deutschland aufhielt und die Initialzündung für die Wiederbelebung der Schwarzen deutschen Community gegeben hat.

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Phenix Kühnert
Phenix Kühnert hat bei der Geburt ein anderes Geschlecht zugewiesen bekommen – und auch einen anderen Namen. Heute ist sie LGBTQ+-Aktivistin und erklärt in ihrem Podcast, wie es ist, als Transfrau zu leben. Ihr Buch dazu heißt: „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“

Mirna:
Ich lehne Vorbilder ab und will auch selbst keines sein. Es geht mir viel mehr darum, selbst zu werden, als irgendeinem anderen nachzueifern.

Phenix:
Meine Mutter. Sie kann zu ihren Fehlern stehen und akzeptieren, dass Menschen unterschiedliche Realitäten haben.

Şeyda:
Ein Zusammenspiel aus vielem. Angefangen bei der kurdischen Befreiungsbewegung, die eine feministische Revolution ist, hin zu Schwarzen lesbischen sozialistischen Feminist*innen wie Audre Lorde oder bell hooks. Dann die kommunistischen Frauenbewegungen mit Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg, der migrantische Feminismus in Deutschland, aber auch Freund*innen, Mütter, Schwestern ...

Anne:
Schuld daran, dass ich mich selbst Feministin nenne, ist Jaclyn Friedman aus den USA. Sie betreibt Aufklärung gegen sexualisierte Gewalt. 2010 habe ich in ihrem Blog gelesen, wie Casual Dating sie nach einer Trennung in ihrer sexuellen Freiheit bestärkt hat. Das fand ich beeindruckend.

Worüber streitest du am meisten mit anderen Feminist*innen?

Ilse:
Grundsätzlich widerspreche ich bei rassistischem Feminismus, Anti-trans und allen Formen des Feminismus, die sich unsensibel und unreflektiert zu anderen Feministinnen und Denkformen verhalten.

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Natasha A. Kelly
Natasha A. Kelly will Schwarzdeutsche Geschichte sichtbar machen und ist überzeugt, dass sich Benachteiligung wegen des Geschlechts (Gender) oder der sozialen Herkunft (Class) nicht von der rassistischen Diskriminierung aufgrund eines bestimmten Aussehens (Race) trennen lassen

Natasha:
Über ihren Rassismus. Weiße Feministinnen verstecken sich gern hinter ihrer Unterdrückung als Frau, vergessen aber, dass sie in anderen Kontexten auf der Täterinnenseite stehen.

Mirna:
Care-Arbeit! Ich lehne den Begriff ab, weil ich es nicht nachvollziehen kann, warum man sein Kind zur Arbeit umdeuten muss, um dem Partner zu erklären, dass er sich hälftig am Alltag zu beteiligen hat.

Phenix:
In meinen Kreisen sind wir viel zu friedliebend, um zu streiten, wir diskutieren nur. Über die Grenzen des Genderns zum Beispiel. Ist das Wort Freundeskreis inklusiv, was ist mit Bürgersteig?

Şeyda:
Ich versuche, Menschen daran zu erinnern, was eigentlich unsere große Vision am Ende ist. Ein Beispiel: Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, und die Körper von Frauen oder Queers stehen unter ständiger Bedrohung. Ich möchte lieber eine Gesellschaft, die nicht auf einem System von Polizeikontrolle und Bestrafung beruht.

Anne:
Gerade leider am meisten über Transgeschlechtlichkeit. Für mich grenzt es an faschistisch geprägtes Denken, wenn man infrage stellt, dass trans* Personen existieren und dass sie Menschenrechte haben.

Wann hörst du auf, zu diskutieren?

Ilse:
Manchmal ist Zuhören wichtiger als Diskutieren. Wenn mir jemand Erfahrungen von Unterdrückung schildert und ich das nicht ganz nachvollziehen kann, will ich nicht diskutieren, sondern zuhören und dieser Position die Definitionsmacht lassen.

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Mirna Funk
Mirna Funk schreibt Romane und Sachbücher. Sie fordert Frauen und vor allem Mütter auf, arbeiten zu gehen – und das nicht in Teilzeit –, um sich zu emanzipieren

Natasha:
Gar nicht. Ich bin redefreudig. Traumata werden vererbt, das weiß die Psychologie inzwischen, so auch Rassismus. Er ist in unserer DNA. Also gibt es kein Ende der Debatten.

Mirna:
Ich würde alle Themen mitdebattieren und finde es wichtig, da keine Grenze zu setzen. Schluss ist natürlich, wenn ich beleidigt werde und man nicht in der Lage ist, meine Sozialisation mitzudenken. Ich bin eine ostdeutsche, jüdische Frau, und viele, auch intersektionale Feministinnen, können nicht verstehen, dass ich dadurch ein anderes Frauenbild als das westdeutsche habe.

Phenix:
Ich streite mich nicht mit Menschen, die mir meine Lebensrealität und mein Dasein absprechen. Ich diskutiere doch nicht darüber, ob es mich gibt oder nicht.

Şeyda:
Sobald ich merke, es geht dem Gegenüber nur darum, die eigene Menschenfeindlichkeit großzumachen.

Anne:
Beim Thema Transgeschlechtlichkeit irgendwann. „Wann“ ist in Zeiten von Social Media und Aufmerksamkeitsökonomie ohnehin eine klare Strategiefrage: Wem schenke ich meine Aufmerksamkeit und wie? Ist es produktiv oder generiert es nur Klicks für die gegnerische Seite?

Wie stehst du zu Frauenquoten?

Ilse:
Die Geschichte in den Parteien hat gezeigt, dass die Frauenquote notwendig ist.

Natasha:
Frauenquoten sind ein Meilenstein auf dem Weg zur intersektionalen Gerechtigkeit. Aber sie sind nicht das Ziel.

Mirna:
Schwierig. Ich wünsche mir auch mehr Frauen in hohen Positionen, gleichzeitig sind in diesem Land nur gut ein Drittel der Erwerbstätigen in Vollzeit Frauen. Wie sollen sie so in diese Positionen kommen?

Phenix:
Ich bin pro Quote, weil wir in einer Welt leben, die Frauen und andere Marginalisierte strukturell lange benachteiligt hat und noch immer tut.

Şeyda:
Es sollte besser gar keine Unternehmensvorstände geben.

Anne:
Sie sind ein notwendiges Werkzeug, dienen aber in erster Linie weißen privilegierten cis Frauen.

Was hältst du vom Gendersternchen?

Ilse:
Sterne sollten immer Hoffnung geben, nicht Verbote transportieren. Deswegen denke ich, diese Form von Sprache sollte freiwillig sein und so attraktiv, dass die anderen sie auch benutzen.

Natasha:
Ich nutze es immer und finde es sehr wichtig. Sprachveränderungen sind ein Abbild der Gesellschaftsveränderungen.

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Seyda Kurt
Seyda Kurt will „toxische Romantik“ abschaffen. Sie hinterfragt die gutbürgerliche Liebe à la „Frau findet Mann und damit das große Glück“. Auch Beziehungsmodelle, sagt Kurt, müssen gerechter werden

Mirna:
Ich benutze das generische Maskulinum, als Schriftstellerin könnte ich auch nie einen gegenderten Roman schreiben.

Phenix:
Ich bin auf jeden Fall dafür, es zu nutzen, aber die größte Freundin bin ich davon nicht. Ich denke, inklusive Sprache wird sich noch sehr verändern und weiterentwickeln müssen. Aber aktuell ist das einfach die beste Lösung, die wir haben.

Şeyda:
Ich benutze Gendersternchen, um das System der Zweigeschlechtlichkeit zu stören – und um Leerstellen sichtbar zu machen, auch in meinem eigenen Denken.

Anne:
Ich war erst abgeneigt, aber je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr habe ich verstanden, dass meine Ablehnung verinnerlichter Sexismus war. Heute schreibe ich mit Gender_Gap.

Sollte Sexarbeit verboten sein?

Ilse:
Ich bin gegen ein Verbot. Aber wer Geld hat, hat Macht, und die Frage der Sexualität sollte keinem Profitdenken unterworfen sein. Wenn Schätzungen zufolge etwa 60 bis 70 Prozent der Prostituierten in Deutschland eine Migrationsgeschichte haben, herrschen da offensichtlich große Machtungleichgewichte.

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Ilse Lenz
Ilse Lenz ist Soziologin – und das schon lange. Ihr Band „Die neue Frauenbewegung in Deutschland“ dokumentiert Texte zu Selbstbestimmung und Gleichheit seit 1968 und gilt als Standardwerk der Geschlechterforschung

Natasha:
Auf keinen Fall. Warum? An solchen Debatten beteilige ich mich oft nicht, weil ich sie so absurd finde. Wenn eine Frau das freiwillig macht, ist es für mich eine Dienstleistung wie jede andere auch. Wenn nicht, sind wir wieder auf der strukturellen Ebene: Es liegt nicht an der Frau, dass sie gezwungen wird. Also muss gegen Menschenhandel vorgegangen werden.

Mirna:
Nein, mir ist es wichtig, dass Menschen eigene Entscheidungen treffen. Ich wünsche mir eine Welt, in der Frauen ihren Körper nicht verkaufen müssen, aber es dürfen, wenn sie es möchten.

Phenix:
Feminismus ist auch, Menschen allen Geschlechts machen zu lassen, was sie wollen. Und das bedeutet auch, die volle Macht über den eigenen Körper zu haben. Strukturen, in denen das unter Zwang passiert, sind zu verurteilen. Aber Sexarbeit ist ja zum Beispiel auch Onlyfans, das muss nicht alles verboten werden.

Şeyda:
Ich bin pro Solidarität mit Sexarbeiter*innen und gegen die Prostitutionsindustrie. Solange keine Geschlechtergerechtigkeit herrscht, wird diese fast immer ausbeuterisch sein. Wenn es tatsächlich helfen würde, hätte ich nichts gegen ein Verbot. Aber wo Sexkauf verboten ist, gehen die Freier eben in andere Länder.

Anne:
Klares Nein – körperliche Selbstbestimmung. Aber ein klares Ja dafür, die Arbeitsbedingungen für Sexarbeitende zu verbessern.

Feminismus und Kopftuch – passt das zusammen?

Ilse:
Kann, muss aber nicht. Es sollte immer eine freie Entscheidung sein, wie man anderen den Körper zeigen möchte. Das gilt auch für das Kopftuchtragen.

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Anne Wizorek
Anne Wizorek ist mit dem #aufschrei bekannt geworden. Sie hat damit 2013, also noch vor dem Bekanntwerden von #MeToo, in Deutschland eine Debatte über Sexismus und Machtverhältnisse losgetreten

Natasha:
Natürlich. Das ist so klassische old-white-women-feministische Kritik. Ich bin gegen Gewaltherrschaften wie im Iran, aber das Problem liegt nicht am Kopftuch, sondern an der herrschenden Machtstruktur.

Mirna:
Ich denke, es ist wichtig, zu verstehen, dass das Kopftuch nur da ein empowerndes Symbol sein kann, wo Religionsfreiheit herrscht.

Phenix:
Einer Frau, einem Menschen sollte es freigestellt sein, was er oder sie trägt. Wenn das ein Kopftuch ist, dann ist es ein Kopftuch.

Şeyda:
Es hindert dich nichts daran, ein Kopftuch zu tragen und gleichzeitig für das Recht aller Frauen einzustehen, sich durch die Welt zu bewegen, ohne dass ständig Gewalt auf ihre Körper ausgeübt wird.

Anne:
Ja, absolut.

 

Sexy Fotos auf Social Media und Feminismus – passt das zusammen?

Ilse:
Es kann feministische Formen geben, den eigenen Körper auszustellen, und sexistische. Wenn das Foto hegemoniale Stereotype stützt, finde ich es nicht feministisch. Aber Travestie, Kritik, autonome Erotik? Warum sollte feministische Erotik bei Instagram aufhören?

Natasha:
Body positivity ist doch seit jeher das Feministischste. Sich von langen zu kurzen Röcken zu bewegen war eine historische Form der Emanzipation. Und wenn eine Frau heute ihre Brüste zeigen will, auch für Klicks, soll sie es machen. Auch hier ist es wichtig, dass dies freiwillig geschieht.

Mirna:
Klar! Wenn Feminismus Verbote heißt und Begrenzung, dann ist es keiner.

Phenix:
Go for it, free the nipple! Zu verurteilen sind die Vorurteile und die Sexualisierung, die in unserer Gesellschaft mit einem freizügigen Auftreten verbunden sind. Auch wenn es nicht in einem sexuellen Kontext passiert.

Şeyda:
Ja, auf jeden Fall, weil zum Patriarchat dazugehört, freizügige Weiblichkeit zu unterdrücken. Es kann empowernd sein, den eigenen Körper so zu präsentieren, wie man möchte. Aber man sollte Mechanismen von Social Media wie sex sells trotzdem kritisieren können.

Anne:
Ja, klar. Trotzdem ist es wichtig, zu gucken, welche gesellschaftlichen Zwänge gerade auch junge Frauen dazu bringen, sich sexualisiert darzustellen.

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