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Unser schlimmstes Urlaubserlebnis

In der Serie „Unwanted“ treffen europäische Kreuzfahrtreisende auf verunglückte Flüchtlinge, und das Mittelmeer wird zum politischen Ort

  • 5 Min.
Unwanted

Worum geht’s?

Auf der „Orrizzonte“, einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff, verbringen Tausende europäische Tourist*innen ihren Urlaub. Es gibt Pools, Discos, Designergeschäfte und 15 Restaurants. Alles könnte so schön sein, wenn das Schiff nicht bereits in der ersten Nacht im Mittelmeer auf ein gekentertes Schlepperboot aus Libyen treffen würde. Die Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, viele von ihnen tragen die Narben von Folter am Körper. Auf der „Orrizzonte“ hoffen sie nun, sicher nach Italien zu gelangen. Doch als sie erfahren, dass der Kapitän sie zurück nach Libyen bringen will, eskaliert die Situation, und auch die Urlauber*innen müssen sich fragen, wie sie zur Flüchtlingskrise stehen.

Worum geht’s wirklich?

Das Mittelmeer ist für viele Europäer*innen ein Sehnsuchtsort. Doch spätestens seit 2015, als die Zahl der Flüchtlinge durch den Krieg in Syrien und andere globale Krisen stark anstieg, ist klar: Das Mittelmeer ist auch ein politischer Ort. Diese beiden Welten prallen in der Serie „Unwanted“ aufeinander. Das Kreuzfahrtschiff ist dafür die perfekte Metapher: Der Luxus und die Umweltbelastung, die mit dieser Art von Urlaub einhergehen, stehen für den Reichtum Europas, der hier zelebriert wird, während am selben Ort Flüchtlinge ertrinken. Menschenleben – das ist der Gedanke, der sich durch die Serie zieht – scheinen unterschiedlich viel wert zu sein: An der Spitze der Hierarchie auf dem Schiff steht der Kapitän, ein Italiener mit Hang zum Herzschmerz, dann kommen die weißen Gäste, dann ein Heer von größtenteils nicht-weißem Dienstpersonal, das unsichtbar im Bauch des Schiffes kocht, putzt und wäscht – und ganz am Ende stehen die Flüchtlinge.

Gut zu wissen:

Teile des Drehbuchs basieren auf dem Buch „Bilal“ des Investigativjournalisten Fabrizio Gatti, der so etwas wie der italienische Günter Wallraff ist. Er begab sich zwischen 2003 und 2007 undercover auf die Fluchtrouten von Afrika nach Europa. Im Buch erzählt er von seinen Erlebnissen mit mitleidlosen Schleppern und korrupten Polizisten. Gatti beschreibt, wie das System des Menschenhandels funktioniert und wer sich daran bereichert. Obwohl das Buch schon über zehn Jahre alt ist, könnte der Stoff aktueller nicht sein. In „Unwanted“ finden die Recherchen Gattis fiktionalisiert als Rückblenden der einzelnen Flüchtlinge Platz und schildern eindringlich, was Menschen auf ihrer Flucht passieren kann. Leider sind sie nur ein kleiner Teil der Serie.

Wie ist es erzählt?

Die Macher*innen von „Unwanted“ (Regie: Oliver Hirschbiegel, Buch und Entwicklung: Stefano Bises) verflechten verschiedene Erzählstränge zu einer fiktiven Geschichte: Da wäre einmal die Jetztzeit der Luxuskreuzfahrt, in die das gekenterte Schlepperboot crasht. In Rückblenden erfährt man mehr über die Vergangenheit einzelner Flüchtlinge, die geschickt auf bekannte Bilder der Flüchtlingskrise anspielen. Etwa das des zweijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi, der 2015 tot an der türkischen Küste angespült wurde. Die Figuren sprechen abwechselnd Deutsch, Italienisch, Englisch und einige afrikanische Dialekte. Wie schon in dem viel beachteten Film „Triangle of Sadness“, in dem die Machtverhältnisse auf einer Kreuzfahrt für Superreiche durcheinandergebracht werden, entsteht durch die Enge des Schiffs eine Kammerspielatmosphäre: Keiner der Anwesenden kann sich der Situation und den Konflikten, die hier stattfinden, entziehen, und so verstärken sich die Emotionen.

Lieblingszitat:

„Diese Karotten sollen wie Rosen aussehen“, schreit der cholerische Chefkoch der „Orrizzonte“ seine Küchencrew an und schmeißt alle (aus seiner Sicht missglückten) Karottenrosen in den Mülleimer. Das nennt man dann wohl Luxusprobleme.

Lohnt sich das?

Geht so. Aus der Erzählstruktur entsteht in den besseren Szenen Spannung wie in einem packenden Thriller, manchmal erinnern die steifen Charaktere und die fehlende Geschwindigkeit aber auch an einen schlechten „Tatort“. Dazu kommt ein an vielen Stellen melodramatisches Drehbuch. Ein Beispiel: Die reiche, aber auch depressive Deutsche versichert ihrem Mann beim Anblick der Flüchtlinge, dass sie nie vergessen werde, wie viel Glück sie doch hat. Er antwortet ihr pflichtschuldig: „Ich liebe dich, Hannelore.“

In den guten Szenen werden die Tourist*innen auf dem Schiff als Menschen entlarvt, die erst Empathie empfinden, wenn ihnen die Geschichten der Flüchtlinge in einer abendlichen Show gezeigt werden. So viel Ambivalenz gesteht „Unwanted“ den meisten Flüchtlingsfiguren nicht zu: Bei der Ankunft auf dem Kreuzfahrtschiff werden sie etwa so staunend inszeniert, als hätten sie in ihrem Leben noch nie Fernseher, Lichter oder Pools gesehen. Diese Menschen leiden in ihren Herkunftsländern an Krieg, Perspektivlosigkeit oder der Klimakrise – Smartphones und Social Media gibt es aber auch in Libyen oder Kenia.

Zugegeben: Es ist sehr schwer, gute Fiktion zu den Themen Flucht und Migration zu machen, die auch noch unterhalten soll. Vielleicht wäre ein dokumentarisches Projekt für diesen Stoff doch sinnvoller gewesen.

„Unwanted“ ist ab dem 3. November auf Sky zu sehen.

Titelbild: © 2023 Sky Studios Limited/Sky Italia S.r.l./INDIANA Production S.p.a./PANTALEON Films GmbH

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.