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„Ich bin Odile, du musst mit mir leben“

Die Serie „I Am Earth“ ist ein Rap-Musical, dessen Heldin oft strauchelt, aber den Mut findet, das Krasseste zu sein, was es gibt: sie selbst

  • 6 Min.
I am earth

Worum geht’s? 

Um Odile, die in der norwegischen Stadt Bergen lebt und deren Welt ganz schön kompliziert ist. Odile arbeitet in einer Bibliothek, aber eigentlich ist sie Rapperin. Ihr Produzent und bester Freund Stian drängt sie, ihr erstes Album rauszubringen. Damit würde sich die 30-Jährige jedoch vor ihrem muslimischen Vater als lesbisch outen. Außerdem will ihre Partnerin Sophia mit ihr zusammenziehen. Odile hingegen weiß nicht so recht, sagt aber nichts. Sie sagt auch nichts, als eine Kassiererin mit ihr in ihrer Heimatstadt Englisch spricht, einfach nur, weil sie eine Woman of Color ist. Die Schwarze Frau hinter ihr in der Schlange dagegen korrigiert die Kassiererin. Sie heißt Zoe und wird Odile noch mehr beschäftigen, als diese in dem Augenblick ahnt.

Worum geht es wirklich? 

Um das Leben zwischen Alltagsrassismus und der großen Angst vor Ablehnung. Um ihre enge Beziehung zu ihrem strenggläubigen Vater nicht zu riskieren, verheimlicht Odile ihre sexuelle Identität vor ihm. Sie glaubt, er würde ihr Lesbischsein nicht akzeptieren – immerhin war er schon dreimal in Mekka. Oder stehen Odile womöglich ihre eigenen Vorurteile im Weg?

Wie ist es erzählt? 

„I Am Earth“ ist ein Rapsical, also ein Rap-Musical. Das heißt, dass Songs das Mittel sind, um in Odiles Gefühlswelt einzutauchen. Auf eine Schlüsselszene folgt meist eine Studioaufnahme, bei der Odile von sich rappt und erzählt, während Archivaufnahmen aus ihrer Kindheit zu sehen sind. Die Musik und der Gesang sind dabei so wechselhaft wie Odiles Gefühle: von schnellen Beats über lässiges Chill-out bis hin zu fast atmosphärischen Klängen mit nachdenklich gesprochenen Reflexionen. Da die Serie mit deutschen Untertiteln versehen ist, kommen die Zuschauenden in den Genuss echter norwegischer Rap-Kunst.

Odile (Foto: Monday Production)
Voll im Flow: Amy Black Ndiaye hat extra für die Serie rappen gelernt (Foto: Monday Production)
 

Star und Schöpferin von „I Am Earth“ ist die Schauspielerin und Drehbuchautorin Amy Black Ndiaye. Als Protagonistin gelingt es ihr eindrücklich, Gefühle wie Ratlosigkeit und Zweifel so zu transportieren, dass die eher wortkarge Odile dennoch sehr nahbar bleibt. Ndiaye wuchs in Bergen auf, ihre Mutter stammt von den Färöerinseln, ihr Vater aus dem Senegal. Für den Dreh der Serie verpflichtete Ndiaye ihre gesamte Familie: Ihre Eltern, ihre Schwester und Nichte spielen jeweils ihre Eltern, ihre Schwester und Nichte in der Serie. Alle Kindheitsaufnahmen, die man sieht, zeigen Ndiaye selbst und ihren Vater Joe Ndiaye.

Dass hier eine reale Familie vor der Kamera vereint ist, gepaart mit der Vielschichtigkeit der Charaktere, lässt die Serie sehr ungestellt und lebendig wirken. Darin erinnert „I Am Earth“ an andere norwegische Serien wie „Skam“ (in Deutschland unter dem Titel „Druck“ adaptiert), die das Leben junger Menschen so nah an der Realität erzählen, dass es manchmal echter wirkt als die Wirklichkeit. Auch wenn Odiles Reise fiktiv ist, kann Ndiaye den Weg ihrer Heldin nachempfinden, wie sie in einem Interview erzählt: „Ich habe viele Dinge über Menschen angenommen. Ich dachte, sie würden mich nicht so akzeptieren, wie ich bin, und habe mich dann selbst isoliert. Aber sobald man anfängt, ehrlich zu sein und sich von den Leuten so mögen zu lassen, wie man ist, kommt das Selbstvertrauen.“

Bestes Zitat: 

In der Musik dreht die oft unsichere Odile ihr Innerstes nach außen. Und erzählt, wie es ist, als Schwarzes lesbisches Mädchen in einer Provinzstadt aufzuwachsen.

„Plötzlich zogen wir unsere BHs aus und verglichen unsere Brustwarzen. Ihre waren kleiner und rosa, wie bei allen anderen auch. Aber meine waren dunkel, fast schwarz. Sie fand sie seltsam, schmutzig. Die anderen kamen näher, um sie anzusehen. Eine fing tatsächlich an zu lachen. Da hörte das Kribbeln in meiner Pussy sofort auf.“

Gut zu wissen: 

Als Ndiaye in New York Schauspiel studierte, begann sie aus Heimweh, norwegischen Rap zu hören, genauer gesagt Lieder im Bergener Dialekt des norwegischen Rappers Lars Vaular. Es entstand die Idee, eine Geschichte über eine Schwarze Rapperin zu schreiben, und Ndiaye selbst wollte die Hauptrolle spielen. Nach über zehn Jahren war es endlich so weit. Es gab nur ein kleines Problem: Ndiaye konnte nicht rappen. Sie bat Vaular um Hilfe, und nachdem die beiden unzählige Stunden zusammen geübt hatten, übernahm er die Rolle des Produzenten und besten Freundes Stian. Es sind die intimsten Szenen, wenn sich Odile im Studio mit einem Mikro zu Stian ans Mischpult setzt, ihr kleines Notizbuch öffnet und rappend erzählt, was sie gerade bewegt. Fast ehrfürchtig lauscht Stian ihren Worten. Man hat den Eindruck, dass Vaular Ndiaye auch im wirklichen Leben aufmerksam zugehört hat, denn alle Songtexte sind von ihm verfasst.

Lohnt es sich? 

Unbedingt. Der Originaltitel „Verden er Min“ bringt auf den Punkt, um was es geht: Er bedeutet übersetzt „Die Welt gehört mir.“ Und das ist es, was Odile lernen muss: die Welt für sich zu beanspruchen. Sie tut das auf eine leise, aber dafür nicht weniger inspirierende Weise. Es ist ein Vergnügen, ihr dabei zuzusehen.

„I Am Earth“ läuft auf arte.tv (sechs Folgen, je 24 Minuten).

Titelbild: Helge Skodvin

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.