Worum geht’s?
Um den 13-jährigen Chris Wang aus Kalifornien, der von seinen Freunden liebevoll Wang-Wang genannt wird. Es ist das Jahr 2008 – Regisseur Sean Wang war damals im gleichen Alter –, und Chris steckt mitten in der Pubertät, die bekannterweise manchmal ganz schön beschissen sein kann. Als wären Pickel und feste Zahnspange nicht nervig genug, hat er als Sohn taiwanesischer Einwander:innen auch noch mit Rassismus zu kämpfen. Im Mittelpunkt des Films stehen jedoch die üblichen Themen, die junge Menschen umtreiben – zum Beispiel die erste Liebe. Für das Date mit seinem Crush Madi schaut er sich ein YouTube-Tutorial mit dem Titel „How to kiss“ an (das hat er nämlich bis jetzt noch nicht gemacht). Die gezeigten Techniken übt er kurzerhand an zwei Apfelscheiben vor dem Computer. Das Date mit Madi missglückt dennoch. Auch sonst geht es in Chris’ Leben turbulent zu: Seiner verhassten Schwester pinkelt er in die Körperlotion, sein bester Freund lässt ihn für ein Mädchen links liegen, und sein erster Cannabisrausch endet über der Kloschüssel.
Worum geht’s eigentlich?
In einem Statement sagte der Regisseur Sean Wang, dass der Film davon handele, „was es bedeutet, asiatischstämmiger Amerikaner zu sein“. Eine Erfahrung, die Wang aus erster Hand kennt: „Genau wie unser Protagonist wuchs ich als Sohn taiwanesischer Einwanderer in Fremont in Kalifornien auf, als schelmisches kleines Geschwisterkind mit einer tief sitzenden Scham, die direkt mit meiner kulturellen Herkunft zusammenhing.“ „Didi“ zeigt, was es bedeutet, vom eigenen Umfeld als „anders“ wahrgenommen zu werden. Die Zuschauenden erleben, wie Chris immer wieder mit rassistischen Sprüchen konfrontiert wird, die im Film jedoch stets unkommentiert bleiben. So sagt Madi auf einer Party zu Chris, dass er süß sei – zumindest für einen Asiaten. Eine Freundin von Madi fragt in derselben Szene, ob „Wang-Wang“ nicht das Geräusch sei, das Enten machen. Dass diese Kommentare nicht spurlos an Chris vorbeigehen, wird deutlich, als eine Gruppe vermeintlich cooler Skater-Kids nach seinem Namen fragt. Nach kurzem Überlegen entscheidet er sich dazu, sich als Chris vorzustellen und nicht als Wang-Wang. Außerdem behauptet er, halb asiatisch zu sein, obwohl beide Eltern aus Taiwan stammen.
Wie wird’s erzählt?
„Dìdi“ (das Wort bedeutet in Mandarin so viel wie „kleiner Bruder“, wird aber auch als Kosename von Eltern für ihre Söhne benutzt) ist ein klassischer Coming-of-Age-Film, der aus der Perspektive von Chris erzählt wird. Gesellschaftskritischen Themen werden meist nicht explizit angesprochen, sondern subtil in die Handlung eingeflochten. Dadurch ist der Ton des Films die meiste Zeit humorvoll. Traurig wird es an einigen Stellen trotzdem. Vor allem dann, wenn die Beziehung zwischen Chris und seiner Mutter gezeigt wird. Sie hat ihren Traum, Künstlerin zu werden, für ihre zwei Kinder aufgegeben und kümmert sich aufopferungsvoll um die beiden. Doch wenn Chris sie nicht gerade ignoriert, schnauzt er sie schlecht gelaunt an.
Zum einen, weil er mitten in der Pubertät steckt. Zum anderen, weil er den Rassismus, den er erfährt, verinnerlicht hat und die Verhaltensweisen seiner Mutter, die er als typisch asiatisch liest, manchmal peinlich findet. Eine zentrale Rolle nimmt auch die Anfangszeit von Social Media ein. Denn 2008 gab es weder Instagram noch TikTok, dafür den AOL Instant Messenger, Facebook – und MySpace. Auf der Plattform erkundet Chris die Filmvorlieben von Madi, nur um später im AOL-Chat mit ihr behaupten zu können, dass die Liebesschnulze „A Walk to Remember“ auch sein Lieblingsfilm sei. Außerdem lädt er auch selbst Videos auf YouTube hoch – zum Beispiel von sich und Freunden, die den Briefkasten der Nachbarn in die Luft jagen. Im Vergleich zu den durchchoreografierten TikToks von heute wirken Chris’ Videos zwar witzig, aber sehr amateurhaft.
Das beste Zitat
In vielen Teilen Asiens ist es üblich, einen Regenschirm zu nutzen, um sich vor der Sonne zu schützen. Als die Mutter von Chris an einem sonnigen Tag einen Regenschirm aufspannt, zeigt sich, dass ihr Sohn den Alltagsrassismus, den er erlebt, verinnerlicht hat. Er sagt: „Umbrellas are for rain, that’s so embarrassing.“ Zu Deutsch: „Regenschirme braucht man bei Regen, das ist so peinlich.“
Lohnt sich das?
Unbedingt. Zum einen, weil Sean Wang mit seinem Film all jene Themen aufgreift, die Teenager umtreiben, und seine Protagonist:innen dabei ernst nimmt. Zum anderen überzeugen die jungen Darsteller:innen – viele standen zum ersten Mal vor der Kamera – mit ihrer Leistung. Besonders Izaak Wang als Chris schafft es, das chaotische Gefühlsleben seiner Figur auch durch subtile Veränderungen seiner Mimik auf die Leinwand zu transportieren – zum Beispiel dann, wenn er mit einem rassistischen Kommentar konfrontiert wird. Ohne ein Wort zu sagen, sehen die Zuschauenden, dass die Worte in ihm nachhallen und ihn aufwühlen.
„Dìdi“ läuft ab dem 15. August im Kino.
Fotos: Universal Pictures International Germany