fluter.de: Herr Heinkelmann-Wild, warum hat uns hier in Deutschland die US-Wahl überhaupt zu interessieren?
Die USA sind nicht nur der mächtigste Staat der Welt, sondern auch der wichtigste Partner Europas. Deshalb hat die Wirtschafts-, Sicherheits- und Klimapolitik der Vereinigten Staaten zwangsläufig Auswirkungen auf die EU – und damit auch auf Deutschland.
Trump tritt für die Republikaner, Harris für die Demokraten an. Wie stehen die Deutschen traditionell zu beiden Lagern?
Deutsche und US-Amerikaner:innen hatten schon immer ein ambivalentes Verhältnis. Während George W. Bush recht unbeliebt in Deutschland war, wurde Barack Obama hier fast mehr gefeiert als in den USA selbst. Tendenziell würde ich sagen, dass die Demokraten ein besseres Image haben als die Republikaner, weil sie stärker für internationale Zusammenarbeit stehen. Trumps Präsidentschaft hat dieses Bild sicherlich noch einmal bestärkt. Diese war ein riesiger Schock für viele Deutsche.
Könnte Kamala Harris an Obamas Beliebtheit anknüpfen?
Mein Eindruck ist, dass der Höhenflug rund um Kamala Harris’ Kandidatur in Deutschland ein Stück weit nachgelassen hat. Trotzdem ist bei dem Duell Trump gegen Harris sehr klar, wem die meisten Deutschen den Sieg wünschen. Die gegensätzlichen Erwartungen – die Hoffnung, die wir auf Harris setzen, und die Angst vor einer zweiten Trump-Amtszeit – sind nicht nur in den Medien, sondern auch in der Bevölkerung sehr sichtbar.
„Ich denke, dass man die hohen Hoffnungen auf Harris ein bisschen relativieren sollte“
Und sind diese Erwartungen gerechtfertigt?
Basierend auf meiner Forschung würde ich sagen, dass man die hohen Hoffnungen auf Harris ein bisschen relativieren sollte. Denn die beiden Kandidat:innen haben auch einige Gemeinsamkeiten: Sowohl die Republikaner als auch die Demokraten versuchen etwa gegen China als aufsteigende Macht vorzugehen. Deshalb werden beide bei einem Sieg erwarten, dass sich Deutschland klar auf die Seite der USA stellt. Das wird eine große Herausforderung, da China sehr wichtig für unsere Wirtschaft ist.
Die USA sind ein wichtiger Partner Deutschlands im Nato-Bündnis. Wie könnte die Wahl die Sicherheit in Europa beeinflussen?
Trump hat mehrfach die Nato und deren Beistandsklausel infrage gestellt. Sollte er wiedergewählt werden, ist eine weitere Schwächung des Bündnisses zu befürchten. Unter seiner Präsidentschaft könnten die Militärhilfen für die Ukraine sofort eingestellt werden. Dann ist Europa mit der Verantwortung, Kiew zu unterstützen, auf sich allein gestellt. Das schlimmste Szenario wäre ein russischer Angriff auf einen Nato-Staat. Denn Russland könnte womöglich davon ausgehen, dass die USA unter Trump den Europäer:innen nicht zur Hilfe kommen würden.
Wie schätzen Sie Harris’ Position zur Nato ein?
Ich gehe davon aus, dass sie weiterhin auf die Stabilität der Nato setzen, aber ebenfalls auf mehr Eigenständigkeit Europas pochen wird. Auch die Demokraten sehen im Aufstieg Chinas die geopolitisch wichtigste Herausforderung und wollen ihre Sicherheitspolitik daher hauptsächlich nach Asien ausrichten. Unter beiden Präsident:innen müssen Europa und Deutschland wohl in Zukunft mehr für die eigene Sicherheit tun und ausgeben.
Inwiefern würde sich die Zusammenarbeit von Deutschland mit den beiden unterscheiden?
Nach allem, was wir über Kamala Harris und die Demokraten wissen, lässt es sich mit ihr sicherlich besser diskutieren und gemeinsam an Kompromissen arbeiten als mit Donald Trump. Sollte er erneut Präsident werden, wird er durch Handelshemmnisse wie Zölle versuchen, europäische Unternehmen auf dem US-Markt zu benachteiligen. Grundsätzlich wird er weniger auf internationale Zusammenarbeit und mehr auf Alleingänge setzen. Harris wird wahrscheinlich Joe Bidens Kurs größtenteils fortsetzen, also vor allem handelspolitisch gegen China vorgehen und weniger gegen Deutschland und Europa.
„Ein Sieg von Trump würde den Kampf gegen den Klimawandel enorm schwächen“
Wie könnte die Wahl 2024 den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel beeinflussen?
Ein Sieg von Trump würde den Kampf gegen den Klimawandel enorm schwächen. Schon in seiner ersten Amtszeit ist er aus dem Pariser Klimaabkommen, nachdem die weltweite Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, ausgetreten. Zudem hat Trump die Beiträge der USA zu wichtigen Klimaschutz-Fonds gestoppt und stattdessen wieder auf fossile Energien gesetzt. Die USA sind einer der größten Verursacher von CO₂. Wenn selbst sie ihre Versprechen nicht halten, wird es in Zukunft immer schwieriger, Klimaschutz-Vereinbarungen zu treffen – etwa mit aufstrebenden Staaten des globalen Südens wie Indien oder Brasilien.
Und wie steht es um Kamala Harris’ klimapolitische Pläne?
Harris wird auch hier vermutlich die Politik weiterführen, die sie als Vizepräsidentin zusammen mit Joe Biden begonnen hat. Dazu gehört der Green New Deal, der eine nachhaltige Wirtschaft anstrebt. Aber in der Klimadebatte rund um die US-Wahl gibt es zwei wichtige Einschränkungen: Zum einen hat sich gezeigt, dass auch unter Trump auf Bundesstaaten- und Städteebene trotzdem viel gegen den Klimawandel unternommen wurde. Europa hat klimapolitisch zum Beispiel viel mit dem Staat Kalifornien zusammengearbeitet. Zum anderen haben während Bidens Amtszeit viele republikanische Kongressabgeordnete wichtige Entscheidungen für den Klimaschutz blockiert. Und auch die Demokraten sind nicht mehr bereit, so viel Geld für Klimaschutz, vor allem in anderen Ländern, auszugeben wie noch zu Obamas Zeit.
Könnte Trumps Rückkehr ins Weiße Haus den Einfluss von Rechtspopulist:innen in Europa weiter stärken?
Trump ist definitiv eine Symbolfigur für die rechtspopulistischen Parteien in Europa. Seine Rhetorik, das Beharren auf nationalen Interessen, die antielitären Botschaften, die Kritik an internationalen Organisationen – all das hatte und hat Vorbildcharakter. Wenn im mächtigsten Staat der Welt ein Populist an der Macht ist, befeuert das Nachahmer:innen in Europa. Dazu kommt, dass sich Trump mit autoritären Herrschern wie Kim Jong-un oder Putin auf der Weltbühne gezeigt hat, wodurch er deren menschenverachtende Politik ein Stück weit legitimiert hat.
„Kamala Harris wäre als erste weibliche US-Präsidentin ein Symbol für Gleichberechtigung, Diversität und Chancengleichheit“
Harris vertritt das gegenteilige politische Spektrum. Könnte ihr Wahlsieg den Einfluss rechtspopulistischer Strömungen in Europa und Deutschland schwächen?
Kamala Harris wäre als erste weibliche US-Präsidentin ein Symbol für Gleichberechtigung, Diversität und Chancengleichheit. Die große Chance und Hoffnung ist, mit Harris eine Verbündete im Weißen Haus zu haben, die sich international für die progressiven Werte der Demokraten einsetzt und damit auch ein Vorbild für das liberale Lager in Deutschland ist. Aber auch sie unterliegt politischen Zwängen und wird in einigen Punkten sicherlich US-amerikanische gegenüber transatlantischen Interessen priorisieren.
Nun hat Deutschland ja keinen Einfluss auf die Wahl. Sind wir den USA ausgeliefert?
Die Amtszeiten der US-Präsidenten, die in diesem Interview genannt werden:
- Jimmy Carter: 1977 – 1981
- Ronald Reagan: 1981 – 1989
- Bill Clinton: 1993 – 2001
- George W. Bush: 2001 – 2009
- Barack Obama: 2009 – 2017
- Donald Trump: 2017 – 2021
Ein Blick in die Geschichte kann die verbreitete Angst vor einem Wahlsieg Trumps etwas lindern. Auch unter früheren Präsidenten haben die USA ihr Engagement in internationalen Organisationen oder Verträge reduziert oder diese ganz verlassen: Unter Jimmy Carter haben die USA zeitweise die Mitgliedschaft in der Internationalen Arbeitsorganisation ILO aufgekündigt, Ronald Reagans Regierung hat sich aus der UNESCO zurückgezogen, unter Bill Clinton haben die USA die UN-Organisation für industrielle Entwicklung UNIDO verlassen und George W. Bush hat veranlasst, das Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 2001 und das Rome Statute des Internationalen Gerichtshofs ein Jahr später abzulehnen. Trotzdem blieben die meisten multilateralen Institutionen erhalten, sofern sich andere mächtige Mitglieder, insbesondere Europa und Deutschland, für sie eingesetzt haben.
Das zeigt: Europa kann sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und ist nicht vollkommen vom Wohlwollen der USA und dem Wahlausgang am 5. November abhängig. Was wir dafür aber brauchen, ist der politische Wille in Deutschland und Europa. Diesen zu stärken, sollte unsere Priorität sein, egal wer nächstes Jahr ins Weiße Haus einzieht.
Dr. des. Tim Heinkelmann-Wild arbeitet am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU München. Er forscht zu Internationalen Beziehungen, Global Governance und Public Policy.
Portrait: David Fisher/Oxford University
Titelbild: Dustin Chambers / Kenny Holston – NYT/Redux/laif