fluter.de: Schadet nicht jegliche Form des Reisens der Umwelt und man bleibt, ökologisch betrachtet, am besten zu Hause?
Harald Zeiss: Nein, Sie können ja auch mit dem Fahrrad oder der Bahn fahren. Und selbst Reisebusse sind verhältnismäßig umweltfreundlich, wenn sie voll besetzt sind. Außerdem gibt es viele Beispiele, dass Tourismus der Natur wirklich zugutekommen kann. Wenn Menschen sich für bestimmte Gegenden besonders interessieren, dann fangen auch Regierungen an, sich dort für den Naturschutz zu engagieren. Das Great Barrier Reef in Australien ist ein gutes Beispiel. Vor ein paar Jahren redete man da vor allem über Pläne, einen Hafen für Hochseeschiffe zu bauen, durch den Teile des Riffs zerstört würden. Inzwischen hat die australische Regierung beschlossen, mehrere hundert Millionen australische Dollar in den Schutz des Riffs zu stecken. Anderes Beispiel: Whale-Watching ist lukrativer als Walfang. Das hat die Dominikanische Republik erkannt und die Jagd auf Wale verboten.
Special: Wie wir reisen
Was ist umweltfreundlicher: wenn man sich mit dem Rucksack individuell auf den Weg macht oder wenn man sich in die großen Ströme der Pauschaltouristen einreiht?
Schwer, das allgemeingültig zu beantworten. Man kann nicht verallgemeinernd sagen, dass der Pauschalurlauber den größeren Schaden anrichtet als der Backpacker. Das Gute am Massentourismus, der viele Menschen an einen Ort und in ein Hotel führt, ist, dass man viele Dinge standardisieren kann und sich dadurch eine Menge positive Effekte ergeben.
Für ein Hotel mit 1.000 Gästen lohnt sich etwa der Bau einer Kläranlage – während die Unterkunft für den Backpacker, zum Beispiel eine Fischerhütte am Strand, wahrscheinlich nur eine Sickergrube hat. Würden die zigtausend Pauschalurlauber plötzlich alle mit dem Rucksack losziehen und in solchen Hütten übernachten, hätte das dramatische Auswirkungen. Außerdem ist Pauschaltourismus besser planbar, da wird kein Overtourism entstehen.
Was verstehen Sie unter Overtourism?
Wenn die Infrastruktur der Zielländer stark überlastet wird. Wenn Individualreisende plötzlich in großen Massen an einen Ort oder in eine bestimmte Region fahren, die darauf gar nicht eingestellt ist. Deshalb hat der Pauschaltourist diesbezüglich sogar eine kleine Renaissance erfahren, weil er eben nicht in das Lebensumfeld der Menschen strebt, sondern im All-inclusive-Hotel bleibt und sich dort am Pool bräunt.
Eine Frage zu den Verhältnismäßigkeiten: Wenn man schon mit dem Flugzeug um die halbe Welt geflogen ist, ist es dann wirklich noch sinnvoll, sich vor Ort Gedanken über eine Plastiktüte mehr oder weniger zu machen?
Man muss sich immer über alles Gedanken machen. Im Urlaub sein Gewissen auszuschalten, das kann ja nun auch nicht sinnvoll sein. Jede Plastiktüte zählt. Sicher, mit einem Langstreckenflug hat man erst mal schon mehrere Tonnen CO2 emittiert, und es wird schwer, das durch ein ökologisches Verhalten auszugleichen. Aber man kann seine Flugreise kompensieren. Wer 5.000 Euro für seinen Urlaub ausgibt, wird auch die 200 Euro übrig haben, um den Schaden wieder zu beheben.
„Eine Fernreise sollte nicht kürzer als drei Wochen sein. Je länger, desto besser.“
Wie stark fällt der Tourismus beim Klimawandel eigentlich ins Gewicht?
Dazu ist vor kurzem eine australische Studie veröffentlicht worden, die besagt, dass der Tourismus weltweit insgesamt acht Prozent zum Klimawandel beiträgt. Der Deutsche Reiseverband hingegen sagt fünf Prozent, und an die würde auch ich mich eher halten (Anm. d. Red.: Zeiss ist Vorsitzender des Ausschusses Nachhaltigkeit im Deutschen Reiseverband). Denn in die acht Prozent sind zum Beispiel auch Nahrungsmittel vor Ort eingerechnet. Darüber kann man sich nun streiten. Denn zu Hause hätten die Menschen ja auch Nahrungsmittel benutzt. Ob aber fünf oder acht Prozent: Dauerhaft kann das so nicht bleiben, und es müssen Lösungen gefunden werden.
Ich möchte die Welt sehen, möchte der Umwelt aber nicht so viel zumuten. Haben Sie mal eine Faustformel, wie ich beiden Ansprüchen gerecht werden kann?
Auf jeden Fall ist langsames Reisen das Gebot. Wenn ich höre, dass manche Leute nach Rio fahren und dann soll es gleich weitergehen nach San Francisco und Tokio, dann ist das nicht nur umweltschädlich, es entspricht auch gar nicht mehr der Idee des Reisens. Das ist dann purer Konsum. Deshalb: langsam reisen, sich nicht so viel vornehmen, Land und Leute auf sich wirken lassen. Eine Fernreise sollte nicht kürzer als drei Wochen sein. Je länger, desto besser.
Ist es sinnvoll, konsequenter zu unterscheiden zwischen Erholungs- und Entdeckungsreisen und zum Erholen öfter mal wieder in Deutschland zu bleiben?
Im Prinzip kann man alles auch in Deutschland machen – Abenteuerurlaub, Familienurlaub und sogar auch Entdeckungsurlaub, je nachdem, was man entdecken will.
Aber wenn jemand bei VW am Band steht und sagt „Ich möchte jetzt einfach mal zwei Wochen in die Sonne“, dem würde ich jetzt auch nicht sagen: Das darfst du nicht, mach eine Kulturreise oder bleib zu Hause. Alle Menschen haben ein Recht auf Erholung und Sonne, Strand und Meer gehören für viele Deutsche zum Urlaub einfach dazu.
„Zuerst einmal sollte jeder Tourist dafür sorgen, dass er nicht noch zusätzlichen Müll produziert.“
Wie sehr ist das Thema Reisen und Nachhaltigkeit schon im gesellschaftlichen Mainstream angekommen?
Ein Drittel der Bevölkerung hält nachhaltiges Reisen für wichtig, nur Geld wollen die wenigsten ausgeben, da liegt die Zahlungsbereitschaft für Nachhaltigkeit statistisch noch im niedrigen zweistelligen Bereich. Insofern ist auch nachhaltiges Reisen immer noch ein Thema, das nur bestimmte Milieus beschäftigt, eher linksliberale intellektuelle Milieus. Aber es ist ein Thema, das sich Stück für Stück durchsetzt und zunehmend als Qualitätsthema wahrgenommen wird. Die Leute erwarten vom Reiseveranstalter, dass er sich auch um Nachhaltigkeit kümmert.
Wäre eine verpflichtende CO2-Kompensation denkbar? Zum Beispiel über eine höhere Besteuerung von Flugreisen?
Ja, aber nur, wenn alle mitmachen. Ein deutscher Alleingang würde ausländische Fluggesellschaften besserstellen. Wenn man eine sogenannte CO2-Steuer einführt, dann auch bitte gern auf alle Produkte, nicht nur auf den Tourismus. Das würde dem Konsumenten auch viel Kopfzerbrechen abnehmen, zum Beispiel wenn er sich fragt, ob der deutsche Apfel jetzt klimafreundlicher ist als der neuseeländische.
Inwiefern?
Die Information könnte er einfach am Preis ablesen – der CO2-belastete Apfel wäre teurer. Aber das ist natürlich eine Mammutaufgabe. Eine spannende Frage ist: Was geschieht mit den daraus gewonnenen Steuern? Werden die dann für Klimaschutzprojekte eingesetzt? Das war mal ein Thema bei der existierenden Luftverkehrsabgabe, die dann aber nicht zweckgebunden eingeführt wurde.
Sollten Touristen selbst aktiv werden im Umweltschutz? Es gibt immer wieder Aufrufe, dass Strandurlauber täglich ein paar Teile Plastikmüll aus dem Meer fischen sollen.
Zuerst einmal sollte jeder Tourist dafür sorgen, dass er nicht noch zusätzlichen Müll produziert. Er könnte auch im Hotel mal nachfragen, was mit dem Müll passiert. Überhaupt sollte man als Tourist ruhig immer mal wieder solche Themen ansprechen. Wie werden die Mitarbeiter bezahlt? Wo kommt das Abwasser hin? Dass Touristen anfangen, beim Aufräumen mitzuhelfen – das ist sehr ehrbar und kann nicht schaden. Aber letztendlich muss eine funktionierende Regierung vor Ort selbst dafür sorgen können, dass die Umwelt sauber gehalten wird.
Titelbild: Jörg Brüggemann/OSTKREUZ