Zwei junge Menschen wählen in Wahlkabinen

„Ein Großteil der jungen Menschen hat gesellschaftliche Zukunftsängste“

Welche Themen interessieren die Gen Z bei der Bundestagswahl? Wie wird sie von den Parteien umworben – und wie könnte es noch besser gehen? Das haben wir die Politikwissenschaftlerin Neele Eilers gefragt

Interview: Ann Esswein
Thema: Demokratie
13. Februar 2025

fluter.de: Am 23. Februar können knapp acht Millionen 18- bis 29-Jährige wählen gehen. Welche Sorgen hat diese Generation? 

Neele Eilers: Wirtschaftliche und soziale Themen beschäftigen viele junge Menschen momentan sehr, etwa Fragen um Rente, Gesundheit und auch Wohnen. Ein Großteil von ihnen hat gesellschaftliche Zukunftsängste und wenig Vertrauen in die Politik – das ist nicht groß anders als beim Rest der Bevölkerung. Migration als Herausforderung ist für sie aber weniger ein Thema, dafür spielen Klimaschutz und Bildungspolitik eine größere Rolle.

Inwiefern sind junge Menschen optimistisch, dass sie etwas verändern können?

Viele sind sehr unzufrieden mit dem Status quo, empfinden aber, dass die meisten Parteien diesen nur verteidigen. Aufgrund unserer alternden Bevölkerung haben junge Menschen auch tatsächlich weniger Einfluss darauf, welche Partei gewinnt oder verliert. Deswegen gibt es auch die Forderung nach einem Wahlrecht ab 16 Jahren – um unter anderem jungen Menschen in der Wahlentscheidung mehr Gewicht zu geben. 

Wie zeigt sich diese Unzufriedenheit im Wahlverhalten?

Sie öffnet den Raum für Kleinstparteien oder neue Akteure und Bewegungen, insbesondere im Internet. Populistische Stimmen schaffen es momentan vermehrt, diese Unzufriedenheit mit ihren Narrativen zu befeuern und für sich nutzbar zu machen.

„Jüngere Frauen neigen zu linken, progressiven Parteien, während junge Männer zu konservativen bis rechtspopulistischen Parteien tendieren“

Sie haben in Ihrem Bericht zu den Landtagswahlen 2024 in Ostdeutschland beobachtet, dass vor allem die AfD und das BSW gepunktet haben. Auch unter jungen Menschen scheint die AfD an Zustimmung zu gewinnen.

Das könnte damit zusammenhängen, dass die heute 18-Jährigen in einer Zeit aufgewachsen sind, in der die AfD schon zum Parteienspektrum dazugehört hat. Dadurch sind rechte Themen in der gesellschaftlichen Debatte viel normalisierter. Gleichzeitig hatte auch Corona einen Effekt auf die politische Sozialisierung: Junge Menschen waren weniger in der Schule, in der Uni oder in Vereinen, wo die Bildung einer eigenen politischen Identität häufig stattfindet. Wo weniger Begegnung möglich war, sind Lücken entstanden, von denen populistische Akteure profitiert haben. Die zunehmende Unterstützung der AfD ist aber kein „Jugendphänomen“, sondern ein gesamtgesellschaftliches.

Die letzten Bundestagswahlen 2021 waren geprägt von Covid und Fridays for Future. Vor allem junge Frauen haben die Grünen gewählt, während junge Männer der FDP ihre Stimme gegeben haben. Bestimmt das Geschlecht das Wahlverhalten?

Studien und Wahlanalysen deuten darauf hin, dass sich die politischen Präferenzen junger Männer und Frauen auseinanderentwickeln: Jüngere Frauen neigen häufiger zu linken, progressiven Parteien, während junge Männer stärker zu konservativen bis rechtspopulistischen Parteien tendieren. Das konnten wir auch bei den Europawahlen und den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sehen. Wir können aber nicht ausschließlich von einem Männerphänomen sprechen: Auch der Anteil der Frauen, die die AfD gewählt haben, hat bei der Europawahl zugenommen.

„Junge Menschen treffen oft erst wenige Tage zuvor die Entscheidung, ob sie überhaupt zur Wahl gehen und welche Partei sie letztendlich wählen“

Damals war die Wahlbeteiligung junger Menschen geringer als die der Gesamtbevölkerung. Können wir das auch dieses Jahr erwarten?

Tatsächlich ist 2021 die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen sogar etwas gestiegen. Aber generell ist die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen seit den 1950er-Jahren immer geringer gewesen als die der allgemeinen Bevölkerung. Junge Menschen treffen oft erst wenige Tage zuvor die Entscheidung, ob sie überhaupt zur Wahl gehen und welche Partei sie letztendlich wählen. Es gibt für junge Menschen nicht mehr die eine Partei, die man das ganze Leben lang schon wählt.

Woran liegt das?

Die Parteiensysteme in westlichen Demokratien haben sich in den letzten Jahrzehnten diversifiziert, hin zu mehr Zersplitterung. Auch in Deutschland dominieren nicht mehr zwei Volksparteien das System. Junge Menschen wachsen in einer Zeit auf, in der sie aus vielen politischen Optionen wählen können. Sie machen von diesen Möglichkeiten Gebrauch, oft, um einen Wunsch nach Veränderung auszudrücken.

Zurück zum Wahlkampf 2025. Inwiefern werden junge Menschen als potenzielle Wählergruppe gezielt angesprochen?

Parteien versuchen, sie strategisch anzusprechen mit Themen wie Ausbildung, Mobilität oder BAföG. Sie missachten dabei die Tatsache, dass jungen Menschen die großen gesellschaftlichen Fragen genauso wichtig sind. Traditionell hatten einige Parteien einen starken Jugendfokus, in denen die Parteijugenden eine wichtige Rolle spielten. Aber weil sich Parteimitgliedschaften generell verändern, braucht es neue Strategien, um junge Menschen gezielter anzusprechen und einzubinden.

Zum Beispiel über die sozialen Medien.

Im Unterschied zu 2021 haben viele Politiker:innen erkannt, dass sie stärker online präsent sein müssen, um an jüngere Menschen heranzutreten. Viele kommunizieren aber noch nicht effektiv über Social Media und fragen junge Menschen auch nicht, was sie eigentlich wollen.

Aber Parteien wie die AfD sind doch sehr erfolgreich auf TikTok?

Die AfD schafft es, junge Menschen gezielt über Social Media anzusprechen – besonders durch provokanten und polarisierenden Content. Häufig werden dabei populistische Aussagen eingesetzt und auch Fake News verbreitet, die einfache Antworten auf komplexe Fragen suggerieren. Auch etablierte demokratische Parteien wollen mit aufwendigen Social-Media-Strategien nachziehen. Diese erreichen aber oft nicht dieselbe Reichweite und Interaktion, weil sie sich nicht auf provokante populistische Inhalte einlassen wollen.

„Wer in jungem Alter wählt, beteiligt sich auch später regelmäßiger an Wahlen“

Inwiefern entgeht Politiker:innen etwas, wenn sie die junge Zielgruppe nicht erreichen? 

Werden sie von Politiker:innen nicht angesprochen, führt das dazu, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung in Entscheidungsprozessen noch stärker außen vor bleibt – was für eine pluralistische Demokratie und eine generationengerechte Politik problematisch ist. Forschungsergebnisse belegen, dass das Wahlverhalten häufig bereits im Erstwähler:innenalter gefestigt wird. Wer in jungem Alter wählt, beteiligt sich auch später regelmäßiger an Wahlen. Politiker:innen gehen hier also nicht nur aktuelle, sondern langfristig potenzielle, regelmäßige Wähler:innen oder auch junge Politiker:innen verloren.

Bräuchte es mehr junge Politiker:innen?

Ja. Nicht unbedingt, weil sie zwangsläufig die Interessen junger Menschen vertreten, sondern in erster Linie, damit junge Menschen sich in „der Politik“ wiedererkennen können. Es geht um Repräsentation.

Neele Eilers (30) ist Politikwissenschaftlerin beim Berliner Thinktank d|part, wo sie zu politischer Partizipation und politischen Einstellungen junger Menschen in Europa forscht.

Neele Eilers

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Titelbild: Hannes Jung / laif , Portrait: privat