In seinem früheren Leben hatte der Friseur Ari Dillmann, 39, viele Namen: Mohamad Khidir-Mohamad stand in seinem Personalausweis, im Salon am Kurfürstenplatz in München hieß er Alex, im Olympia-Einkaufszentrum Martin und in der Rosenheimer Straße Marco. Beim Online-Dating nannte er sich Robin. „Mit einem, der Mohamad heißt, will keine Frau in Deutschland Kaffee trinken gehen“, sagt Ari Dillmann.

Nun steht Ari Dillmann in seinem eigenen Laden, den er vor Kurzem eröffnet hat. Graue Stoffhose, schwarzes Hemd, braune Lederschuhe, dazu Dreitagebart und eine schwarze Brille mit abgerundeten Ecken. Aus der Gürteltasche nimmt er eine Schere, zieht eine Haarsträhne zwischen Mittel- und Zeigefinger in die Länge. „Nur die Spitzen, Ari“, sagt der letzte Kunde an diesem Tag. Ari Dillmann lächelt. Wie immer, wenn jemand seinen neuen Namen sagt.

Seit ein paar Monaten heißt er offiziell Ari Dillmann. „Der Name Mohamad ist wie eine Handbremse“, sagt er. Eine Handbremse, die ihm das Vorankommen erschwerte. Als er sich um einen Job bewarb, wurde er nur zu wenigen Vorstellungsgesprächen eingeladen. In den Salons, in denen er schließlich arbeitete, wollten sich manche Kunden nicht von ihm bedienen lassen. Und wenn er beim Lieferservice eine Pizza mit Schinken bestellte, bekam er als Antwort: „Die können Sie nicht bestellen, Sie sind doch Moslem.“

Irgendwann stellte er sich nur noch mit den Worten vor: „Ich heiße leider Mohamad. Entschuldigung, ich kann nichts dafür.“

„Es ist wie bei einem Boxer, der immer wieder Schläge kriegt. Irgendwann gewöhnt er sich an den Schmerz“, sagt Ari Dillmann. Das Problem war, dass er nicht der Einzige war, der litt. Vor acht Jahren kam seine erste Tochter zur Welt. In die Unterlagen für die Geburtsurkunde trug er nur den Nachnamen Khidir ein. Als die Urkunde ein paar Wochen später zurückkam, stand dennoch auch Mohamad darin. Später, als seine beiden Töchter im Kindergarten Weihnachtslieder mitsingen wollten, sagte die Erzieherin zu ihnen: „Ihr feiert doch kein Weihnachten.“

Manche Menschen ändern ihr Geschlecht, weil sie sich im falschen Körper fühlen, andere konvertieren, weil sie nicht mit dem Glauben ihrer Eltern leben wollen. Bei Ari Dillmann ist es der Name, mit dem er sich nie identifizieren konnte. „Mohamad wird entweder als Prophet oder als Kriegsführer verehrt“, sagt er. „Mit beidem will ich nichts zu tun haben.“ Als er vor acht Jahren zum ersten Mal auf dem Standesamt eine Namensänderung beantragte, fragte er den skeptischen Sachbearbeiter: „Würden Sie Jesus heißen wollen?“

Nach Paragraph 3 des Namensänderungsgesetzes darf ein Familienname geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt: wenn man bedroht wird und seine Identität ändern muss, bei Missbrauch innerhalb der Familie, um nicht den Namen des Täters tragen zu müssen, wenn ein Name lächerlich oder anstößig ist, bei einer umständlichen Schreibweise oder einem sehr langen Namen. Auch Sammelnamen wie Müller und Meier kann man abgeben. Aber auch, dass man sich nach der Einbürgerung einen unauffälligeren Namen wünscht, gehört (in München) zu den Gründen, die eine Namensänderung rechtfertigen. Ari Dillmann fand es nur fair, einen Namen zu ändern, der ihm sein Leben ziemlich schwer gemacht hat – zumindest das Leben, das er führte, seit er in den Neunzigern vom Irak erst in die Schweiz und dann nach Deutschland zog.

Die erste Hürde war, dass man bei deutschen Behörden nur mit einem deutschen Pass seinen Namen ändern darf. Ari wurde am 4. November 2008 eingebürgert, danach hätte das Namensänderungsverfahren der Stadt München die üblichen acht bis zehn Wochen dauern sollen, doch er brauchte fast acht Jahre, um seinen alten Namen loszuwerden.

Zunächst ließ man ihn fälschlicherweise wissen, dass er nur seinen Vornamen ändern könne, aber dann wäre ja immer noch ein Mohamad übrig gewesen. Ari glaubte dem Sachbearbeiter, bis ihm ein Kunde auf dem Friseurstuhl von Willy Brandt erzählte. Der ehemalige Bundeskanzler wurde als Herbert Ernst Karl Frahm geboren. Willy Brandt war sein Deckname, den er sich für seine Arbeit im Widerstand gegen die Nationalsozialisten bei seiner Emigration nach Norwegen gegeben hatte und nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1949 offiziell anerkennen ließ. Ari Dillmann recherchierte im Internet, druckte Gesetzesauszüge aus und ging mit einem Stapel Dokumente zum Standesamt. Dort legte er ein Gutachten vor, das seine Belastung durch den Namen bestätigte, außerdem ein polizeiliches Führungszeugnis und eine Schufa-Auskunft. Denn niemand soll sich durch eine Namensänderung vor der Polizei oder Gläubigern verstecken können.

Trotzdem verzögerte sich der Prozess – manchmal, weil er wieder mal von den Ämtern weggeschickt wurde, manchmal auch aus eigenem Verschulden. Mal hatte er zu viel Arbeit, mal konnte er sich mit seiner Frau, von der er getrennt lebt, nicht einigen, ob die Kinder mit ihm umbenannt werden sollen. Ende 2015 engagierte er schließlich einen Anwalt, mit dem er ein weiteres Begründungsschreiben formulierte. Die Unterlagen brachte er selbst zum Standesamt, aus Angst, dass sie bei der Post verloren gehen.

Ari erinnert sich noch gut an den Tag, an dem er erfuhr, dass er nach acht Jahren endlich einen neuen Namen hat. Er war zu Besuch bei seinen drei Brüdern in Zürich. Als ihn sein Anwalt anrief, stand er gerade vor dem Friseursalon seines Bruders und sank auf die Knie. Seine Brüder sahen ihn durch die Schaufensterscheibe und dachten, ihre Mutter sei gestorben.

Am 30. April 2016 wurde aus Mohamad Khidir-Mohamad Ari Dillmann. Und zum ersten Mal in seinem Leben kann er seinen Namen nicht oft genug hören. „Hallo, Herr Dillmann, wie können wir Ihnen helfen?“, heißt es beim Pizzaservice. „Gleich kommt der Chef, Herr Dillmann“ in der Bank. „Gute Fahrt, Herr Dillmann“ im Fernbus. „Guten Morgen, Ari“ auf Facebook, wo er sich erst mit seinem neuen Namen angemeldet hat.

Seine Frau hat ihren Namen behalten, die beiden Töchter, die an den Wochenenden bei ihm leben, heißen auch Dillmann und hätten sich gleich an den neuen Namen gewöhnt. Nur Ari Dillmanns Mutter, die auch in Deutschland lebt, redet seit der Namensänderung nicht mehr mit ihm. „Sie ist sehr traditionell und versteht nicht, warum ich den Familiennamen aufgegeben habe.“

Dabei hat der neue Name durchaus Tradition. Wer seinen Namen ändern darf, ist in der Wahl des neuen frei. Dillmann ist eine Abwandlung der iranischen Stadt Deylaman, aus der Ari Dillmanns Urgroßvater stammt. „Deylaman kann man leicht verdeutschen, und der Name hat mit meiner Familie zu tun“, sagt Ari. Außerdem gefalle ihm die Bedeutung: „‚Dill‘ heißt ‚Herz‘ und ‚mann‘ bedeutet ‚ich‘. Also: mein Herz.“

Ari wiederum sei ein kurdischer Name, er bedeute Helfer. „Ich schaue nicht aus wie ein Thomas oder Michael, da würden die Leute nur wieder nach meinem Ausweis fragen, weil sie es mir nicht glauben.“