In Polen gingen in den letzten beiden Wochen über zehntausend Menschen auf die Straße, um gegen die Justizreform der Regierung zu protestieren. Die von der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) entworfenen Gesetze würden die Justiz vollständig unter politische Kontrolle stellen. Nach intensiven Protesten am Wochenende folgte am vergangenen Montag die überraschende Wendung: Präsident Andrzej Duda legte sein Veto gegen zwei der drei vom Parlament verabschiedeten Gesetze ein – um unter anderem zu verhindern, dass die Richterposten des Obersten Gerichtshofes komplett neu besetzt werden. Überraschend war dieser Schritt für viele vor allem deshalb, weil zahlreiche Kritiker Präsident Duda für eine Marionette der Regierungspartei PiS halten.
Doch die polnische Regierung hält weiter an der Justizreform fest. Kritiker bezeichnen das Veto des Präsidenten als taktischen Schritt, abgesprochen mit der Regierung, um eine demokratische Entscheidungsfindung zu beweisen und die Proteste zu beruhigen. Die Demonstrationen in Polen werden indes fortgesetzt, und am Mittwoch kündigte die EU-Kommission Strafmaßnahmen gegen Polen an. So könnte dem Land gemäß Artikel 7 des EU-Vertrages sein Stimmrecht als EU-Mitglied vorübergehend entzogen werden.
Wir haben vier junge Demonstranten in Warschau gefragt, wofür sie auf die Straße gehen und was sie über das Veto ihres Präsidenten und die politische Situation in ihrem Land denken.
Janusz, 17, Schüler am Gymnasium
„Ich habe meinen Cousin aus Kanada mit zur Demonstration gebracht, weil er sehen wollte, was hier passiert, wie es aussieht und wofür wir kämpfen. Ich protestiere, weil ich nicht möchte, dass unser Land weiter gespalten wird. Es ist verstörend, wie wir Polen miteinander streiten – über etwas, das unser Allgemeingut ist.
„Es ist verstörend, wie wir Polen miteinander streiten – über etwas, das unser Allgemeingut ist“
Ich freue mich, dass sich so viele soziale Bewegungen entwickeln, um die Demokratie zu verteidigen. Wir müssen uns jetzt erst einmal auf ein Problem konzentrieren und es lösen – und dann können wir mit dem nächsten weitermachen. Dass das Veto von Präsident Duda ein taktischer Schritt war, halte es für sehr gut möglich.
Für Polen wünsche ich mir vor allem eines: Freiheit! An den nächsten Protesten werde ich wahrscheinlich auch teilnehmen.“
Aleksandra, 27, Theaterwissenschaftlerin
„Ich protestiere, weil ich das Gefühl habe, dass das das Einzige ist, was ich gegen die derzeitige Situation machen kann. Einfach auf die Straße gehen. Ich wurde in einem freien Land geboren, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich in die falsche Richtung bewegt – das beunruhigt mich. Meine Eltern haben diese Richtung in der Vergangenheit leider schon kennengelernt. Ich spüre, dass unsere Freiheit Stück für Stück beschränkt wird.
Ich kann mich mit keiner der Parteien in Polen identifizieren – aber besonders nicht mit ,Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS). Ich arbeite im Theater und dort hat sich die Situation seit der Wahl der PiS sehr verschlechtert. Das Kulturministerium begann, die Theaterdirektoren auszutauschen, ohne auf die Stimmen des Publikums und der Kulturschaffenden zu hören. Die öffentlichen Medien wurden vom Staat ,auf Linie‘ gebracht. Ich habe Angst, dass die Kunstfreiheit bald zur Fiktion wird.
„Ich wünsche mir ein tolerantes und europäisches Polen, für das ich mich nicht schämen muss“
Ich wünsche mir ein tolerantes und europäisches Polen, für das ich mich nicht schämen muss. Und ich möchte sehr daran glauben, dass der Präsident mit seinem Veto wirklich dieses Land erhört hat. Doch natürlich habe ich Zweifel, wie alle anderen. Kann Politik wirklich so widerwärtig sein?
Zu den Protesten werde ich weiterhin gehen, um an meiner Freiheit festzuhalten.“
Piotr, 26, Linguist
„Die Regierungspartei ,Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS) stört mich schon sehr lange. Sie haben diktatorische Absichten, sie sind gegen die EU, und sie versuchen die letzten unabhängigen Institutionen in Polen an sich zu reißen. Diese drei Gesetze, die von der PiS vorgeschlagen wurden, werden die Gerichte unter die Kontrolle der Regierung stellen.
Bei den letzten Wahlen habe ich für die Partei ,Die Moderne‘ (Nowoczesna) gestimmt. Allerdings war das eher eine Entscheidung für das geringere Übel als meine Traumwahl. Aber wenn wir über soziale Bewegungen reden, dann kann ich mich zurzeit mit allen identifizieren, die zu den Protesten kommen, um für ihre Rechte zu kämpfen.
„... weil wir gerade jetzt eine unglaubliche Chance bekommen, uns zusammenzuschließen und unsere Regierung zu beeinflussen“
Es gibt noch jede Menge politische Themen, die wichtig sind! Die Flüchtlingskrise, die Rechte der Frauen und viele mehr. Aber ich glaube, dass wir uns auf diesen einen Fall konzentrieren sollten: die Unabhängigkeit der Gerichte – weil wir gerade jetzt eine unglaubliche Chance bekommen, uns zusammenzuschließen und unsere Regierung zu beeinflussen.
Was das Veto des Präsidenten angeht, habe ich gemischte Gefühle. Ich möchte nicht, dass das die Bedeutung unseres Protestes mindert, aber ich glaube, dass es nur ein taktischer Schritt war.
Ich wünsche mir ein offenes und freundliches Polen. Ich wünsche mir, dass wir einander akzeptieren können – trotz unserer Unterschiede. Und ich wünsche mir, dass wir nicht nur für uns selbst, sondern für das Allgemeinwohl kämpfen können.
Heute ist mein neunter Tag, ich bin von Anfang an auf den Demonstrationen. Ich bin erschöpft, aber ich werde weiter auf die Straße gehen.“
Justyna, 25, Schauspielerin
„Ich musste einfach demonstrieren gehen, weil ich die Möglichkeit, die Situation in meinem Land zu beeinflussen, nutzen muss. Unsere Anwesenheit bei den Protesten ist gerade jetzt sehr wichtig.
Meine Sorge ist, dass die Regierenden von ihrem Willen zur absoluten Macht geblendet werden. Dass sie Stück für Stück unsere demokratischen Gesetze zerstören und uns die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nehmen.
„Unsere Anwesenheit bei den Protesten ist gerade jetzt sehr wichtig“
Aber es gibt noch mehr, was mich stört. Zum Beispiel ist die Beeinflussung und Manipulation der öffentlich-rechtlichen Medien seit der Wahl der PiS beängstigend. Auch Kunst- und Kulturschaffende werden in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Außerdem beunruhigt mich persönlich die Rechtslage für Frauen – die Regierung versucht unsere Grundrechte zu beschneiden.
Ich würde gern in einem Land leben, in dem die menschlichen Grundfreiheiten respektiert werden, in dem die Menschen tolerant sind und wo es genug Raum sowohl für persönliche Entfaltung wie auch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt gibt.
Die Entscheidung des Präsidenten ist meiner Meinung nach ein direktes Resultat der Proteste. Niemand hat mit so viel Widerstand aus der Bevölkerung gerechnet. Ich werde weiter protestieren.“