China
In China ist #MeToo ein Hase. Weil Zensoren den Hashtag blockten, fingen User an, stattdessen über mǐtù (米兔) zu sprechen. Mǐtù klingt wie me too, bedeutet aber auf Chinesisch „Reishase“. Und selbst Zensoren löschen keine süßen Häschen-Memes.
Auch junge urbane Chinesinnen können massenweise von Übergriffen und Machtmissbrauch berichten. Aber für viele ist #MeToo nicht das größte Problem. „Wir haben noch ganz andere Baustellen in Sachen Frauenrechte“, sagen sie.
Anwaltskanzleien suchen offen in Anzeigen nur nach Männern, Universitäten stellen niedrigere Notenanforderungen an Studenten als an Studentinnen, und Eltern kaufen den Söhnen Wohnungen, doch die Töchter gehen leer aus.
„Mao Zedong hat mal gesagt, wir Frauen trügen die Hälfte des Himmels“, stellt eine Kollegin fest. „Aber tatsächlich bekommen wir noch nicht einmal die Hälfte der Erde.“ 2002 musste der Volkskongress extra anmerken, dass Frauen bei der Landvergabe nicht benachteiligt werden dürfen. Tatsächlich halten sich die wenigsten Dörfer daran.
Von Sha Hua
Österreich
Durch eine Strafgesetzerweiterung – Stichwort „Po-Grapsch-Paragraf“ – Anfang 2016 wurde das Thema sexuelle Belästigung in Österreich medial präsent. Im ersten Jahr der Gesetzesgültigkeit sind die Anklagen stark gestiegen. Während der #MeToo-Debatte erlangte die Thematik in Österreich dann einen neuen Höhepunkt: Der Ex-Grünen-Politiker Peter Pilz nahm sich aufgrund des Vorwurfs der sexuellen Belästigung eine bis heute andauernde Auszeit. Außerdem löste die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg mit ihrem Bericht über die weit verbreitete sexuelle Gewalt gegen Skifahrerinnen eine breite Debatte rund um Missbrauch im Sport aus.
Im rechtskonservativ geprägten Österreich hat die Debatte jedenfalls eine breite Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung ausgelöst. Durch das aktuell laufende Frauenvolksbegehren, das bisher bereits über 200.000 Unterstützungserklärungen sammeln konnte, dürfte sich das noch verstärken: Weil sich in Sachen Gleichberechtigung in den letzten Jahrzehnten in Österreich nur reichlich wenig getan hat, soll die Regierung damit gezwungen werden, sich endlich mehr mit frauenpolitischen Themen auseinanderzusetzen.
Von Christine Drechsler
Frankreich
Die Französinnen reagierten noch vor #MeToo auf die Weinstein-Affäre. Mit dem Hashtag #BalanceTonPorc (Verpfeife dein Schwein) rief die Journalistin Sandra Muller dazu auf, Belästiger öffentlich anzuprangern. In nur zwei Tagen gab es dazu über 60.000 Tweets. Fast alle Frauen in meinem Umfeld hielten die Bewegung für wichtig. Von den Männern zeigten sich einige schockiert. „Unglaublich, was ihr durchmacht“, sagte mir etwa ein Kollege. Er bekam Angst, seine Töchter in dieser Gesellschaft aufwachsen zu sehen. Viele warnten aber auch vor Schnelljustiz und davor, plumpe Anmachen künftig mit sexueller Belästigung gleichzustellen. Rund hundert prominente Frauen, darunter die Schauspielerin Catherine Deneuve, sprachen sogar von einer „Hexenjagd“ durch #MeToo und forderten die „Freiheit zu belästigen“.
Eine deplatzierte Männerhand auf einem Frauenknie sei noch kein Verbrechen, schrieben sie in einem offenen Brief und ernteten dafür heftige Kritik. Frankreichs Gleichstellungs-Staatssekretärin Marlène Schiappa will jedenfalls hart durchgreifen: mit einem neuen Gesetz, das sexistische Beleidigungen und Belästigungen auf der Straße mit mindestens 90 Euro Strafe ahnden soll.
Von Judith Kormann
Nigeria
Ende vergangenen Jahres fand ich in den sozialen Medien den Beitrag einer Frau, die berichtete, vergewaltigt worden zu sein. Sie hatte die Nacht mit einem Freund verbracht und war aufgewacht, weil er sich auf sie legen wollte. Weder protestierte sie, noch wehrte sie sich. Danach führten die beiden ihre Freundschaft zehn Jahre lang weiter. Im letzten Jahr dann teilte sie ihm in einer SMS mit, dass sie ihm die Vergewaltigung vor zehn Jahren nie verzeihen würde.
Sexuelle Belästigungen sind früher stets hinter einem Schleier des Schweigens verborgen worden. Die Opfer schämten sich, und die Täter, nun ja, wer prahlt schon damit?
Natürlich löste die Geschichte eine Debatte aus. Während die einen ihr glaubten, warfen andere der Frau vor, mithilfe der #MeToo-Bewegung berühmt werden zu wollen.
So oder so, #MeToo hat Frauen auch in Nigeria ermutigt, ihre Erfahrungen zu teilen, und Männer dazu gezwungen, sich klarzumachen, dass nicht einvernehmlicher Sex einfach nicht okay ist. Allein diesen Perspektivwechsel könnte man als den größten Erfolg der Bewegung in Nigeria beschreiben. Ein riesiger Schritt.
Von Abubakar Adam Ibrahim
Georgien
In der georgischen Gesellschaft ahnte niemand, dass diese schlichte Wortkombination so folgenschwer sein könnte – wie im Rest der Welt eben auch.
Zunächst teilten bekannte Schriftsteller, Dichter, Journalisten, Frauenrechtler und der Bischof der evangelisch-baptistischen Kirche ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung mit der Öffentlichkeit. Besonders aufsehenerregend war der Brief einer jungen Frau, in dem sie davon berichtete, wie sie von ihrem Lehrer, einem berühmten Professor, sexuell belästigt worden war. Detailreich beschrieb sie Gewaltepisoden, die sie vor 15 Jahren im Unterricht erlebt hatte. Der Professor behauptet, nichts davon sei wahr.
Wie es oft der Fall ist, tauchten Witze und Videos auf, auch um die Spannung in der Debatte zu lösen. In einem Video etwa sagte ein hübsches Mädchen „Ich liebe dich“ – dazu der Titel #MeToo. Die Aktion wurde in Talkshows heftig diskutiert. Im November starteten politisch aktive Frauen eine Petition und erklärten, dass Dinge wie anzügliche Kommentare oder schmutzige Witze als sexuelle Belästigung einzustufen seien.
Natürlich fanden auch das nicht alle gut – auch nicht alle Frauen. Die sozialen Netzwerke wurden geflutet von Kommentaren wie: „Und was ist, wenn ich angestarrt werden möchte?“ Oder: „Und wenn ich es mag, dass Männer mich ausführen?“
Dazu muss man vielleicht wissen, dass die Debatte in dem Land am Kaukasus noch ein bisschen Aufholbedarf hat: In Georgien war es noch vor wenigen Jahren – und in ländlichen Gegenden ist das zum Teil noch immer so – üblich, Mädchen zu entführen und sie dann zur Heirat zu zwingen.
Von Nestan Kvinikadze
Illustration: Raúl Soria