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Sprudelnde Geldquelle

Coca-Cola bohrt in Lüneburg schon den dritten Brunnen, um noch mehr „ViO“-Wasser verkaufen zu können. Viele Bürger wollen ihr Grundwasser aber lieber behalten

Coca-Cola, Lüneburg, Vio, Brunnen

„Warum in die Tiefe bohren? Was hat Cola hier verloren?“, schallt es über den Marktplatz von Lüneburg. Fragen, die viele Demonstrierende auf dem Lüneburger Marktplatz – Großeltern, Eltern, aber auch viele junge Menschen, man sieht Logos von Fridays for Future und Extinction Rebellion – teilen. Was hat der Weltkonzern Coca-Cola hier, im Boden unter der kleinen Hansestadt, vor?

Die Antwort ist so nüchtern wie ein Glas stilles Wasser: Coca-Cola bohrt Brunnen, um Wasser in Flaschen abzufüllen und mit dem Label „ViO“ zu verkaufen. In Lüneburg sorgen sie sich um die Privatisierung eines Teils ihres Grundwassers. Und so wird hier zwischen den mehr als 1.000 Demonstrierenden an einem graublauen Spätsommertag im Jahr 2020 greifbar, dass das Ringen um das „blaue Gold“ auch in Deutschland längst begonnen hat.

Der neue Cola-Brunnen soll doppelt so viel Grundwasser entnehmen wie bisher

„Dieses Zukunftsthema dürfen nicht nur die Alten bedienen“, sagt Marianne Temmesfeld. Die pensionierte Ärztin ist Sprecherin von „Unser Wasser“. Die Bürgerinitiative gründeten Anfang 2020 ein paar Pensionäre – um sich gegen Coca-Cola zu wehren, wie sie sagen. Seitdem organisiert „Unser Wasser“ Demos und Protestspaziergänge, sammelt Unterschriften gegen die Bohrung. Solchen Aktionen hätten sich zuletzt immer mehr junge Menschen angeschlossen, berichtet Temmesfeld am Telefon. Als sie im vergangenen Jahr dem Landrat eine Liste mit mehr als 4.500 Unterschriften gegen den neuen Cola-Brunnen übergab, waren auch Aktivisten von Fridays for Future vor Ort. Beim Start der Probeentnahmen schlossen sich die jungen Klimaaktivisten einem Protestspaziergang der Bürgerinitiative an. „Grundsätzlich“, sagt Benjamin Hirt, Sprecher der Lüneburger FFF-Gruppe, „stehen wir in Solidarität mit der Initiative. Wenn es sich anbietet, werden wir uns immer gegenseitig bei Aktionen unterstützen.“

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Marianne Temmesfeld von der BI mit FFF Aktivistinnen (Foto: Lisa Steinwandel)

Bleibt nicht im Regenwasser stehen: Marianne Temmesfeld mit Aktivistinnen von Fridays for Future

(Foto: Lisa Steinwandel)

Für die Bürgerinitiative ist das eine unbedingt gute Nachricht. Apollinaris Brands, eine 100-prozentige Tochterfirma von Coca-Cola, will im Raum Lüneburg die jährlichen Entnahmen verdoppeln, auf 700 Millionen Liter Trinkwasser. Die Zunahme entspricht etwa der Menge, die 7.500 Deutsche in einem Jahr verbrauchen. Dafür lief zwischen Februar und April, zunächst im Pumpversuch, ein neuer Brunnen. Es ist schon der dritte in der Region. Nach mehreren Probebohrungen hatte sich die Firma für die Gemeinde Reppenstedt entschieden, einen Vorort von Lüneburg mit knapp 7.700 Einwohnern. Das bereitet vielen Kopfzerbrechen. Schließlich hatte die Lokalzeitung berichtet, dass bereits in den Antragsunterlagen vor möglichen Schäden gewarnt wird: Während der mehrmonatigen Tests könne das Grundwasser an einigen Stellen absacken und an anderen „durchpausen“, also austreten.

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Solche Berichte kontert Coca-Cola. Das Unternehmen schaltete große Anzeigen in der lokalen „Landeszeitung“, um eine dreiteilige „Info-Serie zum Vio Brunnen“ zu lancieren. Für Fragen der Bürger richtete es eine eigene Mailadresse ein. Presseanfragen nach der Möglichkeit einer Besichtigung der Wasseranlagen werden von einer PR-Agentur beantwortet. In einer sehr langen Mail. Die erinnert freundlich daran, dass Coca-Cola in Lüneburg bereits seit 2007 das „natürliche Mineralwasser ViO“ abfülle. Seitdem habe sich nicht nur die Mitarbeiterzahl nahezu verdreifacht (auf mittlerweile 190), es sei auch „eine ganze ViO Getränkefamilie“ entstanden.

Die Biolimonaden und Direktsaftschorlen kämen bei den Verbrauchern so gut an, dass eben auch der Bedarf an Wasser zur Produktion steige. Deshalb der zusätzliche Brunnen, der zwingend in Lüneburg entstehe, weil Mineralwasser direkt am Quellort abgefüllt werden müsse. Grundsätzlich schätze der Konzern Wasser aber als „lebenswichtiges öffentliches Gut“, dessen Schutz und Wertschätzung zu den Schwerpunkten seines Umweltmanagements zählen.

„Was passiert, wenn das Grundwasser mal von der Bevölkerung gebraucht wird?“

Thorsten Deppner ist Fachanwalt für Umweltrecht. Er befasst sich oft mit Wasserfragen. Und stutzt nach einem Blick in die Planungsunterlagen zunächst wegen des Standorts des Probebrunnens: Coca-Cola möchte Wasser in 190 Meter Tiefe entnehmen. Dagegen heißt es in einem Erlass des Landes Niedersachsen: „Gut geschütztes Grundwasser tieferer Stockwerke ist besonders empfindlich gegenüber Eingriffen.“ Es solle daher „grundsätzlich der Trinkwassergewinnung vorbehalten bleiben“ – also über den Wasserhahn zum Bürger kommen, nicht in einer Flasche. Der Landkreis, vermutet Deppner, könne durchaus wirtschaftlichen Interessen gefolgt sein, als er den Brunnen zusagte. Das wäre zulässig, aber wenig lukrativ: Coca-Cola zahlt der Stadt Lüneburg lediglich einen sogenannten Wasserpfennig. 0,009 Cent pro Liter. Für die beantragten Mengen wäre das ein Betrag zwischen 31.000 und 35.000 Euro im Jahr – weniger als viele Städte mit der Hundesteuer verdienen.

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Coca-Cola, Lüneburg, Vio, Brunnen (Foto: picture alliance)
Alles klar? So sieht eine Probebohrung von Coca Cola für die Bürger Lüneburgs aus (Foto: picture alliance)

Angesichts solcher Summen hätte er empfohlen, den gesetzlichen Rahmen lieber im Sinn der Bürger auszuschöpfen, sagt Deppner. Sicher könne die Behörde ihre Genehmigung jederzeit wieder zurückziehen, wegen der hohen Bedeutung des Gutes Wasser gelte aber ein Besorgnisgrundsatz. Heißt: Der Landkreis kann eingreifen, wenn er schädliche Folgen auf die Trinkwasserversorgung oder die Umwelt auch nur erahnt. „Was passiert, wenn das Tiefengrundwasser mal von der Bevölkerung gebraucht wird?“, fragt Deppner.

Schädliche Folgen oder Probleme bei der Trinkwasserversorgung scheint der Landkreis Lüneburg nicht zu sehen. Bei der Wahl des Brunnenstandortes sei darauf geachtet worden, dass das zugehörige Einzugsgebiet sich nicht mit den benachbarten Wasserschutzgebieten überschneide, schreibt die Behörde in einer Stellungnahme. Ob das Wasser überhaupt bewirtschaftet werden dürfe, sei eine Frage der Prüfung aller Belange und Interessen, wobei die Trinkwasserversorgung Vorrang habe. Das Genehmigungsverfahren für den Brunnen soll mehrere Jahre dauern. Bis Mitte April liefen die Pumpversuche, nun werten Gutachter die Ergebnisse aus. Auf Grundlage ihrer Expertise kann Coca-Cola einen endgültigen Antrag zur Wasserentnahme erarbeiten und dem Landkreis vorlegen.

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Coca-Cola, Lüneburg, Vio, Brunnen (Foto: Robert Schmidt)
Denen geht die Pumpe: eine Demo der Bürgerinitiative „Unser Wasser“ auf dem Lüneburger Marktplatz (Foto: Robert Schmidt)

Lüneburg ist mit solchen Interessenkonflikten nicht allein. Eine vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfachs beauftragte Analyse der Universität Trier kam vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass der Vorrang, den die öffentliche Wasserversorgung laut Gesetz genießt, von den Wasserbehörden nicht durchgehend beachtet wird. Für viele Bürger und die lokale Fridays-for-Future-Gruppe eine Unart: Coca-Cola pumpe das Wasser ab, um es in Einweg-Plastikflaschen abzufüllen, zu verkaufen und damit Gewinne zu erzielen, sagt der Lüneburger Sprecher Hirt. Dabei sei „(Grund-)Wasser Menschenrecht und daher generell wo immer möglich schützenswert“. Die Gesellschaft müsse entschiedener und organisierter gegen Wasserprivatisierung vorgehen.

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Dass solcher Protest erfolgreich sein kann, zeigte sich zuletzt in Brüssel. Mitte Dezember 2020 hat das Europäische Parlament eine neue EU-Trinkwasserrichtlinie verabschiedet. Diese Richtlinie regelt unter anderem, dass künftig „Einzugsgebiete von Entnahmestellen von Wasser für den menschlichen Gebrauch einer Risikobewertung und einem Risikomanagement unterzogen werden“ müssen. Sie schreibt vor, dass Wasser vor Verunreinigungen geschützt werden und besser zugänglich sein muss. Und dass alle Bürger ein Recht auf verständliche und leicht zugängliche Informationen zu ihrem Trinkwasser haben.

Bis 2023 müssen diese Trinkwasserrichtlinien in nationales Recht umgesetzt werden. Sie gelten als großer Erfolg der europäischen Bürgerinitiative Right2Water. 1,8 Millionen Stimmen sammelte sie mit ihrer Kampagne 2013 – und wurde zum ersten erfolgreichen Bürgerbegehren in der Geschichte der EU.

Titelbild: picture-alliance

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