Der Schuh, die Jeans, das Handy. Passt nicht, gefällt nicht, funktioniert nicht. Zurück in die Knisterfolie, Klappe zu, Paketklebeband neu verlegt, Etikett drauf. Auf Wiedersehen. Wie wild bestellen wir im Internet, bei Zalando, bei Amazon, bei Ikea, wir lassen liefern, gerade jetzt in der Pandemie. Herr Bote, danke fürs Paket, und dies hier können Sie gleich wieder mitnehmen, danke, tschüss, ach so, und diese Retouren gleich auch noch, auf Wiedersehen. Und dann?
Im Jahr 2020 traten in Deutschland laut der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Uni Bamberg 315 Millionen Pakete die Rückreise an. „Konservativ geschätzt“, wie sie betont.
Der Stapel aus Retouren reicht bis zur Internationalen Raumstation – und noch weiter
315 Millionen Pakete. Würde man sie aneinanderstellen, käme man damit bei einer angenommenen Kantenlänge von 40 Zentimetern dreimal um die Erde. Stapelte man sie in die Höhe, könnte man an ihnen locker bis zur Internationalen Raumstation hochklettern und noch weit darüber hinaus, nicht ganz hinauf bis zum Mond, aber ein Drittel der Strecke würde man schaffen – allein mit dem Jahresretourenaufkommen aus Deutschland.
Was wir zurücksenden?
Von 100 auf Rechnung bestellten Büchern laut den Bamberger Forschenden im Schnitt etwa sechs.
Von 100 Fernsehern, Tablets, Konsolen und weiteren Produkten aus der Unterhaltungselektronik etwa 14.
Von 100 Hosen, Pullis, Kleidern und anderen Fashionartikeln im Schnitt sogar 46. Manchmal mehr, bei Schuhen gehen bei Einbeziehung aller Zahlungsarten sogar etwa 70 von 100 Paaren zurück.
Dabei hält sich unser Abschiedsschmerz in Grenzen. Nur manchmal meldet sich doch der Gedanke an die Umwelt, die Konsumscham, das schlechte Gewissen, dass die Bequemlichkeit des Onlinehandels für andere eher unbequem ist. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte 2019 einen Mitarbeiter in ein Amazon-Logistikzentrum in Winsen eingeschleust, der dokumentieren konnte, dass Neuware auf dem Müll landete. Daraufhin wurde das Kreislaufwirtschaftsgesetz geändert, sodass Neuwaren und Retouren nicht mehr einfach vernichtet werden dürfen.
Die Händler betonen, dass die Verschrottung die Ausnahme sei, die Ultima Ratio. Aber was passiert dann mit all der zurückgeschickten Ware?
Gut möglich, dass sie zum Beispiel in einem der Hermes-Logistikzentren landet: Kleinvolumige Retouren wie Kleidung bringen die Laster nach Polen oder Tschechien, große und schwere Fracht über 31,5 Kilo nach Löhne in Ostwestfalen, Großvolumiges unter 31,5 Kilo kommt bei Jörg Reichenbach an, dem Betriebsleiter des Zentrums im thüringischen Ohrdruf, das knapp 10.000 Einwohner zählt. Ende des Jahres macht sich Herr Reichenbach bereit für die große Rückreisewelle, die er zu Beginn des neuen Jahres erwartet. Er stockt das Personal im Retourenmanagement auf, von gut 140 auf 200. 40 Laster kommen zur Hochphase täglich nach Ohrdruf. 40 Wechsellaufbaubrücken voller Ware, so nennt ein Logistiker wie Reichenbach die containerähnlichen Ladungsträger, die der Lkw auf seinem Rücken transportiert. Pro Wechsellaufbaubrücke 500 bis 600 platzoptimiert gestapelte Pakete, die ein Mitarbeiter nun Stück für Stück im Rückwärtstetris aufs Förderband legt. Das Förderband bringt sie ins Obergeschoss des Ohrdrufer Logistikzentrums, zu den Kolleginnen und Kollegen an den 60 sogenannten Beurteilungsplätzen.
Handscanner über den Rücksendeschein, auf dem Bildschirm erscheinen die Kenndaten.
Kundenname: Sagen wir mal Lieschen Müller.
Produkt: Flachbildfernseher, 55 Zoll.
Retourgrund: Auswahlbestellung.
Vier Fernseher bestellen, einen behalten – ein Klassiker
Auswahlbestellung, ein Klassiker. Reichenbach beobachtet, dass die Menschen längst nicht mehr nur ihre Füße daheim verschiedene gelieferte Schuhmodelle anprobieren lassen – sondern auch ihre Wohnzimmer Großgeräte. Einfach mal vier Fernseher bestellt, Bildschirmdiagonale je 1,39 Meter, einer bleibt, drei gehen zurück. „Kommt nicht oft vor“, sagt Reichenbach. „Aber diese Auswüchse gibt es.“ Er könne sich da nur wundern.
Wundern kann er sich auch über Kunden, die die Retoure als bequeme Möglichkeit zur Elektroschrottentsorgung mit Geld-zurück-Garantie missbrauchen. Einmal packten die Mitarbeiter an den Beurteilungsplätzen einen alten Röhrenfernseher aus, obwohl der Kunde eigentlich den neuen Flachbildfernseher reklamieren wollte. (Geld bekam er selbstverständlich nicht zurück.)
Was nicht funktioniert, aber funktionstüchtig gemacht werden kann, landet in der Werkstatt. 25 bis 30 Leute arbeiten dort normalerweise, jetzt zur Hochphase sind es 30 bis 40 Techniker. Bei einer Bestellung, sagt Reichenbach, werden erst die Retouren verschickt, dann die Neuware. Verschrottet würden nur die Totalschäden.
Die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Uni Bamberg schätzt: Von 100 zurückgeschickten Artikeln werden am Ende knapp vier vernichtet. Ein großer Teil könne wie Neuware wieder in den Verkauf gebracht werden. Vor allem Kleidung: Von 100 zurückgeschickten Artikeln sind es laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts EHI 82. Bei Elektronik, Einrichtungsgegenständen und Nahrungsmitteln ist die Quote dagegen eher niedrig. Diese B-Ware schicken selbst die Logistikzentren weiter.
Zum Beispiel an einen wie ihn: Ralf Hastedt, Chef der Firma Avides in Hemsbünde bei Bremen, nach eigenen Angaben einer der größten Retourenaufkäufer Europas.
Die Rückreisewelle nach Weihnachten, auf die man sich im Hermes-Zentrum einstellt, erreicht ihn mit etwas Verspätung. Januar, Februar. Das sind so die Monate, in denen die Bugwelle des Retournierten bei ihm aufbrandet, dann wird er überschwemmt mit all der Ware, die der Kunde nicht will, die der Händler nicht will und aus der Hastedt sein Geschäft zu machen versucht.
Fleischwolf gewollt, Drucker bestellt?
Ihm ist in den letzten 20 Jahren schon alles untergekommen. Da hing mal Fleisch in einem Drucker, warum auch immer. Da lag mal eine tote Katze in der Trommel einer Waschmaschine, wie auch immer das arme Tier da hingeraten ist. Einmal hatte ein Kunde ihn sogar mit Pasta betrügen wollen. Hastedt hatte in großem Stil Packungen mit Lego-Steinen aufgekauft – nur waren in manchen trockene Nudeln drin. Merkt man nicht, klingt beim Schütteln genauso. „Und sogar das Füllgewicht hat gestimmt“, sagt Hastedt.
Für zwei Millionen Artikel im Jahr sucht er eine neue Heimat. Und oft eine, die möglichst weit weg ist.
Viele Hersteller möchten nicht, dass die B-Ware in Deutschland auf den Markt kommt. „Kann ich verstehen“, sagt Hastedt. „Die wollen sich ihre Marke nicht kaputt machen.“ Die Kunden seien an ein Premiumprodukt gewöhnt, da sollen sie dann nicht irgendwo in einem Onlineshop an eine verschrammte Version geraten. „Gerade bei Elektronik sind die Hersteller da sehr empfindlich.“
Hastedt löst das Problem. Er schickt die Dinge dahin, wo sie dem Image nicht in die Quere kommen, nach Rumänien, nach Kasachstan, manchmal bis nach Dubai. Da freut man sich über einen zurückgeschickten Markenfernseher, bei dem die Fernbedienung fehlte, die Hastedt einfach durch eine Universalfernbedienung ausgetauscht hat.
Nur einmal ist es schiefgegangen. Hastedt hatte aussortierte Schuhe aufgekauft und einen Geschäftspartner gefunden, der sie außerhalb der EU auf den Markt bringen sollte. So hatten sie es im Vertrag vereinbart. Leider hielt der Geschäftspartner sich nicht dran.
Tschüssikowski und auf Nimmerwiedersehen, bitte!
Eines Tages nämlich bekam Hastedt eine Nachricht vom Hersteller. Warum der Schuh plötzlich wieder in Deutschland verkauft wird? Ein paar Tausend Stück waren in den Regalen einer Bekleidungskette aufgetaucht. Offenbar hatte der Hersteller am Barcode gemerkt, dass dieser Schuh an diesem Ort nicht über die Ladentheke gehen sollte. Nicht Hastedts Schuld, aber ärgerlich.
Was wir wegschicken, wollen wir nicht mehr wiedersehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Manchmal achten auch die Hersteller sehr genau darauf, dass das wirklich so bleibt.
Illustration: Renke Brandt