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Pandemie versus Petting

Wie war es, im Kinderzimmer zu sitzen, statt in der Schule, im Kino oder Jugendclub die erste Liebe kennenzulernen? Über Dating in der Corona-Pandemie

Kuss

Große Pause, das hieß früher mal: auf den Schulhof strömen, in Grüppchen kichern, in der Schlange vom Pausenverkauf stehen und hoffen, dass sich der Schwarm genau hinter einem anstellt. Hoffentlich kommt man über ein belegtes Brötchen ins Gespräch!

Corona machte aber einen Strich durch Pausenhofflirts: Schulen hatten regelmäßig geschlossen. Und wenn gerade einmal Unterricht stattfand, dann oft im Wechselbetrieb und mit einem strengen Hygienekonzept.

Mit Dating in der Corona-Pandemie beschäftigt sich die Studie „Partner 5“ von Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung. Repräsentativ ist sie zwar nicht, aber einige Hinweise geben kann sie laut Voß: Die partnerschaftliche Situation habe sich für 47 Prozent der Jugendlichen durch die Corona-Zeit nicht verändert, 27 Prozent beschrieben sie als verschlechtert, 26 Prozent als verbessert.

„Jugendliche wollen erst mal Leute kennenlernen, und dabei ergeben sich erste Liebesbeziehungen und Partnerschaften“, sagt Voß. „Es geht nicht in erster Linie um ein schnelles Sexdate per Dating-App, sondern sie probieren in ihrem nahen Umfeld oder bei Clubbesuchen aus, wie man sich kennenlernen kann.“

Er sieht aber, wie auch die befragten Teenager angaben, dass es positive Entwicklung durch Social Media gibt: Online konnten viele Jugendliche auch auf Distanz soziale Interaktionen aufrechterhalten oder neue knüpfen. Wir haben drei Jugendliche und eine Mutter gefragt, wie es ihnen in der Corona-Zeit datingmäßig ergangen ist:

„Eine Beziehung fast nur über das Internet zu führen, das klappt nicht“ 

– Shinda, 16, Schülerin

„Die Corona-Zeit war sehr schwer für mich“, sagt Shinda mit leiser Stimme und schaut auf den Boden. Sie sitzt auf einer Treppe vor einem Neuköllner Jugendtreff. In dem Berliner Bezirk wohnt Shinda seit acht Jahren mit ihren Eltern und drei Geschwistern.

Über Instagram habe sie zwar auch während der Lockdowns ab und zu Jungs kennengelernt. Die durften aber von ihren Eltern aus nicht zu ihr nach Hause zu Besuch kommen. „Und eine Beziehung fast nur über das Internet zu führen, das klappt nicht“, sagt Shinda. „Wenn man sich zum Beispiel streitet, ist es viel schwerer, sich danach wieder zu vertragen.“ Die neuen Bekanntschaften hielten nicht lange.

„Meine Eltern sind sehr streng, auch schon vor Corona“, sagt Shinda. Sie darf selten mit Freund*innen rausgehen und durch die Straßen ziehen. Wenn der Unterricht stattfindet, hat sie in der Schule aber vorher und nachher zumindest noch ein bisschen Zeit mit ihnen. „Während der Lockdowns war es nicht schön, auf Social Media zu sehen, dass meine Freunde unterwegs sind – während ich selbst nicht rausdurfte und mit meinen zwei jüngeren Schwestern in einem Zimmer saß“, sagt sie. Nicht nur zum Daten, auch zum Lernen fände sie einen Rückzugsort schön: Sie hatte zwar von der Schule ein Tablet bekommen, sitzt aber während der Onlinebeschulung mit ihren Geschwistern gemeinsam in einem Zimmer – alle in unterschiedlichen Onlinekonferenzen.

„Ich hatte vor, viel rauszugehen und Leute zu treffen, der Lockdown war wie ein Stoppschild“

– Eddie, 15, Schüler

„Es hat sich viel verändert für mich, aber vielleicht gar nicht so viel, wie man denken würde“, sagt Eddie. Er lebt mit seiner kleinen Schwester und den Eltern in Berlin und besucht eine bilinguale Privatschule in Mitte. Für ihn seien die harten Lockdowns nicht das Ende der Welt gewesen, seine Eltern hätten genug Zeit für ihre Kinder und genug Geld, um jedem einen eigenen Laptop zu kaufen. Dafür hat Eddie aber anderes vermisst: „Ich bin mit 14 in den Lockdown gekommen. Ich hatte vor, viel rauszugehen und Leute zu treffen, der Lockdown war wie ein Stoppschild.“

Stattdessen hat Eddie versucht, online Leute kennenzulernen. Über Instagram zum Beispiel werden einem Freund*innen von Freund*innen vom Algorithmus vorgeschlagen. „Wenn jemand eine Story postet, fällt es leichter, eine Nachricht zu schicken, einfach als Reaktion darauf“, erklärt Eddie. Er hatte auch ein, zwei Dates. „Man durfte sich ja weiterhin zu zweit treffen“, sagt er.

Seine erste Freundin hat er dann auch per Instagram kennengelernt. Beim ersten analogen Treffen war noch eine gemeinsame Freundin mit dabei, damit es nicht zu unangenehmem Schweigen kommt. „Wir hätten uns ohne die Corona-Situation wahrscheinlich gar nicht erst kennengelernt“, sagt Eddie.

„Bei uns gab es immer die Internet-Regel: keine Fotos, keine Telefonnummer, keine Adresse“ 

– Anika, 31, Mutter

Anika hat eine heute 14-jährige Tochter. Vor der Pandemie war für Tochter Leni* Verlieben oder Flirten noch kein Thema, sagt ihre Mutter. Sie hatte geregelte Computerzeiten, doch während der Onlinebeschulung haben die nicht mehr funktioniert. „Bei uns gab es immer die Internet-Regel, dass sie, wenn sie mit Fremden chattet, nichts Privates preisgibt: keine Fotos, keine Telefonnummer, keine Adresse“, sagt Anika. Leni hat dann bei einem Onlinespiel einen Jungen kennengelernt und sich dazu entschieden, mit ihm per Discord weiter in Kontakt zu bleiben – über die Plattform kann man videotelefonieren, ohne Telefonnummern auszutauschen.

Erst nach ein paar Wochen fand Anika heraus, dass ihre Tochter einen Onlinefreund hat. Er ist drei Jahre älter und wohnt etwa sechs Stunden entfernt. Den Altersunterschied findet Anika beunruhigend. Da Leni zu dem Zeitpunkt unter 14 Jahre alt ist, würde sich ihr älterer Freund bei sexuellen Handlungen mit ihr des Kindesmissbrauchs strafbar machen. Anika glaubt, dass ihre Tochter unter „normalen Umständen“, also ohne Pandemie, eher jemanden in ihrem Alter kennengelernt hätte. „Das Schwierigste für mich als Mutter ist aber, die Bedürfnisse zu sehen und zu bedienen – vor allem in Zeiten, wo die ersten Annäherungsversuche oft eben nicht beim Flaschendrehen in der Schule passieren“, sagt Anika. Was soll sie erlauben? Wie kann sie ihrer Tochter erste Erfahrungen ermöglichen? „Außerdem haben sich unsere Aufklärungsgespräche bezüglich der eigenen Grenzen bis dahin auf Offlinetreffen bezogen“, sagt sie. Das hat sie dann schnell nachgeholt.

„Durch Corona hatte ich Lust darauf, wieder Kontakt mit Leon aufzunehmen“

– Maria*, 17 Jahre, Schülerin

Maria war 15 Jahre alt, als der erste Lockdown losging. „Erst mal war es cool, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen, aber ziemlich schnell fand ich es dann nicht mehr gut“, erzählt sie. Sie wäre sehr schüchtern gewesen, hätte nicht viele Freunde gehabt und wäre im Lockdown dann umso einsamer gewesen.

„Durch Corona hatte ich Lust darauf, wieder Kontakt mit Leon aufzunehmen“, sagt Maria. Leon ist der Sohn der Freundin ihrer Mutter. Die zwei kennen sich schon lange und haben sich immer wieder mal gesehen. „Mir ging es schlecht, und er war plötzlich der Einzige, mit dem ich reden konnte.“

Mitten im Lockdown näherten sich die zwei an, besuchten sich gegenseitig und schauten gemeinsam Serien. Aus der intensiven Freundschaft entwickelte sich nach einem Jahr mehr. Als feste Beziehung würde Maria ihr Verhältnis zu Leon aber nicht bezeichnen. „Es ist eher Freundschaft plus.“ Eine, die ohne Lockdown wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte.

* Namen geändert

Titelbild: Maša Stanić / Connected Archives 

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