Wer die Energiewende sehen will, braucht eine Taschenlampe. Er muss zu Sven Staffa auf die Leiter steigen, die ganzen acht Meter, und durch das bullaugenartige Fenster in einen Tank leuchten. Er wird eine flüssige Masse sehen, die grünlich-braun glänzt, und immer wieder Blasen, die an die Oberfläche steigen: Biogas.
Biogas ist ein Gemisch verschiedener Gase, größtenteils Methan und Kohlendioxid. Sven Staffa, der Leiter des Anlagenbetriebs bei Weltec Biopower, einem deutschen Biogasanlagenbauer und -betreiber, hat es auf das Methan abgesehen. Haushalte, die mit Erdgas heizen oder kochen, kennen Methan aus dem täglichen Leben: Erdgas besteht zu größten Teilen aus Methan.
Mal ist Biogas Klimaretter, mal schuld an Hunger und Maiswüsten
Geht es nach der EU, sollen viel mehr Anlagen wie die im brandenburgischen Barsikow entstehen. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine will und muss Europa unabhängiger werden von russischem Erdgas, und zwar so schnell es geht. Die Europäische Kommission hat deshalb einen großen „REPowerEU-Plan“ angekündigt, der auch Biomethan-Ziele vorsieht: Bis 2030 sollen in der EU 35 Milliarden Kubikmeter Methan aus Biomasse produziert werden. Das entspräche etwas mehr als einem Viertel des Erdgases, das die EU 2021 per Pipeline aus Russland gekauft hat. Aktuell liegt die Methanproduktion der EU bei drei Milliarden Kubikmetern. Fast die Hälfte kommt aus Landwirtschaftsbetrieben und Biogasunternehmen in Deutschland. Energieinstitute und NGOs zählten zuletzt etwa 1.000 Biogasanlagen in Europa, die Biomethan produzieren. Um die EU-Ziele bis 2030 zu erreichen, müsste sich ihre Zahl vervielfachen.
„Solche Anlagen funktionieren nach einem einfachen Prinzip“, erklärt Sven Staffa. Als Ausgangsstoffe werden klein gehäckselte Pflanzen, Gülle, Mist und andere organische Produkte in riesige Fermenter gegeben. „Die Anlage füttern“ nennt Staffa das. Dort treffen sie auf eine etwa 40 Grad warme Flüssigkeit, in der sich Bakterien wohlfühlen. Sobald die die Rohstoffe zersetzen, entsteht Biogas. Rührwerke in der Tiefe des Tanks halten die Masse in Bewegung, sodass nach und nach das Gas aus der Brühe blubbert und sich unter der blauen Dachplane sammelt. Ist Staffas Taschenlampe aus, bekommt man von alldem nichts mit. Es riecht dezent nach Bauernhof, der Tank scheint gut isoliert.
Am Ende könne man das Gas aus den Tanks pumpen, erzählt Staffa. Die meisten Biogasanlagen in Europa verbrennen es noch vor Ort, um damit Turbinen anzutreiben und elektrischen Strom zu produzieren. Staffas Anlage in Barsikow dagegen trennt die verschiedenen Gase. Das Methan wird von unerwünschten Reststoffen und Feuchtigkeit gereinigt und von Kompressoren verdichtet, um es in die auf dem Gelände verlegte Erdgasleitung einzuspeisen. „Grob gerechnet können wir mit der Anlage bis zu 4.000 Zwei-Personen-Haushalte ein Jahr mit Gas versorgen“, sagt Staffa. Die vergorenen Rohstoffe sind begehrte Düngemittel und kommen wieder auf die Felder.
Biogas gilt als klimaneutral, zumindest theoretisch: Anders als beim Verbrennen von fossilem Erdgas setzt Biogas nur die Menge klimaschädlichen Kohlendioxids frei, die die „verfütterten“ Pflanzen zuvor der Luft entnommen haben. Das Umweltbundesamt hält das Gas aber für nicht wirklich klimaneutral, weil ein kleiner Teil des produzierten Methans bei der Produktion unkontrolliert entweiche. Die teils alte Technik mancher Anlagen könne sogar dazu führen, dass die Biomethanproduktion am Ende kontraproduktiv für die Energiewende sei. Außerdem seien die entzündlichen Gase ein Risiko für Umwelt und Nachbarschaft, weil es bislang kaum verbindliche Schutzanforderungen gebe.
„Auf Zypern werden Abfälle jeglicher Art vergärt. Ich glaube, in Deutschland könnte in der Hinsicht deutlich mehr getan werden“
Die Kritik an Biogas konzentriert sich aber auch auf den Stoff, der viele deutsche Anlagen betreibt: Mais. Auch in Barsikow vergären sie vor allem Mais. Auf dem Gelände befindet sich ein riesiges Lager. Rund 150 Meter ist es lang, 50 Meter breit, bis zu 12 Meter hoch. Klein geschnitten lagert hier der Mais, den umliegende Bauern anliefern. Im Jahr verbraucht die Anlage zwischen 30.000 und 35.000 Tonnen.
Die deutschen Anlagen für die Methanproduktion werden etwa zur Hälfte mit Mais gefüttert. Das zeigt eine Studie der Deutschen Energie-Agentur. Mais sei aus drei Gründen problematisch, sagt Pierre Johannes vom Naturschutzbund (NABU).
- Erstens verbrauche die Maisproduktion viel Fläche. Weil mit Russland und der Ukraine zwei wichtige Getreide-Anbauländer Krieg gegeneinander führen, könnte es in einigen Staaten zu Hungersnöten kommen. Wäre es in dieser Situation nicht besser, Getreide anzupflanzen, am besten sogar in einer weniger intensiven Form der Landwirtschaft?
- Zweitens werde Mais mancherorts als Monokultur angebaut, was schlecht sei für die biologische Vielfalt. „Da ist dann nur Mais und sonst nichts“, sagt Johannes. „Da finden Sie keine Ackerwildkräuter, keine Insekten, keine Vögel. Das sind relativ tote Landschaften.“
- Drittens könne man die Fläche, auf der derzeit Mais wächst, auch anders zur Energieerzeugung nutzen. „Fotovoltaikanlagen zum Beispiel wurden in den letzten 20 Jahren viel effizienter“, sagt Johannes. Sie würden pro Hektar mittlerweile ein Vielfaches der Energie liefern, die mit Biogas zu gewinnen sei.
Über jeden einzelnen dieser Punkte streiten Kritiker und Befürworter der Biogasproduktion. Die Bundesregierung wird den Maisanteil im Erneuerbare-Energien-Gesetz ab 2023 deckeln. Guido Ehrhardt vom Fachverband Biogas verteidigt die Produktion: Auf vielen Mais-Anbauflächen, sagt Ehrhardt, würde gar kein Getreide für die Nahrungsmittelproduktion wachsen. Dazu habe Biogas gegenüber Strom aus Wind und Sonne den Vorteil, leicht speicherbar und flexibel einsetzbar zu sein. „Die Anlagen fahren hoch, wenn zu wenig Wind und Solarenergie da ist“, erklärt Ehrhardt. Zudem sei das Biogas zum Heizen und für die Wärmeherstellung in der Industrie geeigneter als der Strom aus Wind und Sonne.
Biogas statt Putingas?
Immerhin in einem Punkt herrscht Einigkeit zwischen den beiden Lagern: Reste aus der Landwirtschaft wie Gülle und Stroh sowie biologische Abfälle aus der Industrie und Privathaushalten bieten Potenzial für weitere Methangewinnung. „Wir haben nichts gegen die Biogastechnologie als solche“, sagt Pierre Johannes vom NABU. „Wenn man Abfälle nutzt, die sonst zu nichts zu gebrauchen sind, ist das super.“ Auch Sven Staffa stimmt dem zu. „Ich habe früher in Zypern gearbeitet“, sagt er. „Da wurden Abfälle jeglicher Art vergärt. Ich glaube, in Deutschland könnte in der Hinsicht deutlich mehr getan werden.“
Manche machen das bereits, zum Beispiel die Berliner Stadtreinigung (BSR). Sie betreibt rund 80 Kilometer südöstlich von Barsikow in Berlin-Ruhleben eine eigene Biogasanlage. Hier werden die Bakterien nicht mit Mais, sondern mit dem Inhalt der braunen Tonnen aus Berliner Haushalten gefüttert. Das gewonnene Methan treibt eine Flotte von 160 Müllwagen an. Die BSR spart so nach eigenen Angaben 2,5 Millionen Liter Diesel pro Jahr.
Auf die Schnelle wird Methan die gigantischen russischen Erdgasimporte nicht ersetzen. Biogas wird allenfalls einen Anteil leisten – an dem wiederum jeder teilhaben kann: Anlagen wie derjenigen der BSR hilft schon jede richtig im Biomüll entsorgte Bananenschale.
Titelbild: Paul Langrock/Zenit/laif