Hitlers Plan für die Ukraine sah so aus: „Die Schönheit der Krim, uns erschlossen durch eine Autobahn: der deutsche Süden. (...) Wir werden ein Getreide-Exportland sein für alle in Europa (...). In der Krim haben wir Südfrüchte, Gummipflanzen (...), Baumwolle. Die Pripjet-Sümpfe geben uns Schilf. Den Ukrainern liefern wir Kopftücher, Glasketten als Schmuck und was sonst Kolonialvölkern gefällt.“
Zur Umsetzung der Fantasie existierten 1941 bereits neue Namen für ukrainische Städte. Sewastopol sollte nach der deutschen Krim-Annexion Theoderichshafen heißen, Simferopol Gotenburg. Auch gänzlich neue Ortschaften sollten auf dem Gebiet der heutigen Ukraine errichtet werden. Deutsche oder Personen „artverwandten Blutes“ aus Schweden, Dänemark oder den Niederlanden sollten sich dort ansiedeln. Denn laut NS-Rassenlehre galt: „Der Slawe ist eine geborene Sklaven-Masse, die nach dem Herrn schreit.“ Deutschlands koloniale Ansprüche endeten nicht mit dem Untergang der Kolonien in Afrika nach dem Ersten Weltkrieg – mit den Nazis verlagerten sie sich rund 20 Jahre später nach Osteuropa.
Dabei stand das ukrainische Territorium im Mittelpunkt von Deutschlands imperialistischen Plänen vom „Lebensraum im Osten“. Die Ukraine sollte den Nazis als Kornkammer dienen, das Dritte Reich mit Rohstoffen versorgen und ihm verlässlich Arbeitssklaven liefern. Laut NS-Rassenlehre sollten die ukrainischen „Untermenschen“ vernichtet oder von der „höheren arischen Rasse“ beherrscht werden. Wie in kaum einem anderen europäischen Land setzten die Nazis in der Ukraine auf ihren „Generalplan Ost“ (das Gesamtkonzept der Germanisierungspolitik), ihren „Hungerplan“ (bis zu 30 Millionen Bürger der Sowjetunion sollten ausgehungert werden) und die systematische Vernichtung aller europäischen Juden.
Die Massenerschießungen der Nationalsozialisten in der Ukraine
werden auch als „Holocaust durch Kugeln“ bezeichnet
Während die Wehrmacht nur für relativ kurze Zeit weniger als zehn Prozent des sowjetrussischen Gebietes besetzte, hielt die deutsche Armee die Sowjet-Ukraine die meiste Zeit des Krieges komplett unter ihrer Kontrolle. Besonders hart traf es Städte, die zuvor schon im Ersten Weltkrieg sowie im Holodomor gelitten hatten und heute im Zentrum des Putin’schen Angriffskriegs stehen. Charkiw etwa wurde in den 1940er-Jahren zweimal von den Nazis belagert und eingenommen.
Nach ihrem Einmarsch begannen die deutschen Truppen in vielen Städten damit, die jüdische Bevölkerung zu verhaften und systematisch zu ermorden. Die Massenerschießungen werden auch als „Holocaust durch Kugeln“ bezeichnet. In der Ukraine ereigneten sich zahlreiche dieser Massenmorde. In Drobyzkyj Jar bei Charkiw erschossen die Nazis ab Dezember 1941 bis zum Frühjahr 1942 etwa 16.000 Menschen, beim Massaker von Kamjanez-Podilskyj im August 1941 wurden rund 23.600 jüdische Kinder, Frauen und Männer ermordet – und in Babyn Jar bei der größten Erschießungsaktion der Shoah rund 33.700 Menschen in zwei Tagen. Neben Polen, Belarus und dem Baltikum war die Ukraine einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkrieges. Die Gesamtzahl der getöteten Ukrainer und Ukrainerinnen wird auf mehr als acht Millionen geschätzt.
Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte die Ukraine keine deutsche Unterstützung zu erwarten. Zwischen 1931 und 1934 verhungerten im Holodomor mehr als 3,9 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer. Auch die Deutschen beteiligten sich lange am Schweigen über dieses Verbrechen: „Am schlimmsten war die Lage im Norden des Amtsbezirkes. Aber auch in Odesa konnte man Menschen auf der Straße vor Hunger umfallen sehen“, schrieb der deutsche Konsul Paul Roth in einem Bericht für Berlin. Die deutsche Regierung war also trotz Stalins Geheimhaltung gut über die Verbrechen am ukrainischen Volk unterrichtet. Öffentliche Kritik, gar Schritte gegen den massenhaften Hungertod kamen aus Deutschland aber nicht.
Bis heute ist das deutsch-ukrainische Verhältnis keines auf Augenhöhe
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die deutsch-ukrainischen Beziehungen ebenfalls nicht sehr eng. In der DDR waren zwar mit der sowjetischen Armee Tausende ukrainische Soldaten stationiert, wie alle sowjetischen Soldaten hatten sie aber kaum Kontakt zur Bevölkerung. Die Politik der Bundesrepublik war dadurch gekennzeichnet, dass man vor allem Befindlichkeiten Moskaus wahrnahm. So wurde die Rolle der Ukraine als russischer Vasallenstaat im Westen übernommen.
Als die USA und weitere Nato-Mitglieder 2008 bereit waren, die Ukraine – zum Schutz vor Putins Militär – in die Nato aufzunehmen, verweigerte Deutschland die Zustimmung zu einem schnellen Beitritt, u.a. gemeinsam mit Frankreich und Italien. Man sei zur Überzeugung gelangt, sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass es „noch zu früh“ sei, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. Zur Begründung warnte ihr damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor einer Belastung der Beziehungen zu Russland.*
* Die in der Endredaktion überarbeitete Fassung des Textes wurde auf Bitten des Autors korrigiert. Zunächst stand hier: „Daran änderte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nur wenig. Ob bei NATO- oder EU-Beitritt, bei Waffenlieferungen oder der sicherheitspolitischen Stärkung der Ukraine – noch heute herrscht zwischen der Ukraine und Deutschland ein ungleiches Verhältnis, bei dem Deutschland trotz aller Unterstützung in der dominanten Position verbleibt.“
Titelbild: Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung