fluter.de: Marwan Bassiouni, für dein Projekt „New Dutch Views“ hast du die Aussicht aus Moscheen in den Niederlanden fotografiert. Darauf folgte „New Western Views“ aus Moscheen in der Schweiz und Großbritannien. Gibt es bald auch „New German Views“?
Marwan Bassiouni: „New Western Views“ ist ein langfristiges Projekt. Ich will nach Frankreich, in die USA und dieses Jahr auch noch in Deutschland fotografieren.
Hast du schon bestimmte deutsche Moscheen im Sinn?
Bei der Recherche habe ich Moscheen gefunden, die interessant scheinen. Bevor ich drin war, ist es aber schwer abzusehen, ob sie sich eignen. Mir geht es ja eben nicht nur um die Architektur, sondern um die Aussicht nach draußen. Und ich muss Zugang bekommen.
Was nicht so leicht ist?
Eigentlich schon. Ich schreibe ganz transparent, was ich machen will, und weiß, was ich tue. Und ich bin selbst Moslem, das hilft natürlich.
Wie kam es dazu, dass du aus den Fenstern von Moscheen fotografiert hast?
Ich bin halb Ägypter, halb US-Amerikaner, aber in einer Schweizer Kleinstadt aufgewachsen. Dort gab es keine anderen Kinder mit arabischem oder muslimischem Hintergrund. Repräsentation habe ich im Fernsehen immer nur aus einer negativen Perspektive erlebt – zum Beispiel im Kontext von 9/11. Ich hab mir schon als Jugendlicher gedacht, dass da ein ganz großer Teil ausgelassen wird. Auf der Kunsthochschule fing ich dann an, meine Erfahrung als Moslem in einem westlichen Land zu erkunden.
Bei einem anderen Projekt, „Prayer-Selfies“, fotografierst du deinen Gebetsteppich in verschiedenen Umgebungen.
Genau. Dann habe ich auch Moscheen fotografiert. Ohne eine spezifische Idee, einfach weil sie die Religion repräsentieren. Eines Tages schoss ich ein Bild von einem Fenster, und das Resultat hat mich fasziniert. Ich habe einfach immer mehr solcher Bilder gemacht und bin so auf die Landschaft dahinter aufmerksam geworden.
Du hast in der Schweiz und den Niederlanden gelebt. Gibt es von Land zu Land Unterschiede, wie der Islam wahrgenommen wird?
Ich denke, allein die jeweilige Berichterstattung über Moslems ist schon sehr vielsagend. Aber als Künstler und Fotograf ist es nicht meine Rolle, das zu analysieren. Was ich sagen kann, ist, dass die muslimischen Gemeinschaften selbst von Land zu Land schon sehr, sehr unterschiedlich sind.
Zum Beispiel?
In der Schweiz ist der Islam weitaus diskreter und unsichtbarer. Die Moscheen sind irgendwo versteckt, wo sie niemanden stören – sogar auf Dachböden. Das ist mir nirgendwo so aufgefallen wie in der Schweiz. Man hört immer von Minaretten- oder Burka-Verboten, als würde der Islam die Schweiz irgendwie bedrohen. Mit der Realität hat das wenig zu tun.
Was an der Arbeit fotografisch auffällt: Du stellst Vorder- und Hintergrund scharf.
Ich will dem Betrachter das Gefühl geben, er befinde sich wirklich in diesem Raum. Der Fokus soll aber auf dem Innen- und auf dem Außenraum liegen, damit das Bild quasi halb islamisch, halb westlich ist. Dafür nutze ich Mehrfachbelichtungen, die fangen mehr Details vom Inneren und vom Äußeren ein.
Wie reagieren denn die Leute auf deine Bilder?
Sie schauen sehr viel länger auf die „Western Views“ als auf andere Arbeiten. Das schätze ich, ich will Bilder schaffen, die zu tieferer Betrachtung einladen. Aber ich hatte auch eine Menge sehr schräge Reaktionen: Einige Leute werden rot und drehen sich weg. Manche werden richtig wütend und lassen mich all die schlechten Dinge wissen, die sie über den Islam denken. Kürzlich in der Schweiz war eine Frau sehr angetan von meiner Arbeit und beschrieb mir, was genau sie daran mochte. Ihr Mann hat währenddessen draußen gewartet, weil er es nicht ausstehen konnte, dass die Bilder Moscheen zeigen.
Wow.
Es gibt aber auch sehr wohlwollende Reaktionen. Zum Beispiel von anderen Muslimen, die mir erzählen, dass sie zum ersten Mal ihre Perspektive repräsentiert sehen – oder dass es wie ein Selbstporträt westlicher muslimischer Identität sei. Viele sprechen von einem Kontrast zwischen zwei Welten …
… aber ist es das für dich? Oder schlicht Teil ein und derselben Realität?
Ich denke, jeder sieht etwas anderes in den Bildern. Ich fotografiere einfach eine Moschee mit Aussicht auf eine Landschaft und suche dabei nicht nach Kontrasten, sondern nach der Seele dieser Orte. In der Arbeit geht es eher darum, dass jede Moschee mit ihrer Architektur, der Landschaft und ihrer Gemeinschaft einzigartig ist.
Steht „New Western Views“ deshalb im Plural? Weil es dir um diese vielen Einzigartigkeiten, um die Diversität der muslimischen Lebensrealitäten geht?
Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht. Ich lade dazu ein, die Dinge anders zu sehen – das ist das „New“ im Titel. „Dutch“ oder „Western“, weil diese Aussichten eben niederländisch oder westlich sind. Man kann darin lesen, was man will, für mich geht es um die Frage nach nationaler Identität und Islam. Ich bin Schweizer Muslim, nicht das eine oder das andere, und ich sehe nicht, weshalb diese beiden Dinge nicht zusammenstehen können.