Jede Woche trägt Sham Jaff Nachrichten aus Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen. Neben wichtigen Meldungen und Hintergrundinformationen gibt sie Podcast-, Serien- und Filmtipps und empfiehlt ein Musikvideo.
fluter.de: „What happened last week“ wird neun Jahre alt. Wie hat alles angefangen?
Sham Jaff: Ich wollte etwas Neues machen und Nachrichten aus Ländern des sogenannten Globalen Südens zusammenfassen, weil mir das während meines Politikwissenschaftsstudiums selbst total gefehlt hat. 2012 begann ich deshalb mit einem Blog auf Tumblr, zwei Jahre später wurde daraus der Newsletter. Ich muss sagen, dass ich den Begriff „Globaler Süden“ selbst etwas schwierig finde.
Warum?
Er ist praktisch, vereinfacht aber auch ein unglaublich großes Gebiet. Dazu wird er oft nur im Kontrast zum „Globalen Norden“ gebraucht.
Sollten Menschen mehr über diese Regionen lesen?
Nachrichten prägen unsere Meinung von der Welt. Jede:r hat Vorurteile, das ist erst mal völlig normal. Doch einseitige Berichterstattung kann sie verstärken. Bei immer gleichen Perspektiven auf den Globalen Süden – Armut, Konflikt, Migration – schalten die Leute ab. Stattdessen sollten wir versuchen, andere Länder und Menschen nuanciert darzustellen. Ich glaube, wenn man mehr über den kulturellen und politischen Kontext dieser Regionen weiß, wird man automatisch neugieriger und auch empathischer.
In Deutschland wird zum Beispiel von China ein einseitiges Bild vermittelt: versmogte Städte, gedrillte Kinder, aggressive Wirtschaft. Hatten Sie einen Moment, in dem Sie die Berichterstattungen der „Mainstream-Medien“ zum ersten Mal hinterfragt haben?
Ganz viele! Ich bin zum Beispiel oft unzufrieden darüber, wie einseitig die Leitmedien über kurdisches Leben in Deutschland berichten (Anm. d. R.: Sham Jaff ist im kurdischen Teil des Iraks geboren). Es leben schätzungsweise eine Million Kurd:innen hier, trotzdem wissen die meisten gar nicht, dass Kurd:innen verschiedene Sprachen wie Sorani und Kurmanci sprechen, verschiedene Religionen haben oder Newroz, das kurdische Neujahrsfest, feiern. Stattdessen geht es nur darum, ob das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in Deutschland verboten und als Terrororganisation eingestuft ist, aufgehoben werden soll oder nicht. Einen Aha-Moment hatte ich, als die „New York Times“ ein großes Dossier zu Haiti veröffentlichte – dort aber kaum Quellen aus dem Land selbst zur Sprache kamen.
Sie zitieren selbst oft die „New York Times“ oder die BBC – auch „westliche“ Medien des Globalen Nordens.
Es ist definitiv mein Ziel, diverse Quellen zu nutzen. Trotzdem informiere ich mich auch über westliche Nachrichtenportale. Mir geht es vor allem darum, Medien zu lesen, von denen ich weiß, dass sie Journalist:innen vor Ort haben, die dort schon jahrelang leben.
„Ich würde mir wünschen, dass etablierte Medien alte Strukturen aufbrechen und flexibler gestalten“
Wie finden Sie die Themen, über die sonst niemand spricht?
Erst mal schaue ich, worüber die etablierten Medien gerade schreiben, um mir dann die Frage zu stellen: Worüber wurde nicht geschrieben? Ich schaue mir an, womit sich NGOs, die in den Ländern des Globalen Südens arbeiten, gerade beschäftigen und ob selbstständige Journalist:innen aus der jeweiligen Region schon etwas dazu geschrieben haben.
Tatsächlich zeigt eine Studie, dass 2017 nur elf von 3.160 „Tagesschau“-Beiträgen von einer Hungersnot in Ostafrika berichteten, die 37 Millionen Menschen betraf und vom UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien als „größte drohende humanitäre Katastrophe seit Gründung der Vereinten Nationen“ bezeichnet wurde. Ist uns dieser Teil der Welt einfach egal?
Ich glaube, das ist ein Henne-Ei-Problem. In den Redaktionen heißt es: „Wir nehmen nicht noch mal Burkina Faso, das interessiert die Leute nicht.“ Kann sein, aber warum interessiert das niemanden? Weil die Menschen in Deutschland nichts über dieses Land wissen, weil sie in der Schule nichts über diese Region gelernt haben oder weil es nur negative Berichterstattung gibt und man dann keinen Bock mehr auf diese Nachrichten von dort hat. Hätten wir mehr Vorwissen, würden uns auch Nachrichten aus Burkina Faso interessieren. Die Welt ist so schön und vielfältig, ich kann mir vorstellen, dass Menschen viel neugieriger wären, gäbe es differenziertere Nachrichten. Wenn es immer nur darum geht, wie arm der Globale Süden ist, schürt das bloß Gefühle von Machtlosigkeit und Desinteresse.
Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der ARD sind drei deutsche Korrespondent:innen in Nairobi, Kenia. Sie berichten über fast 40 afrikanische Staaten und ca. 870 Millionen Einwohner. Für ganz Südostasien inklusive Australien sind drei in Singapur. Gleichzeitig gibt es in den USA drei Studios und 15 Korrespondent:innen.
Dass Korrespondent:innen für mehrere Länder verantwortlich sind, ist definitiv ein Problem. Manche sprechen nicht mal die Sprache der Länder, aus denen sie berichten, und haben aufgrund ihrer eigenen Herkunft kaum Berührungspunkte mit den dortigen Menschen, vor allem nicht mit marginalisierten Gruppen. Sie haben zwar vor Ort häufig Unterstützung von einem Netz aus Stringern (eine Person, die von Auslandskorrespondent:innen engagiert wird, um eine Story zu arrangieren, Anm. d. Redaktion), die mitrecherchieren, Kontakte herstellen, übersetzen. Aber selbst diese Hilfe reicht nicht aus, wenn man über zehn afrikanische Staaten gleichzeitig berichten soll. So bleibt Berichterstattung aus dem globalen Süden unvollständig.
Wie könnte man dieses Problem lösen?
Stringer sind selbst lokale Journalist:innen. Ich denke, sie wissen über die Länder, in denen sie leben, aus denen sie seit Generationen kommen, besser Bescheid als Korrespondent:innen, sie können anders und vielfältiger berichten. Redaktionen sollten ihre Arbeit ernst nehmen. Statt deutsche Kolleg:innen hinzuschicken, sollten sie in Übersetzung und Vernetzung investieren, um die lokale Bevölkerung selbst erzählen zu lassen.
Das mediale Gefälle zwischen dem Globalen Norden und Süden wurde schon seit dem Ende der 70er-Jahre kritisiert. Damals trieb die UNESCO die Debatte um eine „New World Information and Communication Order“ voran, also eine weltweite Neuordnung von Informationen und Kommunikation.
Zumindest was Unterhaltung und Kultur angeht, hat sich seit den 70er-Jahren wirklich etwas gebessert. Auf den bekannten Streamingkanälen laufen viele Serien aus dem Globalen Süden mit großem Erfolg, und die afrikanische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ist weltweit bekannt. Das kommt nicht von ungefähr, dafür setzen sich viele Menschen aktiv ein.
Was müsste sich ändern?
Ich würde mir wünschen, dass etablierte Medien alte Strukturen aufbrechen und flexibler gestalten. Die öffentlich-rechtlichen Medien finanzieren zum Beispiel nur Filme, die einen Bezug zu Deutschland haben. Dabei muss man nur einmal auf Netflix schauen, und man sieht, dass es da Produktionen wie „Squid Game“ gibt, die uns andere Kulturen näherbringen und in Deutschland extrem populär sind. Das Interesse ist also bereits da.
Titelbild: Francisco Arias/ ZUMAPRESS/ picture alliance, Varuth Pongsapipatt / ZUMAPRESS / picture alliance; Ahmed Jallanzo /EPA/ picture alliance