Auf den UN-Klimakonferenzen (COP) diskutieren Vertreterinnen und Vertreter aus 197 Ländern jedes Jahr für zwei Wochen eines der komplexesten Probleme der Welt: die Klimakrise. An der vergangenen COP in Dubai haben Zehntausende Delegierte, Industrielobbyisten, Umweltschützer, Wissenschaftler und Journalisten teilgenommen. Unter ihnen: Kulthoum Omari-Motsumi und Michai Robertson, um als Delegierte der 54 afrikanischen Länder beziehungsweise der kleinen Inselstaaten Lösungen im Kampf gegen den Klima-wandel zu verhandeln.
fluter: Auf den COPs geht es emotional zu. Menschen berichten, wie Fluten ihre Häuser unbewohnbar machen oder Dürren ihre Ernten zerstören. Delegierte, deren Heimatländer Krieg gegeneinander führen, müssen miteinander verhandeln. Kann man sachlich über das Klima debattieren?
Kulthoum Omari-Motsumi: Die Auswirkungen der Klimakrise erleben Menschen überall, in den ärmeren Ländern nur eben viel stärker als in reichen. Das Verhandeln ist eine Kunst, es geht darum, deine Botschaft auf die jeweils passende Art zu vermitteln. Manchmal verwerfe ich spontan eine vorgeschriebene Rede und improvisiere. Ich komme aus Botswana, einem Land, das sehr anfällig ist für Dürren. Warum soll ich einem Skript folgen, wenn ich die Klimakrise ständig erlebe und von Herzen sprechen kann?
Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen
Dann müssen Delegierte ihre Emotionen und Sorgen gar nicht draußen lassen?
Michai Robertson: Wenn du wütend bist, schreist du, und wenn du frustriert bist, weinst du. Das kommt schon vor. Wir versuchen aber, unsere Emotionen zu kanalisieren, zum Beispiel, um unsere Position zu untermauern. Manchmal kann man seinen Frust in etwas Positives umwandeln.
Die COPs folgen eigenen Choreografien. Die erste Woche gilt der Vorbereitung: Arbeitskreise filtern Kernfragen und mögliche Klimamaßnahmen für die Abschlusserklärung, die Regierungsvertreterinnen und Staatschefs in der zweiten Woche verhandeln. Wie viel erstreiten Sie denn wirklich noch vor Ort?
Robertson: Wir versuchen, die Positionen unserer Regionen schon lange vor der COP zu beschließen. Über Videokonferenzen geht das gut, auch wenn wir manchmal Probleme mit dem Internet haben. In den Tagen vor der COP gibt es eine „kleine Klimakonferenz“ in Bonn, da finalisieren wir unsere Positionen. Und definieren vor allem klare rote Linien, bei denen wir auf keinen Fall nachgeben.
Welche Qualitäten brauchen Verhandlerinnen und Verhandler?
Robertson: Aktives Zuhören ist unterschätzt: Viele hören sich gern selbst sprechen. Um gut zu verhandeln, musst du aber verstehen, woher die Leute kommen, egal, ob du ihre Ideologie oder Perspektive gutheißt. Verhandlungsführer finden Kompromisse, ohne das, was sie vertreten, zu vernachlässigen.
„Die Herausforderung für uns Entwicklungsländer ist, dass wir nicht genügend Leute haben. Delegierte sind oft gezwungen, bis zu 20 Stunden am Stück zu verhandeln“
Omari-Motsumi: Man muss die verschiedenen Strategien der Verhandlungspartner verstehen. Manche setzen auf die Wissenschaft, andere auf ihre Erfahrungen oder juristischen Kenntnisse. Die Herausforderung für uns Entwicklungsländer ist, dass wir nicht genügend Leute haben.
Länder wie Deutschland, die USA oder Brasilien leisten sich immer größere Delegationen. Je kleiner die Delegation, desto weniger kann man sich in den langen Verhandlungen abwechseln, um auszuruhen. Kann man so überhaupt gute Entscheidungen treffen?
Robertson: Erschöpfte Delegierte schaden den Verhandlungen sehr. Manche Staaten entsenden einen einzigen Verhandlungsführer, der sich in den zwei Wochen um viele Dinge gleichzeitig kümmert und Entscheidungen in Eile treffen muss.
Omari-Motsumi: Die Delegierten der Entwicklungsländer sind oft gezwungen, bis zu 20 Stunden am Stück zu verhandeln. Wir versuchen deswegen, die Gespräche früh voranzutreiben. Und laut darauf hinzuweisen, dass kleine Länder nicht den Luxus haben, die Verhandlungsführer zu wechseln.
Wie wirkt sich das auf die Verhandlungen aus?
Robertson: Ein Weg ist, zu sagen: Nein, wir beenden die Sitzung, wir brauchen eine Pause. Das habe ich schon ein paarmal gemacht. Solange nicht alle Parteien vertreten sind, darf nichts beschlossen werden. Aber solche Unterbrechungen müssen die Ausnahme bleiben. Es soll nicht wirken, als würden wir die Konferenz aufhalten. Am Ende braucht man jede Minute, wir müssen uns aus Hunderten Seiten Text mit verschiedenen Versionen auf eine Abschlusserklärung einigen.
Omari-Motsumi: Eine Realität ist leider, dass die schwierigeren Entscheidungen dabei oft auf das Ende der Konferenz verschoben werden, wenn wir extrem müde sind. Manchmal stimmen wir dann einfach zu. Eine unserer Strategien ist deshalb, schon früh nach Konferenzbeginn viele Diskussionen zu führen, wenn man noch frisch ist.
„Um fit zu bleiben, haben wir immer Nüsse im Gepäck, besonders zum Ende der Konferenz. Und über die Nüsse wird nicht verhandelt, die teilen wir“
Wie bleibt man möglichst lange frisch?
Omari-Motsumi: Wir haben immer Nüsse im Gepäck, besonders zum Ende der Konferenz.
Robertson: Am Anfang gehen wir in den Supermarkt und decken uns ein. Das ist schon Tradition.
Omari-Motsumi: Ob aus Afrika oder Europa oder woher auch immer: Über die Nüsse wird nicht verhandelt, die teilen wir.
Wird es denn auch hitzig hinter den geschlossenen Verhandlungstüren?
Robertson: Hinter verschlossenen und offenen Türen.
Omari-Motsumi: Als wir 2015 das Pariser Abkommen verhandelt haben, hat es am Ende ziemlich geknallt. Da war zu merken, dass wir gerade Ergebnisse erzielen, dass wir Dinge festschreiben, die wirklich den Kern berühren. Aber so hitzig wird es vergleichsweise selten, weil größtenteils erfahrene Diplomaten und hohe Regierungsbeamte dabei sind.
Prallen da auch verschiedene Verhandlungsstile aufeinander?
Robertson: Auf jeden Fall. Manche sind sehr laut, andere ruhig und gelassen. Manche verlassen sich auf bestimmte Instrumente. Ich kenne zum Beispiel jede Menge großartiger Geschichtenerzähler unter den Verhandlungsführern der kleinen Inselstaaten. Wenn du dich in technischen Details verlierst, kann das den Fokus auf die Realität zurückbringen.
Omari-Motsumi: Als ich das erste Mal zu den Verhandlungen kam, dachte ich ständig: Wir sind uns einig, das ist fantastisch! Damals wusste ich nicht, dass es eine Menge Untertöne gibt, dass viel zwischen den Zeilen gesagt wird.
„Ein Land, das gegen eine Lösung ist, auf die sich hundert andere Länder geeinigt haben, kann alle als Geiseln nehmen. Das ist schon mehrmals vorgekommen“
Wird auch außerhalb der Verhandlungsräume diskutiert?
Omari-Motsumi: Informelle Treffen sind sogar ziemlich wichtig. Gut funktioniert die Flurstrategie: Man trifft sich draußen mit einem Verhandler der Gegenseite und spricht bei einem Kaffee weiter. Manchmal hilft es, wenn man sich gerade nicht wie in einer Verhandlung fühlt.
Auf der COP gilt das Konsensverfahren: Ein Beschluss scheitert, wenn nur ein einziges Land widerspricht. Manche kritisieren, dass man sich so nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann. Was denken Sie?
Robertson: An der Kritik ist was dran. Wir sind an das Tempo der starrsten Parteien gebunden und treffen in der Regel Entscheidungen, die weniger ehrgeizig und weniger effektiv sind, als sie sein sollten.
Omari-Motsumi: Und ein Land, das gegen eine Lösung ist, auf die sich hundert andere Länder geeinigt haben, kann alle anderen als Geiseln nehmen. Das ist schon mehrmals vorgekommen. Auf der anderen Seite: Ohne Konsensprinzip könnten die mächtigen Staaten versuchen, sich in Gruppen auf bestimmte Dinge zu einigen. Dank des Konsensprinzips wird auch den kleinsten Staaten zugehört, und man denkt darüber nach, warum eine Gruppe vielleicht noch nicht so weit ist.
Robertson: Die Einstimmigkeit gibt der Konferenz eine Legitimität, die kein anderes Klimaforum hat. Bei allem Streit, bei aller Kritik ist die COP also vermutlich das beste Format, um die Klimakrise global anzugehen.
Auf der diesjährigen COP29 wird Kulthoum Omari-Motsumi für die afrikanische Gruppe im Bereich Anpassungsfinanzierung verhandeln. Also über die Gelder, die es armen Ländern ermöglichen sollen, sich an unabwendbare Klimafolgen anzupassen.
Michai Robertson aus Antigua und Barbuda verhandelt für die Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) im Bereich Finanzierung. Die sei für Entwicklungsländer besonders wichtig, damit sie sich überhaupt Klimaschutzmaßnahmen leisten können.
Titelbild: Joseph Eid/AFP via Getty Images