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Meine Straße, mein Zuhause, mein Block

Die sogenannten Superblocks sind Stadtviertel, die Autos aussperren. Sie sollen für die Menschen gemacht sein und werden in immer mehr Städten erprobt

  • 7 Min.
Superblock Barcelona

Auf der Laxenburger Straße in Wien ist es laut. Autos rasen über den grauen Asphalt, Motorräder hinterher, die Straße ist viermal so breit wie der Bürgersteig. Biegt man um die Ecke, ist mit einem Mal alles ruhig. In der Gudrunstraße kicken Kinder einen Ball hin und her, ein Café hat seine Tische auf die Straße gestellt, Pflanzkübel begrünen die Straße. Man merkt: Städte sind nicht laut. Autos sind es. 

Das „Supergrätzl“ im Wiener Bezirk Favoriten ist der Versuch, das Konzept der sogenannten Superblocks nach Österreich zu bringen: Abgegrenzte und verkehrsberuhigte Gebiete mitten in der Stadt, in denen der Fuß- und Fahrradverkehr und das soziale Leben im Mittelpunkt stehen sollen. 

Das Konzept stammt aus Barcelona (siehe Foto oben). Die ehemalige Bürgermeisterin Ada Colau hatte es zum ersten Mal in ihrem Mobilitätsplan „Superilla Barcelona“ präsentiert. Bis 2030 sollen weite Teile der Innenstadt von verkehrsberuhigten Straßen durchzogen sein, auf denen Autos nur im Schritttempo fahren dürfen, an Kreuzungen sollen begrünte Plätze mit Bänken oder Klettergerüsten entstehen. Viele Städte in Europa versuchen nun ebenfalls, Superblocks einzurichten. Hamburg plant die Superbüttel, Berlin die Kiezblocks, Köln die Superveedel, Wien hat eben seine Supergrätzl und auch in Leipzig gibt es einen Superblock.

Der Sündenfall der Verkehrspolitik

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele westdeutsche Städte nach der „Charta von Athen“ wiederaufgebaut. Dabei handelt es sich um einen Plan, der 1933 auf dem Internationalen Städtebaukongress verabschiedet wurde. Er sah vor, dass Städte vor allem autogerecht sein sollten. Das Auto versprach vielen Freiheit, Fortschritt und Wohlstand. Bürgersteige wichen Parkplätzen, Häuser wurden zugunsten breiterer Straßen abgerissen, Parks und Grünflächen verschwanden, Fußgängerunterführungen wurden gebaut.

„Zeitgleich entstanden damals zahlreiche Satellitenstädte – reine Wohnviertel, die ohne eigene Infrastruktur um die Kernstädte herumgebaut wurden“, sagt Andreas Knie, Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Verbunden wurden die Kern- und Satellitenstädte durch Schnellstraßen. „Fortan hatten die Bewohner also gar keine andere Wahl mehr, als mit dem Auto einkaufen zu fahren.“ 

Rushhour auf der Friedrichstraße in Berlin (Foto: Paul Langrock/laif)
Rushhour auf der Friedrichstraße in Berlin (Foto: Paul Langrock/laif)

Eine Folge: Die Autos mussten auch irgendwo geparkt werden. 1966 fällte das Bundesverwaltungsgericht das „Bremer Laternenparker-Urteil“. Seither dürfen Autos auf öffentlichen Flächen, etwa Straßen, parken. Vorher war das nur auf Privatgrundstücken möglich. „Das war der Sündenfall der Verkehrspolitik und Stadtplanung“, meint Knie. „Damit war die Dominanz des Autos besiegelt.“ 

Das hat auch Auswirkungen auf die Psyche. Mazda Adli ist Psychiater und Stressforscher und untersucht an der Charité Berlin den Einfluss der Stadt auf die mentale Gesundheit. Auch er kritisiert die Verbreitung des motorisierten Verkehrs. „Eine autogerechte Stadt ist oftmals keine menschengerechte Stadt“, sagt Adli. Sie habe Lärm, Stress, schmutzige Luft und eine hohe Feinstaubbelastung zur Folge, außerdem gebe es so – und wenn Grünflächen fehlten – kaum öffentlichen Raum, an dem soziales Leben stattfinden könne. 

„Superblocks passen nicht zu allen Städten“ 

Durch Superblocks oder verkehrsberuhigte Zonen kann öffentlicher Raum gewonnen werden, der an die Bedingungen des Klimawandels angepasst und neu nutzbar ist. Doch das sieht nicht überall gleich aus. „Superblocks passen nicht zu allen Städten“, so Knie. „Denn andere Städte haben oft nicht die notwendige bauliche Kompaktheit, die für die Superblocks aber unbedingte Voraussetzung ist.“

In Wiens Supergrätzl etwa sollen während der Pilotphase 2021 und 2022 bis zu 76 Prozent der Autofahrer die Poller, die die Straße absperren, umfahren haben. Daraufhin wurden zusätzlich Pflanzkübel aufgestellt. Außerdem wurden zeitweise Liegestühle oder Brettspieltische für Kinder aufgebaut, damit die Straße zum erweiterten Wohnzimmer wird und die Lebensqualität fördert. Nach der Pilotphase kommt die Umsetzung: Bis zum Herbst 2024 wird der Supergrätzl im Bezirk Favoriten umgebaut. Grünbereiche und Wasserspiele werden angelegt, neue Bäume gepflanzt. Im Frühjahr 2025 soll dann noch eine Fußgängerzone dazukommen.

In München koordiniert Sylvia Hladky seit 2020 die Mobilitätsthemen bei der Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN). Ihr Ziel ist es, einen Superblock im Stadtteil Westend zu errichten. Dafür hat die Stiftung über drei Jahre hinweg sogenannte Straßenexperimente durchgeführt, bei denen gemeinsam mit den Anwohner:innen getestet werden soll, welche Änderungen das Viertel lebenswerter machen könnten. Die Initiative hat zum Beispiel 40 Schrägparkplätze umgewidmet und stattdessen für unterschiedliche Mobilitätsangebote genutzt: Dort gab es dann Car- und Lastenrad-Sharing, eine Fahrradabstellanlage und Hochbeete. Außerdem wurden Nachbarschaftsangebote wie Yoga und Picknicks erprobt.

Gewerbetreibende sorgen sich um ihre Kundschaft

Ein großes Learning gab es dabei: „An heißen Tagen kann eine Asphaltfläche noch so schön gestaltet sein, sie heizt sich einfach zu sehr auf“, so Hladky. „Daher wurden 2023 auf zehn Parkplätze in der Kazmairstraße Bäume in Kübeln gestellt und aus der Straße eine Allee gemacht. Das fanden bis auf einen Anwohner alle toll.“

In Berlin wurde eine Verkehrssperre in der Friedrichstraße 2023 wieder aufgehoben. Geklagt hatte ein Bündnis aus Gewerbetreibenden, Gastronom:innen und Hoteliers. Auch die Sorge vor Gentrifizierung ist eng mit der Idee der Superblocks verbunden: Wo sich die Lebensqualität verbessert, steigen oft auch die Mieten. Die Gefahr sieht auch Sylvia Hladky. Trotzdem hält sie Veränderungen im Verkehr für alternativlos. „Wir müssen uns auch in der Stadt an den Klimawandel anpassen, sonst sind die Innenstädte irgendwann nicht mehr nutzbar. Wir können Änderungen nicht aus Angst vor Nebeneffekten bleiben lassen“, so Hladky. „Außerdem gäbe es diesen Effekt nicht, würde man die Änderungen großflächig umsetzen.“ Im Münchner Westend sieht Hladky die Gefahr jedoch ohnehin nicht: Das Viertel besteht zu großen Teilen aus Genossenschaftswohnungen.

Sylvia Hladky und ihre Initiative können mittlerweile einen Erfolg feiern. Mitte Juli hat der Stadtrat ​​zwei solcher „Nachbarschaftsviertel“, wie die Münchner Version getauft wurde, beschlossen. Am Westend und am Gärtnerplatz soll nun also ab 2025 getestet werden, ob das Konzept der verkehrsberuhigten Quartiere auch in der bayerischen Landeshauptstadt funktioniert. Bald könnten also auch in München spielende Kinder, Liegestühle und Hochbeete statt Autos das Straßenbild prägen. 

Titelbild: Samuel Aranda/The New York Times/Redux/laif

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.