Noch 60 Minuten bis zum Anpfiff, und ich habe einen Riesenhunger. „Mach dir mal keine Sorgen“, sagt mein Freund, „das ist ein Stadion für fast 95.000 Menschen. Da wird es schon was zu essen geben.“ Übermorgen geht unser Flug zurück nach Deutschland, ein Heimspiel der Kaizer Chiefs – eine von Südafrikas bekanntesten Mannschaften – soll der krönende Abschluss des Urlaubs sein. Einmal in so einem riesigen WM-Stadion zu sitzen und afrikanische Fußballbegeisterung zu spüren, das interessiert sogar mich als Nichtfußballfan.
Ich steuere den Mietwagen über den Parkplatz, vor uns, am Rande der South Western Townships von Johannesburg, liegt im Licht des Sonnenuntergangs ein orangefarbener Klotz: die FNB-Arena, auch bekannt als „Soccer City“. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika war sie der symbolträchtigste Ort, Auftakt- und Endspiel fanden hier statt. Der Umbau des 1989 eröffneten Stadions hatte 312 Millionen Euro gekostet. Dafür kann es nun in Sachen Größe und Ausstattung mit den Arenen der europäischen Topvereine mithalten.
Nun war die Saison für die Kaizer Chiefs bereits gelaufen. Sie standen auf einem guten dritten Platz, aber die Meisterschaft konnten sie in diesem Jahr nicht mehr gewinnen. Südafrikaner hatten uns gewarnt, dass das Spiel nicht sonderlich begehrt sein würde. Als wir in der Ticketschlange die Einzigen sind, sind wir dann aber doch irritiert. Gemeinsam mit wenigen Fans in den orangefarbenen Trikots der Kaizer Chiefs gehen wir hinein.
Vom Eingang aus kann ich bereits die vielen bunten Schilder sehen, die frittiertes Huhn, Bier und Steaks versprechen. Doch die Jalousien der Buden sind verschlossen, nur ein paar fliegende Händler bieten Fanartikel an, die sie auf Decken auf dem Boden ausgebreitet haben. Erst nach einigem Umherirren finden wir einen geöffneten Essensstand, eine ältere Frau steht darin, sie grillt in einem Pappkarton. Die Speisekarte gelte heute nicht, sagt sie: „Middle of the month, no money for people.“
45 Prozent der Südafrikaner leben unterhalb der Armutsgrenze
Bilder von Menschen, die am Monatsersten in langen Schlangen vor den Geldautomaten standen, kommen mir in den Kopf. Überall in den südafrikanischen Städten hatte ich sie gesehen. Zwar kostet ein Ticket nur 40 Rand, das sind rund 2,70 Euro. Doch das ist eben auch ein Drittel der monatlichen Miete in einem Township-Mehrbettzimmer, wie ein Einheimischer uns erzählt hatte. Und 45 Prozent der schwarzen Südafrikaner leben unterhalb der oberen Armutsgrenze von 7.500 Rand im Jahr, das sind etwa 515 Euro.
Wir kaufen der Frau ihre einzigen beiden Steaks ab. Sie erzählt, dass das Stadion seit der WM kein einziges Mal mehr voll gewesen sei. Die WM habe zwar bis heute Touristen nach Südafrika gebracht – doch dass sie sich hierher verirren, sei eher selten. Auch am Bierstand herrscht Leere: Zehn junge Männer stehen hinter dem Tresen, bereit, ihre einzigen Gäste zu bedienen. Einer von ihnen jubelt kurz auf, als wir uns für ihn entscheiden.
Wie Ufos stehen die Stadien in der Landschaft herum
Dabei ist Soccer City das einzige der zehn WM-Stadien, das schwarze Zahlen schreibt – dafür sorgen etwa die besser besuchten Heimspiele der Kaizer Chiefs und Parteiveranstaltungen des regierenden African National Congress. Alle anderen Stadien machen Verluste, viele gelten als „Weiße Elefanten“, fremd wie Ufos stehen sie in den Städten herum und finden fast keine Nutzer. Potenzielle Mieter wie die populären Rugbyvereine in Kapstadt und Durban möchten lieber in ihren angestammten Heimspielstätten bleiben.
Vor allem das effektvoll an den Fuß des Tafelberges gebaute Stadion in Kapstadt belastet die öffentlichen Kassen, mehrere Millionen Euro Unterhaltungskosten sind es im Jahr. Ein Schicksal, das auch einigen Spielstätten der WM 2014 in Brasilien prophezeit wird, vor allem der Bau der Arena da Amazônia in der Urwaldstadt Manaus wurde oft kritisiert – entworfen wurde sie übrigens vom deutschen Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, das auch die südafrikanischen Stadien in Kapstadt, Port Elizabeth und Durban geplant hatte.
Nur bei der Trauerfeier für Nelson Mandela war das Stadion gut gefüllt
Auch zum Spiel der Kaizer Chiefs sind an diesem Mittwochabend nur rund 2.000 Menschen erschienen. Diese sind allerdings fröhlich: Viele lächeln uns an, fragen, woher wir kommen. Ob wir für „Bayern Munich“ oder „Dortmund“ seien. Ein Vortänzer turnt in den Pausen auf dem Rasen herum, als Reaktion bekommt er Vuvuzela-Getute. Am Ende verlieren die Kaizer Chiefs 0:1, aber so richtig sauer scheint niemand zu sein.
Zurück in Deutschland, lesen wir viel nach über die Folgen der WM in Südafrika. Tatsächlich kommen seit dem sportlichen Großereignis mehr Touristen ins Land. Die Durchschnittsbürger bekommen von dieser positiven Entwicklung allerdings nur wenig mit. Noch immer kann sich ab Monatsmitte kaum ein Südafrikaner eine Eintrittskarte für das Stadion von Johannesburg leisten. Bei einer Sache hatte die Frau mit dem Pappkarton allerdings unrecht: Das Stadion war seit der WM sehr wohl noch einmal gut gefüllt gewesen. Das war vor drei Monaten, bei der Trauerfeier für Nelson Mandela.
Charlotte Haunhorst arbeitet als freie Journalistin in München. Nicht alles, was sie in ihrem Urlaub in Südafrika erlebt hat, war so unspektakulär wie das Fußballspiel in Johannesburg. Als sie ihr erstes wildes Nilpferd sah, war sie sie so aufgeregt, dass eine beistehende Südafrikanerin sie irritiert fragte, ob es in Deutschland denn keine Nilpferde in freier Wildbahn gäbe.