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Bist du wahnsinnig?

Die Schule vor dem Abi schmeißen und was Unternehmerisches wagen? Simon hat’s gemacht

Wirt

Seit Beginn der Oberstufe ging Simon nicht mehr gern zur Schule, und wenn er überhaupt mal dort auftauchte, kam er meist zu spät, obwohl das Gymnasium um die Ecke war. Als er nach den Herbstferien von einem Trip nach Amsterdam wiederkam, wurde es noch schwerer. Schließlich entschied der damals 17-Jährige, gar nicht mehr hinzugehen. „Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf Schule“, sagt er heute mit einem verlegenen Grinsen auf dem Gesicht.

Während sein Vater diese Entscheidung hinnahm, war seine Mutter ziemlich besorgt, und seine Freunde verstanden nicht, warum er so kurz vor dem Abitur einfach aufgab. Simon selbst wusste nicht mal so genau, was er stattdessen machen wollte – also tat er erst einmal das, was er eh schon kannte: arbeiten. Seit er 16 war, hatte Simon einen Minijob in einem Getränkemarkt. Ein- bis zweimal die Woche saß er dort an der Kasse, sortierte Waren und half den Kunden.

Geschäftstüchtiger Schulabbrecher

Andere junge Menschen träumen vielleicht von einer Influencerkarriere, einem Startup oder einem eigenen Café, Simon kam auf eine andere Idee: Er malte sich aus, wie es wäre, den Getränkemarkt zu übernehmen, wenn sein Chef mal in Rente gehen würde. Als er dem das erste Mal davon erzählte, lachte der nur. Aber nachdem Simon die Schule verlassen hatte, wirkte seine Idee plötzlich gar nicht mehr so seltsam. Um die Übernahme zu finanzieren, suchte er sich noch einen weiteren Job als Lagerarbeiter. Die komplette Summe konnte er so immer noch nicht aufbringen, darum lieh er sich das restliche Geld von seiner Familie. Und sein ehemaliger Chef ließ sich schließlich auf Ratenzahlung ein. Ein Jahr nach seinem Entschluss, nicht mehr zur Schule zu gehen, betrat Simon den Getränkemarkt als Geschäftsinhaber.

Alm

Was macht man, ohne Abitur und Studium? Man kann zum Beispiel eine Berggaststätte pachten

„Mein Dad ist selbstständig. Ich wollte wahrscheinlich ein bisschen in seine Fußstapfen treten“, sagt er. Ironischerweise unterschied sich der neue Alltag gar nicht so sehr von dem, dem er entkommen wollte. Wie die Schule begann der Tag im Getränkemarkt um acht Uhr morgens – und wie zu Schulzeiten fiel es Simon immer noch schwer, früh aufzustehen. Aber konnte er dort manchmal erst zur dritten Stunde kommen, war das im Getränkemarkt nicht möglich. Schlief er, schlief schließlich auch das Geschäft.

Selbst das Büffeln blieb Programm. Nach zehn Stunden Arbeit saß er abends noch mit seinem Vater vor der Buchhaltung: Rechnungen, Versicherungen, Unterlagen vom Finanzamt. Auf nichts von alldem war er in der Schule vorbereitet worden. Nun lernte er eifriger als zuvor – die Disziplin kam mit der Motivation für den eigenen Laden.

Sechs Tage die Woche schuftete er am Anfang, nahm keinen Urlaub und ging kaum auf Partys. Erst allmählich wurde es entspannter, er stellte Aushilfen ein – selbst ein paar seiner Freunde fingen bei ihm an. Im zweiten Jahr stieg dann einer seiner Brüder ins Geschäft ein. Zusammen entwickelten sie weitere Ideen: einen Stand auf Straßenfesten oder Grillfisch vor dem Getränkemarkt für die Kunden. Das Geschäft sei so gut gelaufen, dass er bereits nach drei Jahren seine Schulden komplett abbezahlt hatte, sagt Simon.

Eigentlich wollte Simon mit einer Bar im Münchner Nachtleben mitmischen – doch es kam ganz anders

Ein Jahr später beschloss er, den Getränkemarkt ganz seinem Bruder zu übergeben. Sechs Monate reiste er um die Welt, dann kehrte er zurück und stand wieder vor der Frage: Was mache ich nun? Schließlich stieß er auf eine Anzeige: Am Sendlinger Tor – mitten in der Münchner Innenstadt – wurde eine Bar verpachtet. Gastronomie war schon immer Simons großes Ziel, er wollte den Laden. Zusammen mit seinem Freund Norbert schrieb er ein Konzept und bewarb sich erfolgreich um einen privaten Kredit. Doch eine Stunde vor Vertragsunterzeichnung ging die Bar an einen Mitbewerber. Statt das Münchner Nachtleben mitzugestalten, fuhr Simon erst mal zu seiner Oma nach Ruhpolding in die Chiemgauer Alpen. Aus Langeweile suchte er auf einer Immobilienwebsite nach Angeboten in der Gegend und stieß auf eine Anzeige: „Berggasthof zu verpachten“ – null Bilder. Simon machte einen Besichtigungstermin aus, eigentlich nur aus Jux, schließlich wollten er und Norbert eine urbane Bar aufmachen und kein Restaurant in einer Naturidylle. Doch die Entscheidung war schnell gefallen: Sie wollten die Alm pachten. Der Panoramablick und der alte Kachelofen im Gastraum waren einfach zu schön.

Nun sind Simon und Norbert Geschäftsführer des Gasthofs „Brandler Alm“. Nur einen Monat Zeit hatten sie bis zur Eröffnung. Die kitschige Deko aus Herzen und Tieren musste verschwinden, ein Koch und Bedienungen gefunden werden und die Speisekarte „bayerischer“ werden. Neben dem Wild, das von den örtlichen Jägern stammt, finden sich nun auch handgemachte Spätzle darauf. Im großen Garten wachsen Gemüse und Kräuter.

Simon Felber

Wer nix wird, wird Wirt – so hieß es früher. Simon sieht das anders

Am Anfang hatten sie auch älteres Personal, heute sind alle in Simons Alter, also so um die 25. Er hat gemerkt, dass es schwer ist, wenn der Chef jünger ist als die Angestellten. Nun sind wieder ein paar alte Freundinnen und Freunde im Team. „Wir kochen auf Gastro-Niveau, aber halt trotzdem unter Freunden, das ist schon geil“, freut er sich.

„Hätte ich damals einfach durchgezogen, besäße ich jetzt ein Abitur“, sagt Simon rückblickend. Bei allem Erfolg hat er gemerkt, dass man ohne Ausbildung oder Abitur meist Umwege gehen muss, um Projekte umzusetzen. Gerade wenn es um die Finanzierung geht, wollen Banken einen Abschluss sehen. „Und damit steht und fällt einfach fast jedes Projekt.“

Auch im Ausland habe man es ohne Abschluss schwerer. Gerade aber hat er herausgefunden, dass die Industrie- und Handelskammer eine besondere Abschlussprüfung anbietet, wenn man zuvor viereinhalb Jahre beruflich in einer Branche tätig war. Schon bald könnte Simon also ganz offiziell Einzelhandelskaufmann sein und damit einem seiner nächsten Träume noch ein bisschen näher kommen: nach Costa Rica gehen und dort eine ökologische Landwirtschaft aufmachen – mit angeschlossenem Hostel am Strand.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.