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Die müssen dran glauben

Um Indigene zu ihrem Glauben zu bekehren, reisen Evangelikale in die letzten Winkel des Amazonas. Sie lassen „reifende Gemeinden“ entstehen, sagen die Missionare. Sie bringen Indigene in Gefahr, sagen Beobachter und NGOs

Taufe

„Gott wird alles tun, damit die Menschheit sein Wort erhört“, predigt Edward Luz. „Sollte ein Helikopter notwendig werden, stellt er ihn bereit.“ Anfang 2020 haben sich 120 Evangelikale um ihren Präsidenten Luz in Rio de Janeiro zusammengefunden, um zu feiern. Denn Gott und Hunderttausende Dollar Spendengelder haben ihrer Missionarsgruppe MNTB tatsächlich einen eigenen Helikopter ermöglicht. „Dies ist nicht der Helikopter von MNTB, dies ist der Helikopter Gottes“, sagt sein Pilot Jeremiah Diedrich.

Das Titelbild zeigt die Taufe eines indigenen Teenagers durch den evangelikalen Pastor Ricardo Piquiviqui. Ian Cheibub fotografiert seit Jahren Missionen im Amazonas. Die Fotos auf dieser Seite hat er aber nicht im Javarital gemacht, sondern bei den Krikati im Bundesstaat Maranhão.

MNTB steht für Missão Novas Tribos do Brasil. Die Gruppe gehört zum internationalen Missionswerk Ethnos360, das das Evangelium an unkontaktierte Stämme herantragen will. 115 solcher Stämme gibt es in Brasilien, 113 davon in Amazonien, ein Großteil lebt im Javarital. Hier, in einem abgelegenen Teil im Westen Brasiliens, sollen auf einer Fläche von der Größe Österreichs so viele unkontaktierte indigene Gruppen leben wie nirgendwo sonst auf der Welt. Oder in den Worten von MNTB-Pilot Diedrich: „Javari ist der dunkelste, am schwierigsten zu erreichende Ort in ganz Südamerika.“ Mit dem neuen Hubschrauber gelangen die Missionare künftig leichter in indigene Gebiete.

Indigene Gruppen genießen besonderen Schutz in Brasilien. Seit 1988 ist jegliche Kontaktaufnahme, explizit auch Missionaren, verboten. MNTB-Präsident Luz hält das Verbot für verfassungsfeindlich: „Wer das Evangelium verbietet, verbietet die Religionsfreiheit, verbietet den Verkünder des Evangeliums, Jesus Christus, verbietet die Bibel, verbietet unseren Schöpfer, Gott. Dagegen wehren wir uns.“

Messe
Im Namen deines Vaters, deines Sohnes und deines heiligen Geistes: Der Anteil der evangelischen Krikati ist in den vergangenen zehn Jahren gestiegen

Das heutige Missionswerk Ethnos360 wurde 1942 als New Tribes Mission gegründet. Die Gruppe war seit Beginn in Amazonien aktiv. 1982 überflogen ihre Missionare mit einem Propellerflugzeug das Territorium der indigenen Gruppe der Zo’é, sahen eine Ansammlung von Hütten und machten es sich zur Aufgabe, ihren Gott an diesen Ort zu bringen. Es sollte laufen wie immer: Die Missionare lernen die Sprache der Indigenen, bringen ihnen das Lesen bei und übersetzen die Bibel. Sie begannen „Geschenke“ vom Himmel abzuwerfen – Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Kämme oder Töpfe, aber auch Bibeln und Schmuck – und errichteten 1987 ein Missionscamp am Rande des Territoriums der Zo’é, die erstmals in ständigen Kontakt mit Außenstehenden kamen.

Immer wieder drangen Missionare in das Gebiet ein. Die Zo’é verweigerten jede Kontaktaufnahme. Im November 1987 erschienen rund 100 Indigene im Basecamp der Missionare. Keiner sprach des anderen Sprache. Trotzdem wurde klar, was die Zo’é wollten: Sie legten den Missionaren gebrochene Pfeile zu Füßen. Ein Zeichen, dass sie sich wehren würden, sollten die Missionare erneut vordringen.

Die Missionare bringen Geschenke – aber auch Viren, die für Indigene oft noch schlimmere Folgen haben

Dazu kam es nicht: Unter den Zo’é verbreiteten sich Malaria und Influenza; Krankheiten, die sie nicht kannten und gegen die sie keine Antikörper hatten. In den folgenden zwei Jahren starb ein Viertel bis ein Drittel des Stammes. Das Vorgehen der New Tribes Mission war einer der Gründe, warum die Kontaktaufnahme zu indigenen Stämmen 1988 in Brasilien verboten wurde.

Anfang 2020, als Luz und Diedrich den neuen Helikopter vorstellten, wurden in Asien die ersten Corona-Fälle bekannt. Kurz darauf erreichte das Virus Brasilien, dann Amazonien und schließlich die indigenen Dörfer, die über die Flussverbindungen, Handel oder Familienbesuche zumindest sporadisch Kontakt zu anderen Menschen haben. Das Virus hatte – wie so oft bei Indigenen – verheerende Folgen. In keinem anderen Bundesstaat starben mehr Indigene an Covid-19, obwohl viele von ihnen als Angehörige unkontaktierter Stämme besonders geschützt schienen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt plante MNTB neue Missionen.

Bibel
Ein US-amerikanischer Missionar lebte jahrelang im Reservat, um Krikati-Timbira zu lernen und die Bibel in die indigene Sprache zu übersetzen. Die sogenannte „dritte Missionarswelle“ könnte MNTB und Co. die Arbeit erleichtern: Jetzt sollen die Indigenen selbst Indigene missionieren

Univaja, die Indigenenorganisation des Tals, suchte daraufhin Hilfe bei FUNAI. Sie ist die brasilianische Behörde, die alle Angelegenheiten von Indigenen beaufsichtigt, darunter die Einhaltung des Gesetzes von 1988. Die FUNAI kann selbst der Polizei oder der Staatsanwaltschaft verbieten, indigenes Territorium zu betreten. Das Hilfsgesuch von Univaja blieb unbeantwortet.

Wenige Tage später ernannte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro einen neuen Leiter der FUNAI-Abteilung für unkontaktierte Stämme: Ricardo Lopes Dias. Dias war vielen praktisch unbekannt, er hatte mehr als zehn Jahre als Missionar bei der New Tribes Mission gearbeitet. Waki, ein Stammesführer der Matsé, einem Stamm, der ebenfalls von Dias kontaktiert wurde, sagte zu seiner Nominierung: „Ich will Ricardo nicht in der FUNAI. Wir kennen ihn gut.“ Das Evangelium, das Lopes Dias vertritt, untersage den Indigenen ihre Bräuche. „Wir wollen Ricardo hier nicht, denn dann können wir unsere Gesichter nicht bemalen, nicht Rapé schnupfen, kein Froschgift benutzen.“

„Die Weißen wollten, dass wir so leben wie sie. Sie denken, man kann hier im Wald nicht gut leben ohne die Bibel“

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Bolsonaro gegen die Interessen Indigener positioniert. Einmal nannte er ihre Lebensweise „prähistorisch“, ein anderes Mal wollte er „keinen Quadratzentimeter Boden“ an indigenes Territorium verschwendet wissen: Bolsonaro will Amazonien für Bergbau und Landwirtschaft öffnen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass Bolsonaro im Sinne des Evangeliums handelt. Er sagt: „Hier in Brasilien gibt es dieses Märchen des laizistischen Staates nicht. Wir sind ein christlicher Staat. Und hier muss die Minderheit sich der Mehrheit beugen.“

Sarah Shenker von der NGO Survival International sagt: „Einen evangelikalen Missionar für die FUNAI zu nominieren ist, als würde man einen Fuchs zum Chef des Hühnerstalls machen. Es ist ein offener Akt der Aggression, eine Erklärung, dass sie diese verletzlichsten Völker des Planeten gewaltsam kontaktieren wollen.“ Im November 2021 wurde Dias abgesetzt, plötzlich, ohne Angabe von Gründen und ohne große Bühne: Seine Versetzung war nicht mehr als eine Notiz im Amtsblatt. Laut der arbeitet Dias weiter für die FUNAI, seine neue Abteilung wurde nicht genannt.

Band
Schau mal, wie fromm der drummen kann! Experten fürchten, dass die „dritte Welle“ vor allem unkontaktierte Stämme erreichen soll – obwohl die brasilianische Regierung und die FUNAI das offiziell verbieten

Die Indigenenorganisation Univaja hatte sich in der Zwischenzeit an die Justiz gewandt. Sie reichte Klage gegen drei Missionare ein, darunter einen von MNTB. Die Staatsanwaltschaft gab Univaja recht. Noch Monate später sollen Missionare in der Univaja-Zentrale aufgetaucht sein, berichtet die brasilianische NGO Socioambiental. Sie sollen gedroht haben, Feuer zu legen, falls sie keine schriftliche Genehmigung bekommen, das Territorium betreten zu dürfen.

Die MNTB soll immer wieder versuchen, Indigene und ihre Interessenvertretungen einzuschüchtern. Gerade wurde der Missionar Luiz Carlos Ferreira angeklagt, weil er rund 100 Zo’é zur Arbeit gezwungen haben soll. Die Staatsanwaltschaft verglich Ferreiras Methoden in ihrer Anklage mit Sklaverei, das Gericht sprach ihn aus Mangel an Beweisen frei. MNTB-Kollegen von Ferreira sollen den Stamm der Ayoreo in Paraguay gezwungen haben, ihre Haare zu schneiden und westliche Kleidung zu tragen. Jene, die sich weigerten, sollen aus ihrem Wald vertrieben worden sein. Chagabi, einer der Stammesführer der Ayoreo, sagt in einem anthropologischen Film von Survival International: „Die Weißen wollten, dass wir so leben wie sie. Sie wollten, dass die Gesellschaft eine einzige wird. Sie denken, man kann hier im Wald nicht gut leben ohne das Wort Gottes, ohne die Bibel.“

Auf fluter-Anfragen antwortete eine MNBT-Sprecherin zwar, auf die Vorwürfe ging sie allerdings nicht weiter ein. Laut ihrer Website haben MNTB-Missionare bislang sieben Bibeln neu übersetzt und 102 Kirchen mit 5.350 Gläubigen gegründet. Bei diesen „Erfolgen“ soll es nicht bleiben: Die MNTB nennt sich „eine reife Kirche für jedes Volk“.

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