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Treffen sich zwei Weltraumarchitektinnen

… und besprechen, was man in der Raumfahrt über das Bauen auf der Erde lernt

Mondsiedlung, gebaut aus sonnengesinterten Mondsandsteinen

Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder sind Weltraumarchitektinnen und Mitgründerinnen eines Wiener Architekturbüros. Sie gestalten Weltraumhabitate, also Wohn- und Arbeitsräume für Astronaut:innen, und Teile von Raummissionen für NASA, die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) und andere Raumfahrtorganisationen. Vom Balkon ihres Büros blickt man auf den Stephansdom, auf dem Dach des Hauses warb jahrelang der Elektronikfachmarkt „Cosmos“ mit riesigen gelben Lettern. Die wurden später entfernt. Schade, sagt Barbara Imhof bei der Begrüßung: „Cosmos“ wäre der perfekte Hinweis auf ihr Weltraumarchitekturbüro gewesen. Sie nehmen im Besprechungsraum Platz.

fluter.de: Wie wird man Weltraumarchitektin?

Barbara Imhof: Durchs Machen. Ich habe in Wien an der Universität für angewandte Kunst beim Architekten Wolf Prix studiert. Er animierte uns, unserem Denken keine Grenzen zu setzen. Später habe ich einen „Master of Space Studies“ absolviert. Mittlerweile kann man Weltraumarchitektur studieren, zum Beispiel an der Universität in Houston, Texas.

Waltraut Hoheneder: Wolf Prix hat uns angetrieben, utopisch zu denken, größer, langfristiger. Mich hat das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, das in den 1990ern noch nicht so gängig war, heute aber auch für den Weltraum sehr relevant ist.

Kann man aus der Weltraumarchitektur fürs Bauen auf der Erde lernen?

Imhof: Das Prinzip ist dasselbe: Wir bauen Umwelten für Menschen. Derzeit auf der Erde, später für die Erdumlaufbahn, für den Mond und in weiterer Folge für den Mars. Dabei gibt es drei Überlebensparameter: Luft, Wasser, Nahrung. Lebenswichtige Systeme wie Heizung oder Lüftung müssen im All zwingend in einem Kreislauf geführt werden. Mit diesem Konzept kann man auch ein Gebäude oder eine ganze Stadt planen. Das Konzept der „City As A Spaceship“, also einer Erde, auf der wir alle gemeinsam Raumschiffcrew sind und gemeinsam unser Überleben sichern müssen, ist mehr als zehn Jahre alt.

Hoheneder: Das Konzept ist vor allem für Megacitys interessant, die aufwendige Versorgungs- und Entsorgungsstrukturen unterhalten. Man kann sich fragen: Ist das wirklich notwendig? Oder geht das auch autark? In manchen Regionen haben wir so viel Sonne, dass dort mit Solarenergie theoretisch jedes Gebäude so viel Energie erzeugen könnte, wie es verbraucht.

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Mondhabitat (Credit: RegoLight Consortium, Visualisierung: LIQUIFER)
Aufblasbares Mondhabitat von Imhof, Hoheneder und Kolleg:innen. Lange wurden solche Orbit-Immobilien nur zu Forschungszwecken entworfen, die Weltraumarchitektur will das ändern (Credit: RegoLight Consortium, Visualisierung: LIQUIFER)

Sie hatten erst diese Woche eine Besprechung mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Worum ging’s?

Imhof: Ums Recycling von Bauelementen. Wir haben zum Beispiel über modulare Boxen gesprochen, die für wissenschaftliche Experimente in der Raumfahrt genutzt werden. Diese Boxen haben Schutzdeckel aus einem hochwertigen Material, werden aber nicht weiterverwendet. Dabei könnte man daraus Trennwände bauen oder Möbel.

Hoheneder: Recycling ist wichtig, weil es so teuer ist, Material in den Weltraum zu bringen. Wir überlegen uns: Welches Material und welche Energie können wir vor Ort nutzen? Aber auch: Welche Teile können wir möglicherweise anderweitig wiederverwenden?

Imhof: Plastikteile zum Beispiel. Wir arbeiten mit zwei deutschen Weltraumfirmen an einer Maschine, in die man Plastik einspeist, um daraus 3-D drucken zu können.

„Rückzugsräume für die Besatzung sind wichtig. Wir testen, wie wir Räume personalisieren können: Nicht jeder will mit Vogelgezwitscher aufwachen“

Gibt es Reibungspunkte zwischen Architekt:innen und Ingenieur:innen?

Imhof: Klar. Auf der Erde sind Installationen wie Wasser, Elektrik, Heizung oder Lüftung der Architekturplanung untergeordnet. Im Weltraum ist es genau umgekehrt: Wir arbeiten mit dem Raum, der überbleibt, nachdem alle lebenswichtigen Systeme untergebracht wurden. Der ist manchmal mehr Maschine als Wohnraum. Das wollen wir ändern.

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Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder (Foto: Benjamin Breitegger)
Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder. Neben Architekt:innen arbeiten bei „liquifer“ Ingeneur:innen und Expert:innen aus Bereichen wie Robotik oder Materialwissenschaften (Foto: Benjamin Breitegger)
 

Welche Aspekte müssen Sie dabei bedenken?

Hoheneder: Persönliche Rückzugsräume für die Besatzung sind wichtig. Wir testen in Modellen, wie wir Räume personalisieren können, mit Farben, mit Licht oder Bildern, also Projektionen. Oder auch akustisch: Nicht jeder will mit Vogelgezwitscher aufwachen.

Imhof: Licht ist ein gutes Beispiel. Licht wiegt nichts, kann aber ganz unterschiedliche Raumatmosphären schaffen. Auf der „Internationalen Raumstation“ (ISS), die seit mehr als 20 Jahren im All ist, hat unsere Branche dahin gehend viel gelernt: Früher wurde alles vom Boden aus kontrolliert, jetzt versucht man, der Besatzung mehr Kontrolle zu überlassen. Etwa wie stark die Lüftung gerade ist.

Kriegen Sie auch Feedback von den Astronaut:innen?

Imhof: Die testen die Entwürfe mit Modellen oder VR-Brillen, machen aber auch selbst Vorschläge. Etwa beim Schlafsack, den wir designt haben.

Hoheneder: Der ist wie eine Art großes Briefkuvert, in das man sich reinsteckt. Der Schlafsack wird befestigt, damit die Astronaut:innen während des Schlafs nicht abtreiben. In der Schwerelosigkeit nimmt man eine andere neutrale Körperhaltung an, eine Art Embryonalstellung. Deswegen haben wir in unserem Schlafsack mehr Raum gelassen. Und es gibt eine Kapuze, einfach weil man es von der Erde gewohnt ist, mit einem Kissen zu schlafen.

Welche Rolle spielen eigentlich private Raumfahrtunternehmer wie Elon Musk für Ihre Arbeit?

Imhof: Die NASA hat immer viele Technologien selbst entwickelt, die ESA nicht. Sie hat Aufträge an die einzelnen Mitgliedsstaaten und deren Industrie verteilt. Kommerzielle Anbieter gab es in Europa also schon immer. Man muss aber auch sagen: Musks Unternehmen SpaceX hat den Markt durch ein völlig anderes Preisniveau revolutioniert, sie sind effizienter und billiger. Aber schlussendlich fliegt Musk seine Dragon-Kapseln durch opulente NASA-Aufträge auch dank Steuergeldern durchs All.

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Mondorbitalstation Gateway (credit: Airbus/LIQUIFER, Visualisierung: LIQUIFER)
Gerade arbeitet das Büro an einem Wohnmodul für die Raumstation Gateway, die den Mond umkreisen soll. Hier ein Entwurf der Innenräume (credit: Airbus/LIQUIFER, Visualisierung: LIQUIFER)

Werden Menschen in 50 Jahren auf dem Mond leben? Oder sogar auf dem Mars?

Imhof: Die chinesische Raumfahrtbehörde, deren Zeitplan bisher perfekt funktioniert hat, wird in den frühen 2030er-Jahren Menschen auf den Mond schicken. Dann werden andere Nationen und Kooperationen wohl nachziehen. Ob es gelingt, eine nachhaltige Basis aufzubauen, so wie eine Forschungsstation in der Antarktis, weiß ich nicht. Aber möglich ist es.

Hoheneder: 50 Jahre – das halte ich für sehr wahrscheinlich.

Imhof: Wenn man auf dem Mond eine nachhaltige Basis aufbauen kann, ist man auch dem Mars einen Riesenschritt näher. Dann muss man eigentlich nur noch die Reise bewältigen. Das könnte noch im Folgejahrzehnt passieren.

Frau Imhof, Frau Hoheneder, was würden Sie machen, wenn Sie nicht Weltraumarchitektinnen wären?

Imhof: Ich habe mir nie was anderes als Architektur vorstellen können.

Hoheneder: Ich bin da, wo ich hinwollte: in der Forschung. Schade nur, dass ich nicht 2.000 Jahre alt werden kann, um alle technischen Entwicklungen zu erleben.

Das Titelbild zeigt den Entwurf einer Mondsiedlung, deren Einzelelemente durch 3-D-Druckverfahren hergestellt würden. (Credit: RegoLight Consortium, Visualisierung: LIQUIFER)

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.