Thema – Gender

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Wende zum Schlechten

Nach dem Ende der DDR verloren viele Frauen ihre Rentenansprüche

  • 4 Min.
DDR

An einem Tag im Frühjahr 1972 hatte Margit Wolf genug. Sie war damals 30 Jahre alt, verheiratet, Mutter einer Tochter und Hausfrau. An diesem Morgen war sie mal wieder allein im Ehebett in ihrer Leipziger Plattenbauwohnung aufgewacht. Dennoch schmierte sie ihrem Mann seine Pausenbrote und brachte sie ihm zur Arbeit. „Ich wollte nicht, dass die Kollegen von seinem Fremdgehen erfahren“, erzählt sie über 50 Jahre später. „Aber als ich ankam, war er noch nicht da. So wussten die Kollegen Bescheid, und das war’s.“

Margit Wolf ist mittlerweile 80 Jahre alt. Ihre Geschichte gleicht der von rund 300.000 anderen Frauen. Es ist nicht nur die Geschichte einer gescheiterten Ehe, sondern auch die einer ungleichen Behandlung von Männern und Frauen, die für viele Frauen erst mit dem Ende der DDR anfing.

In der DDR brachten Scheidungen Frauen in der Regel nicht in Armut. Auch nicht Frauen wie Margit Wolf. Sie hatte gerade ihr Biologiestudium begonnen, als sie schwanger wurde. Sie brach es ab und kümmerte sich um ihre Tochter. Auch das war in der DDR kein Problem, jedenfalls nicht mit Blick auf die Rente. Über ein System von Zusatzzahlungen wurde Frauen, die sich um ihre Kinder kümmerten, diese Zeit für die Altersversorgung angerechnet. Dafür mussten sie monatlich lediglich einen symbolischen Betrag von drei Mark in die Rentenkasse einzahlen. Hinzu kam: Die Höhe der Rente war bei Frauen vollkommen losgelöst vom Familienstand. Es zählte allein, wie viel Geld sie durchschnittlich in den letzten zwanzig Berufsjahren verdienten.

Wolf machte später ihren Abschluss und fing anschließend in einem Verpackungswerk in Leipzig an. „Ich hatte mir das genau ausgerechnet: Basierend auf meinem Einkommen ab 40 und den Zusatzzahlungen hätte ich eine gute Rente bekommen.“ Doch dann fiel die Mauer, und im sogenannten Einigungsvertrag wurden auch die Renten neu geregelt – und die Ansprüche von Frauen wie Margit Wolf einfach übersehen.

Etwa die Hälfte der in der DDR geschiedenen Frauen bekommt weniger als 800 Euro Rente. Sie leben damit unterhalb der Armutsgrenze

Man übernahm mehr oder weniger das Modell des Westens. Das Problem: Während in der DDR neun von zehn Frauen arbeiteten, wurde in der Bundesrepublik ein sehr traditionelles Familienmodell gefördert. Kurz gesagt: Der Mann sollte das Geld nach Hause bringen, während sich die Frau um den Haushalt und die Kinder kümmert. Weil sie dadurch nicht selbst ins Rentensystem einzahlte, die Rente sich aber gleichzeitig an allen Berufsjahren bemaß, bekam die Frau im Fall einer Scheidung über den sogenannten Versorgungsausgleich einen Anteil an der Rente des Mannes zugesprochen – je nach Anzahl der Ehejahre. Für Frauen wie Margit Wolf bedeutete die Wende nicht nur, dass sie ihre alten Ansprüche vergessen konnten, sie bekamen auch keinen Versorgungsausgleich: Ihre Rente wurde nicht mehr auf Basis ihres Einkommens im Alter von 40 Jahren errechnet, sondern eben auch auf Basis ihrer zehn Jahre als Hausfrau, und die zählten fast nichts im neuen System.

Dass sie heute halbwegs, wie sie sagt, über die Runden kommt, liegt daran, dass sie nach der Wende und der Schließung ihres Betriebs schnell neue Arbeit fand. Für viele andere Betroffene, in deren Namen Wolf spricht, sieht die Sache anders aus. Etwa die Hälfte der in der DDR geschiedenen Frauen bekommt weniger als 800 Euro Rente. Sie leben damit unterhalb der Armutsgrenze. Schätzungen zufolge müsste der deutsche Staat den in der DDR geschiedenen Frauen nachträglich zwischen 60 und 120 Millionen Euro zahlen. Aber schon jetzt sind viele betroffene Frauen sehr alt, immer mehr versterben.

Mit ihrem Ex-Mann hat Wolf seit Jahren nicht mehr gesprochen. Aber eins weiß sie genau: Seine Rente hat durch die Scheidung nicht gelitten. Dafür hatte man(n) nach der Wende gesorgt.

Titelbild: Eberhard Klöppel | ZB/picture alliance

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.