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„Caesar ist ein Gefangener seines Mutes“

Vor Jahren veröffentlichte „Caesar“ Fotos Tausender syrischer Folteropfer. Garance Le Caisne war die erste Journalistin, mit der er sprach. Jetzt hat sie eine Doku über die ersten Prozesse gegen das Assad-Regime gemacht

The Lost Souls of Syria

Es geht um 27.000 Fotos. Aufnahmen, die ein syrischer Militärfotograf mit dem Decknamen „Caesar“ bei seiner Arbeit für das syrische Regime heimlich kopiert und außer Landes geschmuggelt hat. Sie zeigen die Leichen von Menschen, die in Gefängnissen der syrischen Regierung Hunger und Folter litten.

Seit der Veröffentlichung vor zehn Jahren ist Caesar abgetaucht. Garance Le Caisne, französische Journalistin und Filmemacherin, gab sich damit nicht zufrieden.

fluter.de: Caesar hat sein Leben riskiert, um Beweise für die Verbrechen des syrischen Regimes zu veröffentlichen. Seitdem lebt er in völliger Anonymität irgendwo in Europa. Sie haben es 2014 als erste Journalistin geschafft, Caesar zu interviewen. Wie haben Sie das gemacht?

Garance Le Caisne: Ich arbeite seit vielen Jahren zu Syrien und war oft dort. Als die Caesar-Fotos 2014 in Frankreich gezeigt wurden, schrieb ich einen Artikel. Daraufhin fragte mich ein Verlag, ob ich ein Buch über Caesar schreiben möchte. Ich sagte direkt zu, ohne eine Ahnung zu haben, wie schwer er zu finden sein würde. Dieser erste Artikel hat mir dabei aber geholfen, meine ich: Einige meiner Artikel wurden ins Arabische übersetzt. So konnten Caesar und seine Mitstreiter verstehen, wie ich arbeite, wie ich über die syrische Revolution gegen Assad berichte. Das hat bestimmt geholfen, das Vertrauen zu gewinnen. Ich traf zuerst Mittelsmänner aus der Gruppe rund um Caesar, über Monate führte ein Kontakt zum nächsten.

Auf seinen Fotos sieht man nackte, misshandelte und abgemagerte Leichen. Auf ihren Stirnen kleben Zettel mit den Häftlings- und Abteilungsnummern. Die Fotos dokumentieren eine staatliche Foltermaschinerie. Wie ging es Ihnen, als Sie sie das erste Mal sahen?

Ich habe reagiert wie die meisten Menschen im Westen: erst mal gar nicht. Ich war wie gelähmt. Der Schock kam später, als ich mit den Überlebenden sprach. Es ist unbegreiflich, dass uns da Farbfotos zeigen, wie Menschen jetzt gerade zu Tode gefoltert werden oder in überfüllten Zellen verhungern. Diese Informationen erreichen einen nicht.

Es braucht jemanden, der sie einem erklärt.

Genau deshalb wollte ich unseren Film „The Lost Souls of Syria“ drehen. Man muss die Fotos mit Zärtlichkeit betrachten, das waren Menschen, die geliebt wurden, die Familien, Kinder, Eltern, Geschwister hatten.

Deutscher Trailer - The Lost Souls of Syria

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Sie verraten keine Details über Caesar. Aber können Sie sagen, wie es ihm heute geht, fast zehn Jahre nach ihrem ersten Treffen?

Er ist oft deprimiert, weil Assad noch an der Macht und in Syrien Krieg ist. Ich glaube, diese Enttäuschung vergeht erst, wenn Assad selbst auf der Anklagebank sitzt. Caesar will zurück nach Hause, wie so viele syrische Geflüchtete. Und es ist natürlich psychisch belastend, dass er sich nicht zeigen, seinen Namen nicht nennen, mit kaum jemandem über seine Rolle sprechen darf. Es ist doch so: Caesar hat etwas sehr Mutiges getan, und jetzt ist er gewissermaßen ein Gefangener seines Mutes.

Kann er ein normales Leben führen, mit Arbeit, Freundeskreis, einem Alltag?

Dazu kann ich nichts sagen.

Sie haben Ihren Film schon angesprochen. „The Lost Souls of Syria“ läuft jetzt auch in Deutschland in den Kinos. Sie und Regisseur Stéphane Malterre haben fünf Jahre lang die Familien der Opfer begleitet, die vor europäischen Gerichten um Gerechtigkeit kämpfen. Spielen die Caesar-Fotos eine Rolle bei den Ermittlungen und Gerichtsprozessen?

Sie sind das Herzstück vieler dieser Kämpfe. Und in den Prozessen ein wichtiges Puzzleteil, neben den Aussagen der überlebenden Häftlinge, der Insider und Experten.

„Die Gespräche mit den Angehörigen haben mich sehr berührt. Aber wir können bewegt sein und trotzdem vernünftig unseren Job machen“

In Koblenz wurden die Fotos erstmals vor Gericht gezeigt, analysiert von einem forensischen Experten. Vergangenes Jahr wurden zwei ehemalige Geheimdienstmitarbeiter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Danach begann in Frankfurt ein Prozess, bei dem es um medizinische Gewalt geht. Jetzt läuft ein Prozess in Berlin, der sich mit Jarmuk befasst, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, den das Regime belagert und ausgehungert hat. Weitere Ermittlungen in Europa widmen sich dem Einsatz von Chemiewaffen. Diese verschiedenen Puzzleteile und Prozesse werden irgendwann ein vollständiges Bild der syrischen Kriegsverbrechen ergeben.

Für den Film haben Sie allerdings Menschen begleitet, die nicht nur unglaubliche Gewalt und Verluste erlebt haben, sondern immer wieder von der Justiz enttäuscht wurden – obwohl die Verbrechen des Regimes so erdrückend klar scheinen.

Die Gespräche mit ihnen haben mich sehr berührt. Dafür habe ich mich lange geschämt. Gerade wenn man eine Frau ist, denken Leute, man sei nicht stark genug, wenn man berührt ist. Auch als Journalistin heißt es immer, man solle ein Thema sein lassen, wenn man damit nicht klarkommt. Bei der Arbeit am Film wurde mir klar, dass das Gegenteil von Gefühl nicht Vernunft ist, sondern mangelnde Sensibilität.

"Ich habe viele Freunde im Krieg verloren" - Syrische Einwanderer in Deutschand

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Im fluter-Film erzählen syrische Geflüchtete, wie sie ihre neue Heimat Deutschland sehen

Für Sie war es also genau richtig, sich derart bewegen zu lassen.

Wir können bewegt sein und trotzdem vernünftig unseren Job machen. Wir müssen von solchen Geschichten sogar bewegt sein, sonst können die Opfer und deren Familien nicht offen mit uns sprechen. Wenn Angehörige verschwinden oder gefoltert werden, ist das ein unendlicher Schmerz. Menschen zu isolieren und zum Schweigen zu bringen ist aber genau das Ziel dieser Verbrechen. Will man gegen sie kämpfen, muss man zuhören und helfen, das Schweigen zu brechen.

Syrien ist nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Der könnte also nur gegen das Regime ermitteln, wenn er vom UN-Sicherheitsrat beauftragt wird. Was Assads Verbündeter Russland und China immer wieder durch ihre Vetos verhindert haben…

Dafür wird in den vergangenen Jahren öfter das Weltrechtsprinzip genutzt.

So wie in Koblenz, wo syrische Beamte von einem deutschen Gericht verurteilt wurden. Das Weltrechtsprinzip erlaubt auch einzelnen Staaten, schwere internationale Verbrechen anzuklagen.

Ich halte das für eine enorme Entwicklung. Viele Menschen denken, der IStGH stünde ganz oben in der Hierarchie, aber so ist es nicht. Im Statut des IStGH steht, dass nationale Gerichte aktiv werden sollen, wenn er es nicht kann. Sie sollen sich gegenseitig ergänzen. Dass nationale Gerichte sich für die syrische Sache öffnen, finde ich wundervoll und historisch bedeutend – nicht nur für Gewaltopfer in Syrien. Übrigens war der Prozess in Koblenz der weltweit erste gegen Täter des syrischen Foltersystems. Wenn man sich die deutsche Geschichte ansieht, finde ich es beeindruckend und wichtig, dass Deutschland hier gerade eine Vorreiterrolle einnimmt.

Garance Le Caisne (56) arbeitet als freie Journalistin in Paris und Reines. Sie ist Expertin für den Nahen Osten, hat lange in Ägypten gelebt und war mehrfach in Syrien, auch nach Beginn des Bürgerkriegs. „The Lost Souls of Syria“ läuft im Februar überall in Deutschland, teilweise mit anschließender Podiumsdiskussion mit Le Caisne und Stéphane Malterre. (Foto: De Russe Axelle / picture alliance / abaca)

Titelbild: Films That Matter

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.