* Lasst uns reden
Um die Sprachenvielfalt dieser Welt ist es ähnlich schlecht bestellt wie um die Biodiversität des Planeten: Tausende regionale Sprachen sind vom Aussterben bedroht. Stirbt eine Sprache, stirbt auch ein Teil der Kultur der Menschen, die sie sprechen. Rituale, Witze, Poesie und Sprichwörter – all das geht verloren.
Auf der Krim, der großen Halbinsel im Schwarzen Meer, ist es das „Krimtatarische“, das bedroht ist. 2010 hat die UNESCO diese Sprache als gefährdet klassifiziert. Sie klingt ähnlich wie Türkisch und ist die Sprache der Krimtataren, einer Volksgruppe, die für Jahrhunderte einen erheblichen Teil der Bevölkerung der Krim bildete – bis die meisten von ihnen im Jahr 1944 auf Geheiß des sowjetischen Diktators Josef Stalin nach Zentralasien deportiert wurden. Die überwiegend muslimischen Krimtataren galten in Stalins Augen als potenzielle Aufwiegler, auch weil viele von ihnen sich 1942 der deutschen Wehrmacht zur Verfügung gestellt und diese als „Befreier“ begrüßt hatten. Zuvor hatten die russischen Besatzer ihre Moscheen und religiösen Schulen geschlossen, hatten sie gezwungen, die kyrillische Schrift zu benutzen.
Das Krimtatarische wurde durch die russische Sprache verdrängt
Der russische Einfluss in der Region war durch die Dominanz und Expansion des Zarenreiches bereits seit Langem groß, was sich auch sprachlich niedergeschlagen hat: Das Krimtatarische wurde durch die russische Sprache auf der Krim immer weiter verdrängt. Nach den Deportationen von 1944 wurde Russisch dann vollends zur dominierenden Alltagssprache der verbliebenen Krimbewohner. Für Jahrzehnte sollte zwischen Armjansk und Jalta kaum noch ein Wort Krimtatarisch erklingen. Und auch die nach Usbekistan, Sibirien und Kasachstan Verbannten pflegten ihre Muttersprache immer weniger. Sie mussten sich sprachlich in ihre neue Umgebung einfügen, in den Schulen wurde Russisch oder Usbekisch gelehrt, krimtatarische Publikationen wurden verboten.
Ende der 1980er-Jahre, im Zuge der Öffnung der Sowjetunion für Reformen, durften dann viele Krimtataren in ihre Heimat zurückkehren. Was jedoch nicht automatisch bedeutete, dass ihre Sprache wieder auflebte. In vielen Familien wurde zwar noch etwas Krimtatarisch gesprochen, aber meist nur zu Hause und vorwiegend unter den Älteren. Auch als 1990 die Sowjetunion zerfiel und die Krim 1992 den Status einer autonomen Republik innerhalb der unabhängigen Ukraine erhielt, änderte das nicht viel. Zwar wurde Krimtatarisch neben Ukrainisch und Russisch zur dritten offiziellen Sprache der Region erklärt, doch im Alltag und sogar in den Behörden sprachen die Menschen weiter überwiegend Russisch. Nicht selten musste die zurückgekehrte Minderheit Diskriminierungen ertragen und wurde von den Menschen, die inzwischen in ihren früheren Siedlungsgebieten lebten, oft auch angefeindet. Trotzdem kamen bis um die Jahrtausendwende rund 266.000 Krimtataren zurück.
Plötzlich büffelten junge Krimtataren die Sprache ihrer Großeltern
Erst allmählich wurden krimtatarische Kultureinrichtungen wiedereröffnet, wurde Krimtatarisch auf die Lehrpläne gesetzt und wuchs zumindest bei einem Teil der jungen Krimtataren der Wunsch, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Beispielsweise unter dem Dach der Jugendorganisation „Bizim Kirim“ (Unsere Krim) in Simferopol büffelten sie die Sprache und Traditionen ihrer Großeltern. Doch als Russland die Krim 2014 annektierte, war das ein Rückschlag auch für die Kultur der Krimtataren. Trotz gegenteiliger Bekundungen der russischen Führung sah sich die Minderheit bald wieder Repressionen ausgesetzt. In großer Zahl flohen die Krimtataren auf das ukrainische Festland.
Die Regierung der Ukraine hat derweil eine digitale Strategie zur Förderung der krimtatarischen Sprache aufgelegt: Zunächst soll eine elektronische Datenbank mit verschiedensten Texten erstellt werden. Auf dieser Basis können dann nicht nur mehr Menschen, sondern auch die Künstliche Intelligenz von Onlineübersetzern die Sprache lernen. Soll das Krimtatarische eine Zukunft haben, so die Überzeugung, muss es digitalisiert werden – umso mehr, da die Zukunft der Krim unwägbar ist.