Etappe 1, Chile: Euer gutes Recht
Eigentlich wollten die Chilenen ihre Verfassung ändern: Die aktuelle ist von 1980, stammt aus der Militärdiktatur unter Pinochet und gilt als Ursache für die soziale Ungleichheit im Land, weil sie private Renten-, Gesundheits- und Bildungssysteme festlegt. Im Herbst 2019 demonstrierten Hunderttausende für ein neues Grundgesetz. Ein Gremium (aus 155 gewählten Volksvertretern, davon die Hälfte Frauen) erarbeitete einen Verfassungsentwurf. Der hätte mehr Rechte für die indigene Bevölkerung, umfassende Schutzrechte für queere Personen, ein Recht auf Abtreibung, Wohnraum und mehr Umweltschutz garantiert – und weltweit Vorbildcharakter gehabt. Und die Bevölkerung? Lehnte in einem Referendum mit deutlicher Mehrheit ab. Der Entwurf war vielen doch zu progressiv, bei einigen Artikeln war unklar, wie sie umgesetzt werden sollten. Kritiker witterten eine kommunistische Diktatur, Unsicherheit und Chaos – und legten einen eigenen, konservativeren Entwurf vor. Der wurde kürzlich ebenfalls abgelehnt. Alles bleibt beim Alten. Weil beide Lager ihre Niederlagen eingestanden haben, gilt die chilenische Demokratie trotzdem vielen als Vorbild. Benjamin Hindrichs
Etappe 2, Uganda: Macht euch keinen Kopf
Das Haar üppig und weißblond, genau wie sie es vor Gericht trugen, als Uganda noch Kolonie war. Die Briten hatten die Perücken einst für Anwälte und Richter an den afrikanischen Kolonialgerichten eingeführt (und dann selbst alles andere als gerecht geurteilt). Die Kolonialisten sind verschwunden, die Perücken geblieben: In vielen Staaten des ehemaligen Empires werden sie bis heute an den Obersten Gerichten getragen. In Uganda setzen viele Richter und Anwälte das koloniale Überbleibsel sogar freiwillig auf. Die Perücke gilt als Statussymbol, das, nicht selten aus echtem Rosshaar in England gefertigt und mehrere Hundert Pfund teuer, dem Amt Prestige und Würde verleihen soll. Andere wollen die Berufsfrisur mehr als 60 Jahre nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft endlich verbannen: Im Gewand der früheren Unterdrücker sei kein souveränes Uganda und keine glaubwürdige Rechtsprechung zu vertreten. Zumal die Perücken so schwitzig und unbequem sind, dass selbst die Europäer vielfach aufgehört haben, sie zu tragen. Ella Shomade
Etappe 3, USA: Appschalten
Eine App spaltet die USA: Nach langem Gezerre hat der US-Kongress im April entschieden, dass TikTok in den USA verboten wird, wenn der chinesische Mutterkonzern ByteDance nicht an einen US-amerikanischen Eigentümer verkauft. ByteDance gilt als verlängerter Arm der Kommunistischen Partei Chinas. In diesem Fall war sich selbst der sonst so hoffnungslos zerstrittene US-Kongress einig: Republikaner und Demokraten fürchten Spionage, Datenlecks und Einflussnahme auf die US-Wahlen – nutzen die Video-App aber selbst weiter für den Wahlkampf.
Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen
Gegenüber stehen sich nicht nur zwei Supermächte, sondern auch zwei heilige Grundsätze der US-Politik: innere Sicherheit gegen Meinungsfreiheit. Und nicht zuletzt die Boomer in Washington gegen Hunderttausende junge User. Für viele ist TikTok die zentrale Nachrichtenquelle. Und für immer mehr Menschen eine Einnahmequelle: 15 Milliarden US-Dollar Umsatz generierten US-Kleinunternehmer 2023 über die App. TikTok selbst wehrt sich und hat seine 170 Millionen US-User zum Protest aufgefordert. Sie stehen mit Plakaten vor dem Kongress, überschütten Abgeordnete mit Anrufen und fluten die Plattform mit #KeepTikTok-Videos. Eine Nutzerin verabschiedete sich von ihrem „chinesischen Spion“ in einer dramatischen Liebesszene: „Der Einzige, der mich je wirklich kannte.“ Annett Scheffel
Etappe 4, Dänemark: Wo die Freiheit baden geht
Feste Zeiten, in denen nur Mädchen und Frauen schwimmen dürfen? Geht es nach dem dänischen Integrationsminister Kaare Dybvad Bek, ist dafür kein Platz im Königreich. Laut einer Umfrage seines Ministeriums bieten Bäder in zwölf von 98 dänischen Kommunen geschlechtergetrennte Schwimmkurse und Badezeiten an, die vor allem für Mädchen und Frauen aus muslimischen Familien geschützte Räume sein sollen. Das sei „undänisch“, erklärte der Sozialdemokrat Dybvad Bek und forderte die Kommunen auf, geschlechtergetrenntes Schwimmen zu verbieten. Zuspruch bekam er von den Rechtskonservativen, die bereits Debatten über Integration in Schwimmbädern losgetreten hatten. In Dänemark wurden Grenzschutz und Asylpolitik in den vergangenen Jahren massiv verschärft. Kritiker warfen Dybvad Bek Symbolpolitik vor und betonten, dass auch in Schwimmhallen Raum für Vielfalt sein müsse. Verboten ist das geschlechtergetrennte Schwimmen bislang nicht, aber für 2025 hat das Integrationsministerium eine erneute Umfrage geplant. Theresa Bachmann
Etappe 5, Zypern: So ein Käse
Er quietscht, vereint, spaltet: Halloumi, auf Türkisch Hellim genannt. Seit 2021 darf in den Kühltheken der Europäischen Union nur Käse als „Halloumi“ oder „Hellim“ verkauft werden, wenn er aus Zypern stammt. Die Mittelmeerinsel ist seit 1974 politisch geteilt, jahrelang hatten der griechisch-zyprische Süden und der türkisch-zyprische Norden um die geschützte Ursprungsbezeichnung gestritten: Der Käse ist für beide Inselteile ein wichtiges Exportgut. Der Kompromiss aus Brüssel, beide Namen zu schützen, sollte die gespaltene Insel näher zusammenbringen. Das hat nicht geklappt, im Gegenteil: Produzenten aus dem Norden beschweren sich etwa, die EU-Zertifizierung sei im Süden leichter zu bekommen (im Norden sind derzeit vier Betriebe zertifiziert, im Süden knapp 60). Und auch um die vorgeschriebenen Zutaten gibt es Streit: Der Käse soll laut EU-Verordnung mehr als 50 Prozent Ziegen- und Schafsmilch enthalten. Ein Kriterium, das die Käsequalität steigert, aber auch die Produktionskosten. Theresa Bachmann