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Laute Gartenpartys, zugeparkte Einfahrten, wuchernde Hecken: Gibt es in Romrod Stress, müssen Schiedspersonen wie Fabian Musch vermitteln

Schiedsperson

Für Fabian Musch könnte es jeden Moment so weit sein. Sein Telefon könnte klingeln, an seiner Haustür könnte es schellen, das Amtsgericht könnte sich melden – und das wäre er: Muschs erster Fall. In den vergangenen Monaten hat er viel recherchiert und in einem Kurs gelernt, was seine Rechte und Pflichten sind und wie er sich im Ernstfall schützen kann. Als Schiedsmann.

Musch wohnt in Romrod, einer Kleinstadt in Mittelhessen. Er ist 33, eigentlich Biologielaborant, und seit ein paar Jahren der Ortsvorsteher hier. Es war im Winter 2023, als Musch im Gemeindeblatt las: Schiedsperson gesucht. „Ich dachte, das könnte eine Chance sein, um mich persönlich weiterzuentwickeln“, sagt er. Musch bewarb sich, Konkurrenz gab es keine. Im Februar wurde Musch ins Amtsgericht bestellt, er hob die Hand und sagte seinen Satz: „Ich schwöre, die Pflichten einer Schiedsperson getreulich zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Seitdem ist Musch offiziell im Amt.

Das Schiedsamt ist alt, sehr alt. Im Jahr 1827 führte das Königreich Preußen das Institut des Schiedsmannes ein. Schon zu dieser Zeit waren Schiedsmänner – damals ausschließlich Männer – für kleine private Streitigkeiten zuständig. Das ist bis heute so geblieben. Rund 8.000 Schiedsmänner und -frauen gibt es aktuell in Deutschland. Sie schlichten kleinere strafrechtliche und zivilrechtliche Konflikte.

Dafür setzen sie sich mit den zerstrittenen Parteien zusammen. In der Regel einmal und auf neutralem Boden, manchmal in eigens angemieteten Räumen. Jeder trägt sein Problem vor und hört dem anderen zu, die Schiedsperson moderiert und protokolliert. Am Ende entscheidet sie nicht, wer recht hat, sondern handelt einen sogenannten Vergleich aus – das kann ein Schmerzensgeld sein oder ein Kompromiss, der das Zusammenleben vereinfacht.

Rund 300.000 Nachbarschaftsklagen landen jedes Jahr vor deutschen Gerichten – und überlasten sie

In den allermeisten Fällen haben die Schiedspersonen mit Nachbarschaftsstreitigkeiten zu tun, berichtet der Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen e. V. (BDS). Die gibt es in Deutschland zuhauf. Manipulierte Grundstücksgrenzen, Hecken, die zu breit sind, stinkende Mülltonnen vor Schlafzimmerfenstern, laute Partys im Garten: Laut Umfragen hat jeder Zweite schon einmal mit seinem Nachbarn gestritten, rund 300.000 Klagen von Nachbarn gegen Nachbarn landen jährlich vor Gericht.

Sie sind einer der Gründe, warum die deutschen Gerichte massiv überlastet sind. Die Zahl der offenen Verfahren ist laut Deutschem Richterbund auf einem Rekordhoch. 2023 blieben 906.536 Fälle unerledigt. In 12 der 16 Bundesländer sind Gemeinden und Städte deshalb verpflichtet, alle fünf Jahre eine Schiedsperson wählen zu lassen. Bevor man überhaupt vor Gericht ziehen kann, müssen sogenannte Privatklagedelikte vor dem Schiedsamt oder einer Schiedsstelle verhandelt werden. Dazu zählen unter anderem Hausfriedensbruch, Beleidigung, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung. Erst wenn die Schlichtung zu keinem Kompromiss führt, kann man mit einer Erfolglosigkeitsbescheinigung eine Klage beim Amtsgericht einreichen.

Die Anforderungen, die die Bundesländer an ihre Schiedspersonen stellen, sind überschaubar. Die Bewerber müssen je nach Bundesland mindestens 25 oder 30 Jahre alt sein, in einigen höchstens 70. Sie dürfen keine Vorstrafen haben, müssen im Schiedsamtsbezirk wohnen und dürfen nicht unter Betreuung stehen. Außerdem dürfen sich Menschen mit bestimmten Justizberufen, etwa Notare oder Richter, nicht als Schiedspersonen engagieren. Und sie müssen sich fortbilden, zum Beispiel in Strafrecht oder Mediation. Fabian Musch, der frischgebackene Schiedsmann aus Romrod, war dafür bei Bodo Winter.

Winter, 72, ist ein Urgestein des deutschen Schiedswesens: Seit 27 Jahren schlichtet er im hessischen Büdingen. Er hat eine Zeit als Jurist am örtlichen Amtsgericht gearbeitet, schon sein Vater war Schiedsmann. Der Bürgermeister höchstpersönlich sprach Bodo Winter damals an, ob er das Amt nicht übernehmen wolle. Seitdem dürfte er etwa 2.000 Fälle bearbeitet haben, im Schnitt 74 im Jahr.

Fragen, fragen, fragen. Bis der Knoten platzt und klarer wird, worum es beim Streit eigentlich geht

„In den meisten Fällen ging es eigentlich um Kleinigkeiten“, sagt er. Aber wenn die Streitenden über Jahre nicht offen miteinander sprechen, eskaliere der Streit irgendwann. Einmal, erinnert sich Winter, habe ein Nachbar dem anderen den Autospiegel abgetreten. Das Ganze wurde von der Überwachungskamera des Autobesitzers aufgezeichnet – die die öffentliche Straße allerdings gar nicht hätte filmen dürfen. „Im Gespräch kam dann heraus: Der Nachbar hat den Spiegel nur zerstört, weil er wütend wegen der Kamera war“, erzählt Winter.

Für ihn ist die größte Belohnung für sein Ehrenamt, wenn sich zwei Parteien, die sich seit Jahren anbrüllen oder, noch schlimmer, anschweigen, nach dem Schlichtungsgespräch in den Armen liegen. „Kommt natürlich nicht oft vor“, räumt Winter ein. Aber ein Miteinander sei bei den meisten seiner Klienten nach der Schlichtung wieder möglich. Winter sorgt sich um die Gesellschaft, hier in Büdingen wie im ganzen Land. „Viele Menschen“, sagt er, „haben einfach verlernt, miteinander zu sprechen.“

Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen

Deshalb versucht Winter zunächst immer, die Zerstrittenen ins Reden zu bringen. Er stellt Frage um Frage um Frage um Frage. Bis der Knoten platzt und klarer wird, worum es bei dem Streit eigentlich geht. In 30 Prozent der Fälle klappt das nicht, schätzt Winter. „Bei manchen ist gar keine Grundlage mehr da für ein Gespräch.“ Oft gehe es in diesen Konflikten um Körperverletzung.

Schiedspersonen wandeln auf einem Grat. Sie müssen zurückhaltend sein, aber aktiv moderieren. Aufgeschlossen und interessiert am Menschen, aber Distanz wahren. Neutralität ist im Schiedswesen oberstes Gebot. Wenn sie einen Konflikt schlichten soll, darf die Schiedsperson mit keiner der Streitparteien verwandt oder verschwägert, verlobt, verheiratet oder von ihr geschieden sein. Sonst muss ein Stellvertreter ran, so regelt es das Schiedsamtsgesetz.

Schwieriger wird es, wenn die Schlichtenden mit einem der Streithälse befreundet oder bekannt sind. Dann muss die Schiedsperson abwägen: Kann ich mich noch neutral verhalten? Oder muss ich den Fall besser abgeben?

Das ist die Situation, vor der Fabian Musch am meisten Respekt hat. „Ich hoffe, dass ich nie zu eng mit einer Partei befreundet bin“, sagt er. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht: In Romrod leben nicht mal 3.000 Menschen.

Illustration: Sebastian Haslauer

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.