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„Es wird Kollateralschäden geben, und das nicht wenige“

Abnehmspritzen erleben einen weltweiten Hype, bald sollen einige der Produkte auch als Pille auf den Markt kommen. Der Ernährungsmediziner Hans Hauner sieht das eher kritisch

Rücken mit Fettröllchen- Spritzennadel

fluter.de: Herr Hauner, in einem Kinofilm über den Aufstieg des jungen Donald Trump, „The Apprentice“, ist zu sehen, wie der Unternehmer mit Diätpillen gegen seine Kilos kämpft. Gab es wirksame Mittel zum Abnehmen schon in den 80er-Jahren?

Hans Hauner: Es waren in dieser Zeit tatsächlich schon Appetitzügler auf dem Markt – die hatten allerdings einen ganz anderen Wirkmechanismus als heute Ozempic und Co. Leute haben damit zwar schnell abgenommen, aber die Tabletten hatten verheerende Nebenwirkungen. Es gab sogar einige Todesfälle. Die schlimmsten Präparate wurden sofort aus dem Verkehr gezogen. Mittlerweile haben so gut wie alle diese Pillen ihre Zulassungen verloren. Die Medikamente, die jetzt auf dem Markt sind – Ozempic, Wegovy und Mounjaro – sind wesentlich sicherer. 

Wie wirken sie?

Sie imitieren die Wirkung körpereigener Darmhormone wie des GLP-1. Das sind Hormone, die im Darm produziert werden und den Blutzuckerspiegel senken. Sie sind aber auch im Gehirn an der Regulation von Hunger und Sättigung beteiligt: Sie bremsen den Appetit und steigern das Sättigungsgefühl, zusätzlich verlangsamen sie die Magenentleerung. Ursprünglich setzte man die Medikamente in der Behandlung von Typ-2-Diabetes ein. Dabei hat man beobachtet, dass die Patienten relativ schnell Gewicht verloren haben. Mittlerweile sind Wegovy und Mounjaro auch zur Behandlung von Adipositas zugelassen. Die meisten dieser Präparate müssen einmal pro Woche gespritzt werden – ein Leben lang. Denn sobald man das Medikament absetzt und sein Essverhalten nicht ändert, nimmt man wieder zu.

„Überall werben Promis plötzlich mit riesigen Abnehmerfolgen. Das sorgte dafür, dass viele, die es sich leisten konnten, unbedingt an diese Spritzen kommen wollten“

Wie erklären Sie sich, dass diese Abnehmspritzen ausgerechnet jetzt einen riesigen Boom erleben?

Das ist mit Sicherheit ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren. Medizinisch betrachtet sind die Wirkstoffe Semaglutid und Tirzepatid in der Adipositas-Forschung tatsächlich ein Durchbruch. Mehr als 40 Jahre lang hat man nach einem Medikament gesucht, mit dem man gut und sicher Gewicht verlieren kann. Die neuen Abnehmspritzen können das Gewicht um 10 bis über 20 Prozent senken und haben noch dazu vergleichsweise geringe Nebenwirkungen. Dazu kam dann wiederum ein riesiger Medienhype über Social Media: Überall werben Promis plötzlich mit riesigen Abnehmerfolgen. Das sorgte dafür, dass viele, die es sich leisten konnten, unbedingt an diese Spritzen rankommen wollten. 

Ich weiß noch, als ich zum ersten Mal von Ozempic hörte: Das war 2022, als Kim Kardashian auf dem roten Teppich der Met Gala plötzlich super skinny in einem Kleid von Marilyn Monroe posierte. Finden Sie das als Ernährungsmediziner in Ordnung?

Nach dem Recht ist die Indikation für die Anwendung klar: Für eine Behandlung muss der Body-Mass-Index größer als 30 sein – oder größer als 27 und mit einer Begleiterkrankung wie Bluthochdruck einhergehen. Das ist in den USA genauso wie in Deutschland. In den USA wird die Indikation aber schon lange umgangen, weil die Regulationen dort einfach nicht so streng sind. Dort haben Ärzte von Unternehmen Rezepte verschrieben – sodass quasi jeder an Ozempic rankam. Vor einiger Zeit gab es am New Yorker Times Square eine riesige Werbekampagne für Ozempic. Das hat viele Menschen erreicht – und noch mal zusätzlich befeuert, dass auch sehr schlanke Menschen mit einem BMI von 17 sich das Medikament besorgt haben. Personen, die ihre Gesundheit und ihr Aussehen optimieren möchten und die finanziellen Mittel haben, an das Medikament ranzukommen. Ich finde das nicht vertretbar: Das ist Missbrauch und gefährlich. 

Inwiefern?

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Die wichtigsten Nebenwirkungen der sogenannten „Abnehmspritzen“ sind Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, aber auch Verstopfung, was eine Folge der Verzögerung von Magenentleerung und Darmtätigkeit ist. Derartige Nebenwirkungen treten am Anfang bei etwa 30 bis 40 Prozent der Patientinnen und Patienten auf.

Insbesondere für Menschen mit niedrigem Körpergewicht und einer Essstörung wie der Anorexie kann der Missbrauch des Medikaments zu einer schweren Mangelernährung führen. Das kann auch lebensgefährlich werden – bisher gibt es dazu jedoch wenige verlässliche Zahlen. Mein Gefühl ist: Es wird Kollateralschäden geben, und das nicht wenige. Deshalb finde ich es problematisch, dass es wohl mittlerweile Wege gibt, die Medikamente auch ohne Verschreibung auf dem freien Markt zu bekommen – das sieht man zum Beispiel bei einigen Influencern, die für Mounjaro und Wegovy als Lifestyle-Medikament werben. Es sind auch Fälle bekannt, bei denen Fakes der Medikamente verkauft wurden – auch das kann für die Kunden sehr gefährlich werden. Ich möchte betonen: Der Einsatz dieser Medikamente muss von Ärzten verordnet und überwacht werden.

Mein Eindruck ist, dass in Deutschland Abnehmspritzen eher als moralisch verwerflich gelten. Woher kommt diese Skepsis? 

Ein gewisses Misstrauen gegenüber dem, was die Pharmaindustrie verspricht und vermarktet, ist teilweise durchaus berechtigt. Das andere ist Ergebnis einer Stigmatisierung. Adipositas gilt als Krankheit von willensschwachen Menschen, die sich nicht beherrschen können oder wollen. Wenn ich eine Spritze zum Abnehmen setze, zeige ich sozusagen, dass ich ein Hilfsmittel brauche und das selbst nicht schaffe. Das Fehlurteil des faulen Übergewichtigen wird damit noch bestätigt. In Wirklichkeit ist das aber ein bisschen anders: Es gibt zwar eine Eigenverantwortung, aber eine große Rolle spielen auch die genetische Disposition, die adipogene Umwelt, Stress und unterschiedliche Esstypen. Auch die Medien tragen ihren Teil dazu bei: Schaut man zum Beispiel die Abnehmshow „The Biggest Loser“, merkt man, dass auf Dicke noch immer mit dem Finger gezeigt wird. Wir Mediziner:innen fordern, dass man diese Menschen nicht verurteilt, sondern respektiert

Semaglutid verhindert, dass die Gedanken ständig ums Essen kreisen, und stärken das Sättigungsgefühl. Heißt das, Ernährungsberater:innen sind bald arbeitslos?

Das glaube ich nicht – eher im Gegenteil. Menschen brauchen eine bestimmte Menge an Kalorien und Hunderte von Nährstoffen, damit ihre Organe richtig funktionieren. Ich hatte schon Patienten, die stolz erzählten, sie hätten seit der Behandlung mit Ozempic überhaupt keinen Hunger mehr. Und haben deshalb auch tagelang nichts gegessen. Als Ernährungsmediziner möchte ich so etwas nicht hören. Ich halte es für wichtig, dass solche Behandlungen medizinisch betreut werden – im besten Fall mit einer Ernährungsberatung, damit sich die Menschen weiterhin vernünftig ernähren.

„In den USA kosten die Abnehmspritzen zum Teil mehr als 1.000 Dollar pro Monat. De facto handelt es sich um Zweiklassenmedizin“

Die monatlichen Kosten bei diesen Medikamenten liegen bei etwa 300 Euro. Wer kann sich das leisten? 

Das ist ein wichtiger Punkt. In den USA kostet der Pen noch deutlich mehr als hier: zum Teil mehr als 1.000 Dollar pro Monat. Das bedeutet, dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sich das Medikament überhaupt leisten kann. Über diese „social inequality“ wird dort schon heftig diskutiert, hier in Deutschland fehlt mir diese Debatte noch. De facto handelt es sich um Zweiklassenmedizin. Ich beobachte das auch bei meinen eigenen Patienten, die nicht alle reich sind. Viele möchten das Medikament ausprobieren, merken dann aber nach ein paar Monaten, dass sie es sich eigentlich nicht auf die Dauer leisten können. Ich wurde schon gefragt: Kann ich das auch strecken, damit die Wirkung länger anhält? 

Warum muss man das Medikament eigentlich selbst zahlen, obwohl man unter Adipositas leidet?

Wegovy, Mounjaro und Co. gelten als Lifestyle-Medikamente. Deshalb werden die Kosten nicht von den Krankenkassen übernommen. Eigentlich ergibt das keinen Sinn, weil das ein überprüfter Wirkstoff zur Behandlung von Adipositas ist. Aber die Kassen sträuben sich, weil sie Angst haben, dass sie kollabieren, wenn Millionen Menschen diese Medikamente zum Abnehmen haben wollen. Adipositas ist bisher noch nicht als chronische Erkrankung anerkannt worden. Das wird sich aber in absehbarer Zukunft ändern. 

Apropos Zukunft: Wird es die Spritzen bald auch als Pille geben?

Bisher muss man sich die Wirkstoffe noch injizieren, da sie zu empfindlich sind, um die Magensäure zu überstehen. In den USA ist Semaglutid zur Behandlung von Diabetes als schluckbares Medikament aber schon auf dem Markt. Hier in Deutschland dauert die Zulassung oft länger – ein paar Jahre vermutlich noch. Ich glaube übrigens nicht, dass die Art der Verabreichung einen großen Unterschied macht – bis dahin wird das Medikament eh schon weit verbreitet sein. Der Vorteil ist: Man spart die Verschwendung von Pens. 

Titelbild: Louis de Belle / Philotheus Nisch - Connected Archives

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