Christopher Partida kann man nicht begegnen, ohne danach viel besser drauf zu sein, weil er einem Weisheiten schenkt, die aus seinem Mund nicht kitschig klingen. Der 30-Jährige ist Basketballtrainer an der University of Saint Katherine, gelegen zwischen Los Angeles und San Diego. Einer der ersten Sätze, die er im Interview sagt, lautet: „Basketball is life.“ Ja, Basketball ist sein Leben, im wahrsten Sinne des Wortes.
Zwei mögliche Auswege: Musik oder Sport
Partida ist der Sohn mexikanischer Einwanderer, sein Vater kam illegal in die USA. Er wuchs in Torrance auf, einer Kleinstadt südlich von Los Angeles, die eine Art Puffer ist zwischen den wohlhabenden Gegenden am Pazifikstrand und South LA, das unter anderem durch Rapsongs in den vergangenen 40 Jahren zum Symbol für Armut und Gang-Gewalt wurde. Seine Kindheit verbrachte Partida auf den Streetball Courts der ärmeren und gefährlicheren Gegenden; für viele findet dort und nicht in der Schule die Vorbereitung aufs Leben statt. Und das bedeutet oftmals: knallharter, schlecht bezahlter Job – oder Gangmitglied, also irgendwas Illegales und damit sehr häufig Lebensgefährliches.
Zwei mögliche Auswege: Musik oder Sport. Als großes Vorbild und Beweis, dass es jemand von ganz unten nach ganz oben schaffen kann, gilt landesweit Jimmy Butler aus dem Bundesstaat Texas. Sein Vater verließ die Familie, als Jimmy ein Kleinkind war. Im Alter von 13 Jahren hörte er von seiner Mutter einen Satz, der ihn geprägt hat: „Ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen – hau ab!“
Seine Therapie gegen den Schmerz und letztlich der Ausweg: Basketball. Aufgrund seines sportlichen Talents schaffte es Butler an ein College und schließlich an die Marquette, die größte private Universität in Wisconsin, die sämtliche Studiengebühren übernahm. Mittlerweile spielt Butler in der NBA bei Miami Heat. Sein Gehalt in der vergangenen Saison: 37,7 Millionen Dollar. Seine Beziehung zu den Eltern? „Ich bin niemandem böse. Wir lieben einander, daran wird sich nie was ändern.“
Der Großteil der sportlichen Nachwuchsförderung in den USA findet an Schulen statt, die besten Teams von ihnen sind bekannt wie Profivereine. In Los Angeles ist es zum Beispiel die Sierra Canyon School, die unter anderem die Basketballprofis Kenyon Martin Jr., Brandon Boston Jr. und Ziaire Williams besuchten. Im aktuellen Schul-Basketballteam spielen unter anderem die Söhne von LeBron James.
Die Aufmerksamkeit für die Promikinder hilft auch denen, die keine berühmten Eltern haben – wie zum Beispiel Amari Bailey. Der 19-Jährige wuchs in Chicago bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, zog mit 14 zum Basketballspielen nach LA und besuchte dort die Sierra Canyon School. Seit 2022 spielt er an der Prestige-Uni UCLA und hofft bei der NBA-Talentbörse Ende Juni, dass ihn ein Team aus der ersten Liga auswählt.
Organisiert wird der Unisport von der gemeinnützigen Non-Profit-Organisation NCAA, die die finanzielle Unterstützung für sportliche Studenten kontrolliert. Im Basketball etwa sind es 13 Vollzeitstipendien pro College, die auf die Akteure verteilt werden dürfen. Die NCAA nahm 2022 über TV-Rechte, Marketingrechte und Lizenzgebühren rund 10,6 Milliarden Dollar ein.
Selbst wer es nicht in die NBA schafft, profitiert von den Sportstipendien an den Schulen
Die Colleges ziehen einen erheblichen Teil ihrer Beliebtheit (und damit Bewerbungen von Schülern) aus der Qualität ihrer Teams. Es ist Big Business, das sich bestenfalls sowohl für die Akteure als auch für die Colleges lohnt. Unis buhlen um die besten Sportler. Auch wenn bei den Frauenteams weniger verdient wird, für sie gibt es die gleichen Angebote, beim Basketball sogar mehr Stipendien als für Männer – und mit Hockey sogar einen Sport, für den nur Frauen Stipendien bekommen.
Etwa zehn Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren spielen in den USA Basketball in organisierter Form. In die NBA schaffen es nur die wenigsten, sie sind, wie man so sagt: „one in a million“. Aber man muss auch gar nicht in der NBA landen und Millionen verdienen, um durch den Sport ein besseres Leben zu finden, als es viele junge Menschen in den etlichen sozialen Brennpunkten führen. Das Basketballspiel kann auch ohne Profilaufbahn ein Ausweg aus der Armut sein. Womit wir wieder bei Christopher Partida wären.
„Ich habe als Grundschulkind bemerkt, dass ich ein Basketballgenie bin“, sagt Partida. Und als Genie hat er natürlich auch gemerkt, dass sein Talent für eine NBA-Karriere nicht reicht, für ein Stipendium an einer Highschool und danach womöglich an einer Universität aber durchaus. Und das ist schon verdammt viel wert, denn die Kosten für die Ausbildung an renommierten Highschools und Unis können sich inklusive Miete und Unterrichtsmaterial bis zum College-Abschluss schon mal auf eine halbe Million Dollar summieren. „Wir haben gegen die beste Schule in LA gespielt, ich habe einen Korb geschafft und meinen Eltern stolz davon berichtet“, erinnert er sich. „Die Reaktion meines Vaters: ‚Das ist großartig, aber wie sieht es mit dem Abschluss aus?‘“
Mittlerweile hat er nicht nur den in der Tasche, Partida steht kurz vor seinem Master. Zudem ist er Co-Trainer an der University of Saint Katherine. „Mein Traum: Professor an einem kleineren College und nebenbei Trainer des Basketballteams.“ Sport ist für Partida wie für viele mit einer ähnlichen Biografie nicht nur Ausweg, sondern Weg, nicht nur Beruf, sondern Berufung. „Ich bin nun der Ansprechpartner für viele Jungs, weil sie wissen, dass ich mal in der gleichen Lage gewesen bin wie sie: ein Bursche aus einer bescheidenen Immigrantenfamilie. Damit können sie sich identifizieren, und ich habe die Chance, das Leben dieser Jungs zu prägen.“
Denn auch das ist Teil des Systems: Basketball begleitet einen möglichst ein Leben lang, und jeder trägt nach seinen Möglichkeiten einen Teil dazu bei, dass auch andere davon profitieren. So engagieren sich viele NBA-Profis auch außerhalb des Spielfelds: Jimmy Butler etwa kümmert sich um die Ernährung an Schulen und spendet regelmäßig für gemeinnützige Zwecke. LeBron James hat im Bundesstaat Ohio, wo er aufgewachsen ist, eine komplette Schule für die Jahrgangsstufen drei bis acht aufgebaut, die er dauerhaft unterstützt. Und Partida ist Trainer und Mentor für Teenager und will das bis zum Ende seines Lebens bleiben – oder wie er sagt: „Basketball is life!“
Dieser Text ist in fluter Nr. 87 „Spiele” erschienen.
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Titelbild: John Marshall Mantel/ZUMAPRESS.com/picture alliance