Der Nahe Osten wird die Folgen des Klimawandels so stark spüren wie nur wenige andere Regionen: Der Weltklimarat sagt kürzere und wärmere Winter voraus, dazu kommen heißere und trockenere Sommer. Dabei kämpft die Bevölkerung schon jetzt gegen akute Wasserknappheit und Dürren. Der Klimawandel hinterlässt Spuren im Alltag der Menschen. Hier erzählen fünf junge Aktivistinnen und Aktivisten aus der Region, was sie bewegt.
„Im Libanon gibt es bis heute kein staatlich organisiertes Recyclingsystem.
Während die Müllhaufen wachsen, verschwindet unsere Artenvielfalt“
Elsy Milan, 25, ist eine der bekanntesten Klimaaktivistinnen aus dem Libanon. Aktuell arbeitet sie in Bonn für eine internationale Organisation für erneuerbare Energien.
„Wenn ich an meine Kindheit im Libanon denke, dann denke ich an wunderschöne Landschaften: den Strand, die Berge und die Zedern, für die der Libanon seit jeher bekannt ist. Je älter ich wurde, desto bewusster wurde mir, dass es die unberührte Heimat längst nicht mehr gibt. 2015 war unsere Abfallkrise weltweit in den Nachrichten. Im Libanon gibt es bis heute kein staatlich organisiertes Recyclingsystem.
Während die Müllhaufen wachsen, verschwindet unsere Artenvielfalt. Und weil immer mehr Hitzewellen den Libanon überrollen, verlieren wir unsere Zedern. Ein weiteres großes Problem ist die Energieversorgung. Bis heute verlässt sich der Libanon beinahe ausschließlich auf fossile Brennstoffe. Unsere Fabriken sind veraltet und stoßen Unmengen an CO₂ aus.
Im Kampf gegen den Klimawandel sehe mich als Brückenbauerin. Ich trete international auf, tausche mich aus, lerne. Uns Libanesen betrachtet die Welt wahrscheinlich eher als Menschen, die unter wirtschaftlichen Problemen leiden. Warum, höre ich manchmal, redet ihr nun auch noch über den Klimawandel?
Auch im Libanon ist diese Denkweise verbreitet. Viele Menschen schieben das Thema beiseite. Dabei ist alles miteinander verbunden. Ein paar Menschen sind sich dessen bewusst und auf Solarenergie umgestiegen, um unabhängig zu sein. Aber das sind individuelle Bemühungen. Für das Regime haben erneuerbare Energien keine Priorität.
Ich liebe meine Heimat und wünsche mir eine bessere Zukunft für das Land. Ich will grüne Täler sehen und Fabriken, die durch Solar- und Wasserkraft angetrieben werden. Ich sehe eine Zukunft, in der wir Kerzen anzünden, um zu feiern und zu beten. Nicht, um uns ohne Strom im Dunkeln zurechtfinden zu können.“
„Was der globale Norden tun kann, um uns zu unterstützen? Der Jugend aus der arabischen Welt Raum geben“
Neeshad Shafi, 33, aus Katar ist einer der Gründer der Organisation „Arab Youth Climate Movement Qatar“. Er kämpft dafür, dass der Klimawandel in Katar zum Mainstream-Thema wird.
„Als ich 2015 zum Klimagipfel in Paris reiste, stand ich als junger Mensch aus der arabischen Welt ganz alleine da. In dem Moment beschloss ich, dass ich etwas tun muss. Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus dem Nahen Osten verdienen einen Platz auf der internationalen Bühne, sie müssen gehört werden. Nach meiner Rückkehr haben wir deshalb die Organisation „Arab Youth Climate Movement Qatar“ gegründet. In den darauffolgenden Jahren hat sich viel getan, unsere Bewegung ist gewachsen. Aber es gibt nach wie vor viel zu wenige Aktivisten, die sich ernsthaft für eine Veränderung einsetzen. Zum Beispiel, indem sie für klimafreundliche Gesetze kämpfen. Das ist tragisch.
Wie viele andere Länder im Nahen Osten erwärmt sich Katar doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Wenn es so weitergeht, wird die Region noch bis Ende des Jahrhunderts buchstäblich unbewohnbar sein. Schlicht und einfach, weil es spätestens dann zu heiß sein und uns das Wasser bis zum Hals stehen wird. In der Region werden junge Menschen häufig belächelt. Nur wenige trauen uns zu, dass wir wirklich zur Lösung der Klimakrise beitragen können. Gemeinnützige Organisationen stehen vor großen Hindernissen. Die meisten von ihnen werden nicht richtig verstanden oder anerkannt; es gibt keinen Rahmen für die Gründung von NGOs. In der Öffentlichkeit herrscht die Auffassung, dass allein die Regierung für das Wohlergehen ihrer Bevölkerung verantwortlich ist. All das hindert die Organisationen daran, ihr volles Potenzial zu entfalten. Die semiautoritären Regierungen der meisten arabischen Länder verstärken diese Tendenz zusätzlich.
Was der globale Norden tun kann, um uns zu unterstützen? Der Jugend aus der arabischen Welt Raum geben. Im Moment steht der globale Norden im Rampenlicht. Ich bin ein großer Befürworter der Jugendbewegung überall. Aber Aktivisten und Aktivistinnen aus dem globalen Norden wissen, dass ihre Stimmen gehört werden, sie können zum Beispiel im nationalen Fernsehen und Radio oder in Zeitungen zu Wort kommen. In der arabischen Welt können wir das kaum erreichen. Die globalen Medien sollten der Jugend aus der arabischen Region einen festen Platz einräumen und ihren Aktivismus fördern. Die internationale Klimabewegung braucht mehr Vielfalt und Inklusion.“
„Die extremen Wetterereignisse nehmen zu, vor allem Überschwemmungen. Das Wasser zerstört Häuser, die zum Teil Hunderte Jahre alt waren“
Amina Bin-Talib, 28, hat im Jemen das landesweit erste Plastikrecycling-Projekt gegründet. Als Klimaaktivistin und Feministin tritt sie international auf. Aktuell lebt sie in Großbritannien.
„Im Jemen hat das Thema Klimawandel für die meisten Menschen aktuell keine Priorität. Seit neun Jahren leidet das Land unter Krieg und Konflikten. Die Bevölkerung ringt ums Überleben, um ihre Gesundheitsversorgung, um Nahrungsmittel und Wasser. Letztlich sind aber all diese Herausforderungen auch mit dem Klimawandel verbunden. Die extremen Wetterereignisse nehmen zu, vor allem Sturzfluten und Überschwemmungen. Das Wasser zerstört Häuser, die zum Teil Hunderte Jahre alt waren.
Die Katastrophen rütteln aber viele Menschen wach. Wenn das eigene Auto in den Fluten versinkt oder sogar das eigene Kind in den Fluten ertrinkt, merkt man: Der Klimawandel ist real und passiert jetzt. Wir können nicht warten, bis der Krieg zu Ende ist. Wir müssen jetzt sofort handeln.
Als ich 2019 begann, mich für das Klima einzusetzen, habe ich mich damit allein gefühlt. Niemand hat sich für meine Ideen interessiert. Viele Unternehmen wollten nicht mal mit mir sprechen, weil ich eine Frau bin. Ich wollte aus recyceltem Plastik Backsteine herstellen. In Kenia wird das schon seit einigen Jahren gemacht. Mit den Plastiksteinen können wir das Land wieder aufbauen und Arbeitsplätze schaffen. Zugleich entlasten wir die Umwelt.
Seit ein paar Monaten habe ich das Gefühl, dass sich im Jemen langsam etwas bewegt. Internationale Organisationen setzen sich vor Ort für die Umwelt ein, ein paar lokale Initiativen haben sich ihnen angeschlossen. Ich hoffe, dass der Jemen bald wieder zur Ruhe kommt. Dann kann ich zurückkehren und dabei helfen, das Land wieder aufzubauen.“
„Kollaboration ist ein wichtiger Schlüssel, um den Klimanotstand in der Region bewältigen zu können“
Matai Ben Aharon, 34, aus Israel setzt sich seit mehr als zehn Jahren für das Klima ein. Aktuell arbeitet er an der „University of Peace“ in Costa Rica an seiner Masterarbeit mit dem Schwerpunkt Klimaschutzpolitik.
„Ich bin in einem kleinen Kibbuz im Norden Israels aufgewachsen. In meiner Arbeit mit der „Greenline Initiative“ verfolge ich die langfristige Vision eines „Peace Parks“. Die Idee basiert auf dem „Open Land“-Prinzip, das im Modell der „Land for All“-Vereinigung verankert ist [Anmerkung der Redaktion: Die „Open Land“-Vision sieht vor, dass sich die Einwohner Israels und Palästinas im gesamten Gebiet frei bewegen und leben können].
In einem unserer Pilotprojekte geht es darum, einheimische Bäume entlang der israelisch-palästinensischen Grenze zu pflanzen. So wollen wir das Bewusstsein für den Klima- und Umweltnotstand schärfen und zugleich die katastrophale politische Lage verbessern.
Die politische Lage in meiner Heimat ist aktuell so angespannt wie schon lange nicht mehr. Dennoch glaube ich, dass eine langfristige Vision und Graswurzelbewegungen etwas verändern können. Im Nahen Osten müssen wir dringend zusammenarbeiten, sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene. Kollaboration ist ein wichtiger Schlüssel, um den Klimanotstand in der Region bewältigen zu können. Das Thema kann neue Wege der Zusammenarbeit schaffen und Brücken bauen.“
„Wir besuchen Schulen und sprechen mit Kindern über den Klimawandel. Viele erzählen später, dass ihre Familien nun auf Plastiktüten und Strohhalme verzichten“
Beisan AlSharif, 34, aus Jordanien hat gemeinsam mit ihrem Tauchpartner Seif Al Madanat die Initiative „Project Sea“ gegründet: Gemeinsam mit Freiwilligen holen sie Müll aus dem Roten Meer.
„Ich war nicht immer so klimabewusst wie heute. Im Gegenteil: Ich arbeite hauptberuflich in der Frachtverschiffung, einem Sektor, der in besonderem Maße zur Meeresverschmutzung beiträgt. Die Pandemie hat für mich alles verändert. Damals sind die Unternehmen und die Gastronomie in Jordanien komplett auf Einwegplastik umgestiegen. Als ich gemeinsam mit meinem Kumpel im Roten Meer im Süden des Landes tauchen ging, fanden wir die Überreste auf dem Meeresgrund: Wohin wir auch schauten, lagen Plastikbecher, Besteck und Flaschen herum.
Die Riffe vor unserer Küste geben Forscher und Forscherinnen weltweit Hoffnung. Denn die Korallen im Golf von Akaba sind außergewöhnlich hitzebeständig. Studien zeigen, dass sie einen Temperaturanstieg von 5 bis 6 Grad verkraften können. In anderen Teilen der Welt bleichen Korallen bereits bei einem Anstieg von 1 bis 2 Grad aus. Doch selbst die widerstandsfähigsten Riffe sind nicht immun gegen andere menschengemachte Stressfaktoren – zum Beispiel die Plastikflut. Mit dem Müll gelangen Bakterien ins Wasser, die das sensible Ökosystem krank machen können.
Mein Tauchpartner Seif und ich organisieren seit zwei Jahren Clean-up-Tauchgänge im Golf von Akaba. Zusammen mit Freiwilligen haben wir bereits sieben Tonnen Müll aus dem Roten Meer geholt. Und wir besuchen Schulen und sprechen mit Kindern über den Klimawandel. Das Umweltbewusstsein der jüngeren Generationen lässt uns immer wieder staunen und hoffen. Viele Schüler erzählen uns später, dass ihre Familien inzwischen auf Plastiktüten und Strohhalme verzichten.
Seif und ich nutzen unsere Stimmen und haben das Gefühl, dass wir über die Grenzen Jordaniens hinaus gehört werden. Aber es kommt auf die scheinbar kleinen Schritte an. Mein Rat an die Kinder lautet immer: Fangt einfach bei euch selbst an. Verzichtet auf Einwegplastik, Wasserflaschen und Tüten, und ihr werdet sehen, wie sich alles um euch herum verändert. Wir können vielleicht nicht die ganze Welt retten. Aber wir alle können zur Veränderung beitragen.“
Illustrationen: Renke Brandt