Kultur

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt

In „Tandem“ erfindet sich eine unpolitische Französin neu, um ihre Gastschwester aus Leipzig zu beeindrucken. Leider nur nimmt der Film seine Figuren nicht ernst genug

  • 5 Min.
Langue Etrangère

Wer selbst mal an einem Austausch teilgenommen hat, kennt vermutlich die Mischung aus Neugier und Unsicherheit, die sich bei der Ankunft in einer Gastfamilie einstellt. Wie ticken die hier eigentlich? Ist diese Familie reicher, freier, glücklicher als meine? Und bin ich hier willkommen?

Mit solchen Gedanken kommt auch die 17-jährige Fanny aus Straßburg, gespielt von Lilith Grasmug, zu Beginn von „Tandem“(Originaltitel: „Langue Étrangère“) in Leipzig an. Verloren schaut sie sich im riesigen Leipziger Hauptbahnhof um, bis sie eine Frau mit einer winzigen Frankreichfahne wedeln sieht – ihre Gastmutter Susanne, gespielt von Nina Hoss. Deren Tochter Lena fehlt bei der Begrüßung und zeigt auch sonst, dass sie kein Fan von Fanny ist. Das verunsichert die Französin. Nachts schleicht sie sich auf Zehenspitzen in die Küche der Familie, um bloß keinem zu begegnen, wenn sie sich ein Glas Wasser holt. Für ihre Schüchternheit gibt es noch andere Gründe: In Straßburg wird sie in der Schule gemobbt und von ihrer Helikoptermutter überwacht. Sie braucht, wie sie selbst sagt, dringend einen „Tapetenwechsel“.

Mit Vokuhila und Batikpullover wird die hippe Szene Leipzigs gezeigt 

Mit dem Setting des deutsch-französischen Austauschs beginnt der Film von Claire Burger als Fish-out-of-Water-Story. Wie ungewohnt ihre neue Umgebung für Fanny ist, zeigt sich am besten im Vergleich zu Lena, gespielt von Josefa Heinsius, die ganz anders drauf ist als sie: links, hip, queerfeministisch. Die beiden französischen Drehbuchautorinnen – neben Regisseurin Burger noch Léa Mysius – scheinen sich in Leipzig umgesehen zu haben. Jedenfalls trifft die Figur der Lena den Style einer Leipziger Teenagerin: Vom Vokuhila bis zum Batikpullover, von den pinkfarbenen Tennissocken bis zur Vintage-Sportjacke aus Ballonseide stimmt hier alles.

Das Schöne an „Tandem“ ist, wie einfühlsam der Film über das Thema Selbstbewusstsein erzählt. In genau inszenierten Blickwechseln zeigt der Film, wie prägend die Begegnung mit einem einzigen Menschen sein kann. Wer hat nicht schon mal eine Person bewundert, die eindeutig cooler wirkte als man selbst? Wenn sonst in Coming-of-Age-Filmen oft die Frage „Wer bin ich?“ gestellt wird, lautet sie hier eher: „Wer will ich sein?“. Und so verstrickt sich Fanny, die zuvor unscheinbar und unpolitisch wirkte, in Lügen über ihre vermeintlich radikale politische Identität. Sie erfindet eine Freundin, die schwanger sei und Hilfe bei einer Abtreibung brauche; dann eine Halbschwester, die im Schwarzen Block aktiv und verschwunden sei. Solche Erzählungen lassen das solidarische Herz von Lena höherschlagen. Diese Fanny lässt sie nun in ihr Leipziger Leben. Dazu gehören: ein Drogentrip auf einer Party, ein Kuss zu dritt mit einem Jungen, Konflikte mit Lenas alleinerziehender Mutter und mit ihrem Opa, der AfD wählt.

Leider bleiben die politischen Positionen in „Tandem“ blass 

Etwa zur Hälfte des Films steht Lenas Gegenbesuch in Frankreich an. In Straßburg rücken andere Konflikte in den Fokus: der bürgerliche Erwartungsdruck von Fannys Mutter und Lenas zunehmende Verunsicherung, als Fannys Lügengebilde allmählich bröckeln. „Es ist ein Film über das Begehren und über den Wunsch, an etwas zu glauben“, hat Claire Burger über ihr Werk gesagt – und liefert damit zugleich eine Definition des gesamten Coming-of-Age-Genres. Die typische Ästhetik dieser Gattung beherrscht die Regisseurin auch: Die Kamera ist nah an den Körpern, subjektive Traumsequenzen fangen das Begehren von Fanny und Lena, das sich im Laufe des Films entwickelt, gut ein. Etwa wenn die beiden zusammen in einem Pool baden und Fanny, um ihr Deutsch zu verbessern, Körperteile mit den dazugehörigen Artikeln benennen muss: „die Fuß … der Knie … die Brust“. Deutsch – nicht Französisch – wird hier die Sprache der Liebe. Rhythmische Synthie-Sounds, auch das mittlerweile Genrekonvention, tragen die dynamischeren Szenen des Films.

So stimmig Look und Sound sein mögen, fragt man sich im Verlauf von „Tandem“, warum der Film seinen politischen Kontext nicht ernst zu nehmen scheint. Im Fall von Lena etwa wirkt die Politisierung wie eine inhaltsleere Pose. Schlagworte kann sie nennen, Argumente eigentlich nicht. So zählt sie im Gespräch mit Fannys Eltern einmal gut zehn Themen auf, die ihr wichtig seien: von A wie Antifaschismus bis T wie Tierschutz. Im ganzen Film wird aber kein einziges davon im Dialog vertieft. Wie aus dem Lehrbuch werden dafür mehrere Anspielungen auf die Friedliche Revolution eingebaut: Lenas Mutter, heute unpolitisch, war damals mit 14 Jahren dabei, als 1989 die Menschen in Ostdeutschland gegen das DDR-Regime protestierten. Politisches Engagement bloß als pubertäre Phase? „Tandem“ scheint die Überzeugungen ökologisch und antifaschistisch motivierter Teenager von heute gar nicht zu kennen. Damit verpasst der Film die Chance, glaubwürdig von politischer Jugendkultur zu erzählen und seine Protagonistinnen wirklich ernst zu nehmen.

„Tandem“ hat auf der diesjährigen Berlinale Premiere gefeiert und läuft ab dem 24. Oktober im Kino. 

Titelbild: Les Films de Pierre

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.