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Hammer-Typen

Schönheitseingriffe boomen, auch unter Männern. Manche legen sogar selbst Hand an – und empfehlen auf TikTok, sich mit Gegenständen ins Gesicht zu schlagen

Bone Smashing

Man kann gar nicht anders, als die Zähne zusammenzupressen bei diesen Videos: Junge Männer, die auf ihr Gesicht einschlagen – mit Hämmern, einer Flasche, einem Nudelholz, den Fingerknöcheln. Knack, knack, knack. Es schmerzt beim Zusehen. Und man fragt sich: Was soll das?

Dahinter verbirgt sich, mal wieder, ein TikTok-Trend. „Bonesmashing“ nennt er sich. Dabei fügt man sich Mikrofrakturen zu, in der Hoffnung, dass die Knochenstruktur in einer markanteren Form heilt. Das könnte man jetzt natürlich als Quatsch abtun, junge Männer, die ein paar Gleichaltrige dazu ermutigen, ihr Gesicht zu zertrümmern. Doch die Videos treffen einen Nerv.

Von Mewing, Masken und Kaukugeln

Scrollt man durch TikTok, finden sich reihenweise solche Schönheitsversprechen. Beim „Mewing“, dem Miauen, wird die Zunge gegen den Gaumen gepresst, was zu einer ästhetischen Kieferpartie führen soll. Es werden Filter fürs Gesicht beworben, Masken und Elektrogeräte, die angeblich die Haut straffen. Luca Marchesi, der selbst ernannte „CEO of Jawline“, hat auf TikTok 1,5 Millionen Follower. Er bewirbt Kaukugeln und andere Produkte, die für eine definierte Kieferpartie sorgen sollen. Expert:innen warnen vor Zahnproblemen und Kieferverrenkungen, doch eine markante Kieferpartie ist offenbar etwas, das für viele junge Frauen und Männer als erstrebenswert gilt: 320 Millionen Aufrufe hat #snatchedjawline auf TikTok, der Hashtag #bonesmashing wurde rund 580 Millionen Mal aufgerufen.

Wie viele junge Menschen tatsächlich Hämmer oder Kaukugeln anwenden, lässt sich allerdings nicht sagen. Die Phänomene sind zu jung, als dass valide Zahlen existieren. Was aber gesichert ist: Die Zahl der Schönheitsoperationen nimmt stetig zu – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Laut der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen erreichte die Anzahl der Eingriffe hierzulande 2022 knapp 100.000, auf Männer gehen nur 11,2 Prozent zurück. Allerdings: „Die Zahl kosmetischer Eingriffe unter Männern hat sich innerhalb von zehn Jahren ungefähr verdoppelt“, sagt Detlev Hebebrand, der Präsident der Vereinigung. Vor allem minimalinvasive Eingriffe würden boomen. Im Bereich des Gesichtes, so Hebebrand, seien Jawline- und Kinnkorrekturen mit Hyaluron besonders beliebt.

 

Wer hat’s erfunden? Die Incels!

Der TikTok-Trend steht also symptomatisch für eine Generation junger Männer, die dem Aussehen einen hohen Stellenwert einräumen. Begonnen hat der Trend zum Knochenzertrümmern übrigens in der Incel-Community – einem Ort, an dem frustrierte Männer ihren Hass ablassen. Incel steht für „Involuntary Celibat“, für Männer, die unfreiwillig sexlos leben. Ihr Feind: Frauen. Zu der Ideologie der Incels gehört unter anderem die Vorstellung, dass nur besonders attraktive Männer erfolgreich mit Frauen und im Leben sein können. Das stimmt natürlich nicht. Was sich aber nicht leugnen lässt: Schöne Menschen haben Vorteile. Mehrere Studien belegen: Sie bekommen bessere Noten, mildere Strafen vor Gericht, werden für vertrauenswürdiger, schlauer gehalten.

Das erhöhte Verlangen nach Eingriffen erklärt Hebebrand auch so: „In sozialen Netzwerken propagieren Influencer Schönheitsideale – das kann bei denen, die zuschauen, zu einem Perfektionswahn führen.“ Vor allem bei jüngeren Patient:innen sieht die VDÄPC die Tendenz, Korrekturwünsche anhand von bearbeiteten Fotos zu dokumentieren. Ähnliches beobachtet Kathrin Karsay. Die Assistenzprofessorin forscht an der Universität Wien zu Körperbildern in Unterhaltungsmedien. „Influencer sprechen oft im Detail über ihre Eingriffe, zeigen Vorher-nachher-Bilder, und auch Schönheitschirurg:innen kommunizieren über Social Media, was kosmetische Eingriffe zunehmend normalisiert“, sagt sie. Dazu kommt, dass viele Fotos auf TikTok und Instagram nicht der Realität entsprechen – Filter, Retuschen, hundert Anläufe, bis alles sitzt. Das kann schon mal den Eindruck vermitteln: Alle sind schön, nur ich nicht.

Don’t try this at home

Wer es für eine gute Idee hält, sich mit einem Hammer auf die Wangen zu klopfen, dem sei an dieser Stelle übrigens gesagt: Knochen können zwar heilen und in leicht veränderter Form und Größe nachwachsen. Aber: Es gibt keine Chance, genau zu kontrollieren, wie sie heilen werden. Darin sind sich Ärzt:innen und Chirurg:innen einig.

Auffällige Social-Media-Trends sind auch aus einem anderen Grund gefährlich, erklärt Forscherin Karsay. „Sie greifen meist unrealistische Körperidealisierungen auf.“ Erste Studien deuten darauf hin, dass die Nutzung von Gesichtsfiltern mit einer höheren Akzeptanz für Schönheits-OPs und einem geringeren Selbstwertgefühl einhergeht.

An diesem Punkt setzen selbst ernannte „Beauty Docs“ wie Dr. Rick und Dr. Nick an. Auf ihrem TikTok-Kanal werben sie bei ihrem vornehmlich jungen Publikum um minimalinvasive Eingriffe. Karsay hält solche „Beauty Docs“ für „sehr problematisch“. Nicht umsonst bestehe in traditionellen Medien bereits ein Werbeverbot für Schönheits-OPs bei Jugendlichen. VDÄPC-Präsident Hebebrand ergänzt die Kritik: „Beauty Docs geht es um Popularität und Umsatzsteigerung, dabei kommen medizinische Standards wie etwa Nachkontrollen zu kurz.“ Was die Expert:innen sagen, kann auch so verstanden werden: Junge Menschen gehen für ihr gewünschtes Aussehen ein hohes Risiko ein. Das verlockende Versprechen, schnell schöner zu werden, führt dazu, dass medizinische Ratschläge gar nicht mehr bis zu den Patient:innen durchdringen.

Statt der Jawline lieber mal den Algorithmus pflegen

Auf Social Media lässt sich oft nur schwer erkennen, ob solche Trends und vermeintliche „Tipps“ ernst gemeint sind oder nicht. So verhält es sich auch mit dem Bonesmashing auf TikTok. „Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Trends eins zu eins von den Usern übernommen werden, sondern dass davon auch ein – zugegeben fragwürdiger – Unterhaltungswert ausgeht“, sagt Karsay. Und so lässt sich unter all den Videos zum Bonesmashing eines nicht finden: Berichte über junge Männer, die mit malträtierten Gesichtern in Kliniken eingeliefert wurden. Und während Influencer in oft aufwendig inszenierten Vorher-nachher-Videos die Vorteile ihrer Methode loben, warnen etliche User vor den Gefahren. Einige betrachten die Technik auf TikTok inzwischen sogar als Insiderwitz.

Wie vieles auf der Plattform wird der Schönheitstrend wahrscheinlich schon bald von einem neuen abgelöst werden. Wem das nicht schnell genug geht, dem rät Expertin Karsay, Trends wie das Bonesmashing gezielt zu ignorieren. Hierfür hilft es, den eigenen Algorithmus regelmäßig auszumisten und Accounts, die einem nicht guttun, zu entfolgen. Sie sagt: „Je weniger aussehensfokussierte Inhalte wir auf Social Media nutzen, je weniger Filter wir verwenden, je weniger solcher Selfies wir posten, desto besser.“

GIF: Jan Maschinski

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