fluter.de: Ebow, dein aktuelles Album heißt „FC Chaya“. Was bedeutet der Titel?
Ebow: Ehrlich gesagt habe ich gar nicht so viel über den Titel nachgedacht. Ich wollte ein Album mit queeren Lovesongs machen. „FC Chaya“ fand ich nice, weil FC, also Fußballclub, so eine Männerdomäne ist, in der oft Queerfeindlichkeit oder Misogynie reproduziert wird. Mit „FC Chaya“ beanspruche ich diesen Raum. Chaya ist für mich eine Person, die sehr feminin im Erscheinungsbild ist, aber trotzdem auch rough.
In Songs wie „Juicy“ und „Do Ya?“ machst du auch explizit sexuelle Anspielungen – aber aus einer queeren Perspektive. Wieso ist es wichtig, über lesbischen Sex zu reden und zu rappen?
Einerseits, weil ich meine Sexualität so lange geheim halten musste und damit sehr gekämpft habe. Andererseits, weil mir diese Perspektive einfach fehlt. Ich bin mit R ’n’ B und Hip-Hop aufgewachsen. Da ging es viel um Sexualität, aber aus einer heterosexuellen Perspektive. Es gibt wenig Musik, die sexy und queer ist. Mit „FC Chaya“ hoffe ich, da ein bisschen die Lücke zu füllen.
„Vergangenes Jahr habe ich mich bei meiner Tante und dann meiner restlichen Familie geoutet. Alle diese Schritte haben mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute bin. Es war ein sehr emotionaler Prozess.“
Einer deiner Songs heißt „Lesbisch“ – ein Wort, dem immer noch viel negatives Stigma anhaftet. Was bedeutet der Begriff für dich?
Mir war es wichtig, lesbisch zu benutzen, weil der Begriff eben entweder negativ konnotiert ist oder mit einer älteren Generation assoziiert wird. In den vergangenen Jahren habe ich oft gesagt, wir sind gay oder queer. Wieso nicht lesbisch? Ich möchte diesen Begriff wieder beanspruchen, in einen positiven Kontext stellen und ihn zurückbringen in die queere Bubble.
Du hast „FC Chaya“ dein persönlichstes Album genannt, unter anderem wegen des Songs „Ebru’s Story“. In dem Lied erzählst du von deinem Coming-out bei deiner Familie.
Das war ein sehr emotionaler Prozess. Im ersten Part von „Ebru’s Story“ geht es darum, dass ich mich selbst akzeptiere. Im zweiten Part geht es darum, dass meine Friends mich akzeptieren. Und im dritten Part geht es um Familie. Vergangenes Jahr habe ich mich bei meiner Tante und dann meiner restlichen Familie geoutet. Alle diese Schritte haben mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute bin. Es war ein sehr emotionaler Prozess.
Was sollen Menschen von diesem Song mitnehmen?
Berlin wird als queere Metropole dargestellt, aber ich bekomme oft mit, wie sich junge Queers, vor allem trans* Personen, das Leben nehmen, weil sie so viel Gewalt und Hass erfahren. „Ebru’s Story“ beginnt damit, dass ich als Kind suizidale Gedanken hatte, weil ich dachte, ich könnte niemals glücklich sein oder Liebe erfahren. Mit dem Song möchte ich allen queeren Kids sagen: Hey, auch wenn es gerade schwierig ist, das Leben wird so viel schöner, als ihr euch das jemals vorstellen könnt. Ich glaube, das ist die Hauptmessage. Ich hoffe, dass queere Jugendliche und Kids, aber auch Leute in meinem Alter dadurch Hoffnung bekommen, weiterzumachen.
Glaubst du, der Song hat für queere kurdisch-alevitische Personen noch mal eine besondere Bedeutung?
Ja, definitiv. Das zeigt auch das emotionale Feedback auf den Song. Als Kind von Eltern, die als Gastarbeiterkids nach Deutschland gekommen sind, wie das bei meinen Eltern der Fall war, lastet großer Druck auf dir, alles richtig zu machen und die Eltern nicht zu enttäuschen. Queerness fühlt sich an wie ein extra Ballast, den man den Eltern antut. Das können viele nachempfinden, die aus kurdisch-alevitischen Familien kommen. Wir verstehen diesen Druck und die Gespaltenheit. Ich glaube, der Song ist wichtig für meine Community.
In dem Musikvideo zu „Ebru’s Story“ erscheinst du als Kind, Teenager und ältere Frau in einer lesbischen Beziehung. Wieso dieser Blick in die Zukunft?
Es gibt so wenig Repräsentation von älteren queeren Personen. Junge queere Paare werden inzwischen öfter gezeigt, aber ich sehe selten queere Personen, die gemeinsam alt werden. Das fehlt einfach. Deswegen war es mir in dem Video wichtig, eine Zukunftsperspektive zu zeigen. Wir müssen das erst mal sehen, um uns das überhaupt vorstellen zu können: happy queere ältere Paare.
Auf dem Song „Free.“ singst du von wachsender Verzweiflung, Angst und Trauer, die jüdische, palästinensische, kurdische und Schwarze Personen in Deutschland und mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen empfinden. Und es geht um Diskriminierung und Polizeigewalt gegenüber marginalisierten Personen.
Ich habe noch nie so krass erlebt, wie Polizisten auf Demonstrationen Leute verprügeln. Ich habe auch noch nie erlebt, dass die Medien so einseitig berichten – und zwar zugunsten der Polizei. Mehreren meiner Freundinnen wurde die Nase gebrochen, oder sie haben ein blaues Auge kassiert. Wir sprechen hier von Frauen, die nicht größer als 1,65 Meter sind und für absolut niemanden eine Gefahr darstellen. Gleichzeitig sehen wir auf Nazidemos, wie die Polizei nebenhermarschiert und die Demos beschützt. Das macht mir Angst, und ich frage mich, was das mit uns als Gesellschaft machen wird. Viele in meinem Umfeld, inklusive mir, fragen sich, wie lange sie in Deutschland noch eine Zukunft haben.
„Jetzt, wo kurdische Gebiete wieder unter Beschuss stehen, habe ich das Gefühl, niemand schaut hin, niemand solidarisiert sich. Man fühlt sich oft allein“
Du thematisierst in „Free.“ sowohl das Leid palästinensischer als auch jüdischer Menschen. Warum, glaubst du, scheint es vielen heute so schwer zu fallen, sich gegen Antisemitismus und den Krieg in Gaza gleichermaßen einzusetzen?
Ich glaube ehrlicherweise, dass in Deutschland der Diskurs sehr stark über deutsche Meinungen zu den Themen stattfindet. Wir sollten die Menschen in den Fokus rücken, die betroffen sind, und nicht jene, die keinen Bezug zu diesen Themen haben und sich trotzdem als Spezialisten oder Spezialistinnen in den Mittelpunkt drängen. Wir brauchen jetzt mehr denn je offene Gespräche und Sichtbarkeit. Ich denke, viele Menschen fühlen sich nicht gesehen und nicht gehört mit ihrem Schmerz und ihren Ängsten. Mir geht es auch so. Jetzt, wo kurdische Gebiete wieder unter Beschuss stehen, habe ich das Gefühl, niemand schaut hin, niemand solidarisiert sich. Man fühlt sich oft allein mit diesen Gefühlen.
Siehst du Musik auch als Weg, neue Solidaritäten zu schaffen zwischen Menschen?
Auf jeden Fall. Ich biete in „Free.“ vielleicht keine Lösung an, ich sage nicht, lasst uns das und das machen. Aber ich zeige: Ich bin da und sehe euch und euren Schmerz. Ich glaube, dass gesehen werden etwas ist, was uns allen gerade fehlt. Wenn wir von den Medien und der Politik nicht gesehen werden, sehen wir uns zumindest in der Musik, und das verbindet.
Fotos: Aristidis Schnelzer