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Der Prinz startet durch

Staaten wie Saudi-Arabien investieren Milliarden in die Gaming-Industrie – nicht nur aus Profitinteresse, sondern auch, um ihr Image aufzupolieren

Mario

Im vergangenen Jahr ist die Gaming-Industrie in einen regelrechten Kaufrausch verfallen. Große Konzerne wie Microsoft, Sony und Take-Two kauften 2022 so viele Studios wie noch nie und bezahlten dafür Milliarden. Einer der Käufer ist ziemlich neu im Spiel: das Königreich Saudi-Arabien. Und ein Blick auf die Pläne des Landes zeigt: Es ist gekommen, um zu bleiben.

Einige der reichen Länder auf der Arabischen Halbinsel machen sich seit Jahren Gedanken, was nach dem Öl kommt, und investieren in neue Wirtschaftszweige. Beliebt sind vor allem große Sportveranstaltungen wie die Fußball-WM in Katar, das obendrein den Fußballclub Paris Saint-Germain besitzt, während einem Mitglied der Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate Manchester City gehört. Im Fußball konnte Saudi-Arabien bislang noch keinen Einfluss gewinnen, dafür aber andere Sportattraktionen ins Land holen, darunter große internationale Golfturniere, einen Zehn-Jahres-Deal mit der Formel 1 und Wrestling-Events.

Greenwashing, Sportswashing – und Gamewashing

Menschenrechtsorganisationen sprechen schon – analog zum Greenwashing – von Sportswashing, also vom Versuch, durch Sport das Image aufzupolieren und Menschenrechtsverstöße vergessen zu machen. Davon existieren im Falle von Saudi-Arabien so einige. Zwar gibt sich das Königreich seit dem Regierungsantritt von Kronprinz Mohammed bin Salman gern weltoffen, dennoch geht etwa die systematische Unterdrückung von Frauen oder Homosexuellen weiter. Dazu kam der Mord am „Washington Post“-Journalisten Jamal Khashoggi.

Der Einstieg in die Videospielindustrie soll offenbar nicht nur dazu beitragen, das Land vom Öl unabhängig zu machen. Er soll das Bild des Landes international aufpolieren, es damit einflussreicher und für Geschäfte salonfähiger machen. Dafür hat Mohammed bin Salman persönlich zur Gaming-Offensive geblasen. Er selbst zockt leidenschaftlich gern und erzählte der Presse, dass er zur ersten Generation in Saudi-Arabien gehöre, die mit Videospielen aufgewachsen sei. Sein Lieblingsspiel? Der Ego-Shooter „Call of Duty“.

Natürlich ist bin Salman bei aller Spielleidenschaft nicht die wirtschaftliche Relevanz der Gaming-Industrie entgangen, die allein im vergangenen Jahr weltweit über 184 Milliarden Dollar umsetzte, Tendenz steigend. Zurzeit schätzt man, dass weltweit 3,2 Milliarden Menschen Computerspiele zocken. In diesem Wachstumsmarkt will sich Saudi-Arabien als feste Größe etablieren und nimmt dafür viel Geld in die Hand. Zur Koordination des Geschäfts hat man sogar ein eigenes Unternehmen gegründet: die Savvy Games Group.

38 Milliarden Dollar will Saudi-Arabien investieren

Ziel von Savvy ist es, langfristig zu den Marktführern in der Gaming- und E-Sports-Industrie zu gehören. Dafür möchte das Unternehmen bis 2030 bis zu 250 eigene Entwicklungsstudios im Königreich etablieren und damit ca. 39.000 Arbeitsplätze im Gaming-Bereich schaffen. 30 Spiele sollen veröffentlicht werden. Seine Pläne will sich das Königreich insgesamt fast 38 Milliarden Dollar kosten lassen. Zum Vergleich: Mit 250 Millionen Euro hat der Bund 2020 sein bisher größtes Förderprogramm für die deutsche Gaming-Industrie aufgelegt.

Neben den geplanten saudischen Eigenproduktionen kauft das Königreich auch fleißig ein: Allein in den letzten zwölf Monaten erwarb Saudi-Arabien Anteile an den größten Gaming-Unternehmen der Welt – darunter Nintendo („Super Mario Bros.“, „The Legend of Zelda“), Electronic Arts („FIFA“) und Take-Two („Grand Theft Auto V“).

Der niederländische Videospielentwickler und -berater Rami Ismail sieht in Riads Spiele-Offensive ein Mittel zur Imagepflege – allerdings sei Saudi-Arabien damit nicht allein. „Das ist kein unbekanntes Phänomen. Die USA, China und Japan machen das ähnlich. Jedes halbwegs wohlhabende Land macht sich die Medien zunutze, um seine PR zu verbessern. Hollywood ist auch eine einzige große Propagandamaschine.“ Laut Ismail wird Gaming von der Politik auch in anderen Ländern schon längst instrumentalisiert.

Ein Egoshooter hilft dem Image der US-Army

Tatsächlich entwickelte das US-amerikanische Verteidigungsministerium schon Anfang der Nullerjahre ein Spiel namens „America’s Army“. Ein First-Person-Shooter, in dem Spielerinnen und Spieler Missionen für die US-Armee absolvieren. Mit der Simulation sollte die Reputation des Militärs verbessert und die Rekrutierungsrate erhöht werden. Und das mit Erfolg: Laut einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) konnte das Spiel den Ruf des Militärs bei 30 Prozent der 16- bis 24-Jährigen im Land verbessern. Darüber hinaus stieg die Anzahl der Rekrutierungen beim Militär dadurch stärker an als bei allen bisherigen Werbemaßnahmen zusammen.

Mittlerweile hat das US-Militär seinen Fokus auf Streamingplattformen wie Twitch verlagert, um junge Menschen zu erreichen. Die Bundeswehr macht sich ebenfalls Videospiele zunutze und wirbt regelmäßig auf der Gamescom, der weltweit größten Videospielmesse, um Nachwuchskräfte für die Bereiche IT, Cybersicherheit und technische Verwaltung.

fluter-Cover Spiele

Dieser Text ist in fluter Nr. 87 „Spiele” erschienen. Das ganze Heft findet ihr hier.

Mit Gaming lässt sich also Politik machen. Bleibt die Frage, wie das Königreich Saudi-Arabien vorgehen wird. Wird es Einfluss auf westliche Studios ausüben, in die es investiert hat? Wird es in die Inhalte reinreden und versuchen, Propaganda zu verbreiten? Auf der Suche nach Antworten hilft vielleicht ein Blick nach China: Dort werden Spiele für den heimischen Markt inhaltlich verändert, um „sozialistische Grundwerte“ zu vermitteln. Und Games mit für das Regime unliebsamen Botschaften werden vom Markt entfernt oder nicht zugelassen. Ganz anders ist die Vorgehensweise aber auf dem westlichen Markt, in den sich auch China aggressiv eingekauft hat. Bislang lassen die chinesischen Konzerne Tencent und Net-Ease den Studios, in die sie investiert haben, anscheinend freie Hand. Das mag handfeste wirtschaftliche Gründe haben: Die Gamer und Gamerinnen, die in Demokratien leben, würden inhaltliche Eingriffe wie prochinesische Botschaften vermutlich ablehnen. Das Geld wäre also schlecht investiert.

Noch geht es also weniger um die Message in den Spielen als um die Spiele als Message: So ist es auch bei E-Sports. Wettbewerbe, bei denen Gamerinnen und Gamer gegeneinander antreten, sorgen für ausverkaufte Stadien. Die Kölner Firma ESL Gaming gehört zu den größten E-Sports-Unternehmen und organisiert weltweit zahlreiche Turniere und Ligen. Im April 2022 wechselte das Unternehmen für eine Milliarde US-Dollar den Besitzer. Der Käufer? Die Savvy Gaming Group des Königreichs von bin Salman.

Illustration: Frank Höhne

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.