Worum geht’s?
Um die deutsche Filmemacherin Leni Riefenstahl, die von 1902 bis 2003 lebte. Ihr Film „Triumph des Willens“ von 1934 über den NS-Parteitag in Nürnberg wurde zu einem der wirkungsvollsten Propagandafilme der Nationalsozialisten und prägte deren Selbstinszenierung. In Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wiederum geht es um eine verklärte Darstellung von Körpern, Stärke und Schönheit. Riefenstahls Art, Filme zu machen, gilt als innovativ für die Zeit. Wie sie die vom Sprungturm fliegenden Athleten aus neuartigen Perspektiven zeigt und aneinanderschneidet, bis Oben und Unten sich auflösen, fasziniert viele bis heute. Doch ihre eigene ideologische Nähe zu den Nationalsozialisten bestritt Riefenstahl nach dem Krieg vehement. Sie sei eine unpolitische Künstlerin gewesen, betonte sie unerlässlich. Sie treffe keine Schuld. Doch der Dokumentarfilm „Riefenstahl“ enttarnt ihre Lügen: Sie war eine Kollaborateurin, der es später vor allem darum ging, das eigene öffentliche Bild zu beschönigen.
Worum geht’s eigentlich?
Um die Frage, wie oft man Lügen wiederholen muss, bis alle sie glauben – womöglich sogar man selbst. Riefenstahl führte Klagen wegen angeblicher Verleumdung gegen Menschen und Medien, die darüber berichteten, dass sie für ihren Film „Tiefland“ Sinti und Roma aus einem Zwangsarbeitslager verpflichtet hatte. In Interviews, Dokumentationen, bei Fernsehauftritten und in ihren Memoiren behauptete sie, sie sei eine Künstlerin gewesen, die keine Wahl gehabt hätte.
Der Dokumentarfilm behandelt auch die Frage nach individueller Verantwortung und Schuld in einer totalitären Gesellschaft: 90 Prozent der Deutschen wären vor dem Krieg von Hitler begeistert gewesen, behauptet Riefenstahl: „Eine Widerstandskämpferin hätte ich sein sollen?“, fragt sie ironisch. Riefenstahl, das macht der Film deutlich, inszenierte sich jahrzehntelang als Opfer ihrer angeblichen politischen Naivität, statt Verantwortung für ihr Tun und Denken zu übernehmen.
Wie wird es erzählt?
Der Dokumentarfilm von Regisseur Andres Veiel nutzt ausschließlich historisches Archivmaterial: private Bilder und Dokumente aus Riefenstahls Nachlass, Telefongespräche, die sie jahrelang akribisch auf Tonband aufzeichnete, ihre eigenen Filme, Interviews, Talkshowauftritte. „Riefenstahl“ verzichtet auf Expert*innen oder Zeitzeug*innen. Stellenweise gibt es einen erläuternden, sehr nüchternen Off-Kommentar, der Riefenstahls Widersprüche und Lügen jedoch nicht enttarnt, das sollen der Schnitt und die Nachlassdokumente selbst übernehmen – ein Vorhaben, das aber nicht immer aufgeht. Auf Riefenstahls Aussage, im Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ gehe es nur um Frieden und Arbeit, folgt beispielsweise eine Szene aus dem Film, in dem Reichsminister Rudolf Heß über das Volk spricht, das sein Erbgut rein halten muss – ohne weiteren Kontext.
Der Nachlass
Riefenstahls Nachlass sollte nach dem Tod ihres Lebensgefährten Ende 2016 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergehen. Die TV-Journalistin und Produzentin Sandra Maischberger vereinbarte mit der Stiftung: Ihre Produktionsfirma erfasst den Inhalt der 700 Kisten, dafür darf sie das Material für eine Dokumentation nutzen.
„Riefenstahl“ bietet keine große Enthüllung, wie man es vielleicht erwartet hätte, wenn erstmals Unmengen an Unterlagen ausgewertet werden können. Regisseur Andres Veiel und sein Team mussten die Dokumente kritisch überprüfen und haben Leerstellen entdeckt: So ist ein Interview aus dem Jahr 1934, in dem sie erzählte, „Mein Kampf“ gelesen zu haben, nicht in ihrem Nachlass enthalten. Sie berichtete darin, die Lektüre habe sie zur begeisterten Nationalsozialistin werden lassen. Riefenstahls Behauptung, unpolitisch gewesen zu sein, erweist sich so als Lüge. Obwohl die Regisseurin also auch in Sachen Nachlass die Deutung ihres Lebens kontrollierte, gibt es erstaunliche Funde: Sie telefonierte mit vielen Bürger*innen, die ihr nach einem Talkshowauftritt 1976 ihre Sympathie aussprachen. Ein Mann prophezeite ihr, in ein oder zwei Generationen würden die Deutschen zurück zur Moral finden. Riefenstahl stimmte zu, denn „das deutsche Volk hat ja die Anlage dafür“.
Was hat das mit heute zu tun?
Fast ein Drittel der Deutschen glaubt laut einer Studie, die eigenen Vorfahren hätten im Dritten Reich NS-Opfern geholfen – dabei waren es nach historischen Schätzungen nur 0,3 Prozent. Das ist Ausdruck von Verdrängung, wo ein historisches Bewusstsein nötig wäre. Gleichzeitig ist das Thema Propaganda auch heute relevant. „Alternative Fakten“ und Fake News prägen viele politische Debatten. Desinformation, beispielsweise aus Russland, versucht, Wahlen in der westlichen Welt zu beeinflussen. Und die Riefenstahl-Ästhetik lebt in autoritären Staaten etwa in Filmen von Militärparaden weiter. Da ist es nicht nur wichtig, auch subtile Propaganda als solche zu erkennen, sondern auch, ihre historischen Vorbilder und ihre Muster zu durchschauen. Auch wenn die Dokumentation selbst diese aktuellen Bezüge nicht direkt herstellt, kommen sie einem beim Schauen des Films doch in den Sinn.
Lohnt sich das?
Man sieht „Riefenstahl“ den immensen Aufwand an, den es gebraucht hat, um den Nachlass nicht nur zu erschließen, sondern ihn in einen Film zu gießen. Wer noch nie von der Filmemacherin gehört hat, wird es jedoch nicht leicht haben, alles zu verstehen und einzuordnen. Die Dokumentation ist ein anspruchsvoller weiterer Beleg für Riefenstahls Lügen. Doch der Film versucht weder durch seinen Zugang noch die Machart, eine jüngere Zielgruppe zu erreichen. Das ist schade, zumal es sogar das erklärte Ziel der Produzentin Sandra Maischberger war: einen Film sowohl für „Filmhistoriker, die jedes Detail über sie wissen“ zu machen als auch „für die Generation meines Sohnes, der siebzehn ist und der den Namen Leni Riefenstahl nie gehört hatte“. Aber das ist vielleicht einfach unmöglich.
„Riefenstahl“ läuft ab dem 31.10. im Kino.
Fotos: Majestic Filmverleih