fluter: Shogoon, du erwähnst in deinen Songs immer wieder Minden-Bärenkämpen. Wie würdest du den Stadtteil beschreiben?
Shogoon: Es ist eine typische Hochhaussiedlung, die sehr divers ist und in der es egal ist, wie du rumläufst. Natürlich geht es in Bärenkämpen härter zu, weil dort viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oder wenig Geld zusammengepfercht werden. In meiner Situation war Bärenkämpen aber ein Zuhause, ein Ort, an dem ich durchatmen konnte.
In welcher Situation warst du damals?
Als sich meine Eltern getrennt haben und meine Mutter ihren Job verloren hat, haben wir in einem kleinen Kaff in der Nähe von Minden gewohnt. Meine Mutter hat alles gegeben, aber unser Kühlschrank war trotzdem oft leer. Auf dem Gymnasium war ich der Einzige, der diese Probleme hatte. Manche Mitschüler haben sich über unsere Armut lustig gemacht. Ein Lehrer sagte, ich solle unter „meinesgleichen“ bleiben. Das war in Bärenkämpen anders. Dort musste ich mich nicht dafür schämen, wenn das Licht im Flur nicht ging, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlen konnten. Das hat mir eine unfassbare Ruhe gebracht.
„In Bärenkämpen musste ich mich nicht dafür schämen, wenn das Licht im Flur nicht ging, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlen konnten. Das hat mir eine unfassbare Ruhe gebracht“
Viele denken bei Hochhaussiedlungen an fehlende Perspektiven und Jugendliche, die nichts zu tun haben.
In einer Einfamilienhaussiedlung mit frisch gemähtem Rasen können die Tage auch sehr lang werden. Aber es ist halt eine andere Langeweile, wenn deine Mutter dich mal nicht zum Fußballtraining oder zum Klavierunterricht fahren kann. Wenn du selber dafür verantwortlich bist, morgens aufzustehen und zur Schule zu gehen, ist das ein anderes Leben. Das hat nichts mit Eltern zu tun, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, sondern mit zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Ich glaube, das kann man in den meisten Hochhaussiedlungen beobachten.
2Pac hat mal gesagt, dass die Gesellschaft „das Ghetto“ nur aussaugt. Tun Rapperinnen und Rapper das nicht auch, wenn sie über Viertel rappen, in denen sie selbst gar nicht mehr wohnen? Du lebst inzwischen in Berlin.
Ich habe kein schlechtes Gewissen, das Viertel war ja meine Lebensrealität. Solange auch die Kids aus Bärenkämpen zu meiner Show kommen, ist für mich alles gut. Aber je länger ich weg bin, desto genauer muss ich überlegen, ob ich noch Aussagen über die Siedlung treffen kann. Bei der ersten Version meines Tracks „Jogger“ haben mir Freunde aus Bärenkämpen gesagt, dass der so nicht klargeht.
Warum?
Ich habe über einen Mord gerappt, der dort vor ein paar Jahren passiert ist. Das ganze Viertel wurde damals verteufelt. Als wären dort alle automatisch scheiße und kriminell. Ich wollte das im Song noch mal aufgreifen und deutlich machen, dass solche Verbrechen überall passieren. Aber ein paar Leute von früher meinten, das wäre zu krass. Es geht ihnen viel zu nahe, viele sind immer noch mit der Trauer und Verarbeitung beschäftigt. Das habe ich natürlich respektiert und das Ganze umgeschrieben.
Wie ist es für dich, dass viele Gangsta- und Straßen-Rap hören, aber selbst nie Ausgrenzung, Armut oder Gewalt erlebt haben?
Wenn privilegierte Studis bei Konzerten von OG Keemo oder Haftbefehl in der ersten Reihe stehen und durch die Texte sensibilisiert werden, ist das für mich völlig fein. Im besten Fall hören sie es mit echtem Interesse und bekommen Eindrücke einer Welt, die sie sonst wahrscheinlich nie kennenlernen würden. Schwierig wird’s, wenn sie es von oben herab hören, ironisch, so nach dem Motto „Sind die alle dumm“. Da werde ich sauer.
In welchen Rapsongs findest du dich wieder?
Mit 13 hat mich Sidos „Mein Block“ richtig abgeholt. Der hat sich eben nicht hingestellt und gesagt: „Guck, wie geil ich bin.“ Der Song nimmt die Verhältnisse in den Blick und macht etwas Selbstermächtigendes daraus: Ja, ist kacke hier, aber wir machen das Beste daraus. Später ging es mir bei OG Keemo ähnlich. In „Töle“ reflektiert er das Verhältnis zu seinem ehemaligen Viertel auf einem extrem hohen Niveau.
„Ich kenne viele im Viertel, die immer der Illusion nachgerannt sind, dass es bald besser wird. Die sind heute abgeschmierter als alle anderen“
Im Rap geht’s oft um glorreiche Aufstiegsgeschichten. Bei dir hört sich das anders an: „Esse die Asia-Box auf der Treppe noch immer, als wär das ein Festmahl.“
Ich habe damals Drogen verkauft, um an Geld zu kommen. Abgefeiert habe ich das nie, manche meiner Freunde wussten das nicht mal. Mit so viel Zeug unterm Bett einzuschlafen ist das Härteste: Du liegst da und kannst nur daran denken, dass du in den Knast gehst, wenn du erwischt wirst. Warum soll ich mich mit so einem beschissenen Gefühl brüsten? Wenn du die Leute erreichen willst, die in prekären Verhältnissen unterwegs sind, bringt blindes Glorifizieren nichts. Sie sichtbar zu machen, ist viel wichtiger.
Kannst du es nicht nachvollziehen, wenn man zeigen möchte, was einem jetzt alles gehört: die teuren Sneaker, Uhren, der SUV?
Doch. Ich habe diesen Geltungsdrang auch, ich kaufe mir heute Sachen, die ich mir früher nie leisten konnte. „Geld macht nicht glücklich“, das sagen sowieso nur die, die genug haben. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass auch Leute die Musik hören, deren Situation sich nie ändern wird. Ich kenne so viele im Viertel, die immer der Illusion nachgelaufen sind, dass es irgendwann besser wird. Die sind heute durch Frust und Drogen abgeschmierter als alle anderen.
Dieser Text ist im fluter Nr. 93 „Rap“ erschienen
Wie sollte über Menschen aus Blocks gerappt werden?
Musik hat keinen Bildungsauftrag. Aber ich finde es wichtig, deutlich zu machen, dass es durch Chancenungleichheit viele Menschen gibt, bei denen es scheiße bleibt. Sozialer Aufstieg ist kein Klassenverrat, aber wenn du Mucke für die Menschen aus den Blocks machst, musst du dein Ego rausnehmen, wenn du selbst nicht mehr in der Gegend wohnst. Ich kann dann nur noch mitgeben, dass ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe und wie ich damit umgegangen bin. Deshalb rappe ich zum Beispiel darüber, wie es ist, Nudeln mit nichts zu essen. Und dass sie mit Brühwürfeln aufgekocht immerhin halbwegs schmecken. Solche Geschichten würde ich mir schon mehr im Rap wünschen. Und das sage ich nicht als jemand, der es geschafft hat.
Weil wir das Interview sonst in einem schicken Privatclub über den Dächern Berlins führen würden und nicht digital in unseren Zimmern?
(lacht) Ich kann meine Miete zahlen und habe einen Steuerberater. Aber der sagt mir schon: Bruder, überleg mal, ob du dir nicht einen zweiten Job suchst.
Titelbild links: Patrick Pollmeier, rechts: David Reinecke