Thema – Terror

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Die größte rechtsradikale Organisation Deutschlands

… kommt aus der Türkei. Werden die „Grauen Wölfe“ bald verboten? Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Kemal Bozay

Ein Teilnehmer einer Demonstration küsst ein  Symbol der "Grauen Wölfe"

fluter.de: Herr Bozay, Sie nennen die Grauen Wölfe eine faschistoide, ultranationalistische Bewegung. Ultranationalismus, über 2.000 Kilometer entfernt vom Mutterland: Wie gehen die Anhänger in Deutschland denn mit diesem Widerspruch um?

Kemal Bozay: Der frühere Anführer der Grauen Wölfe, Alparslan Türkeş, gab 1995 die Antwort auf diesen vermeintlichen Widerspruch: die Mobilisierung des europäischen Türkentums. Demnach haben Türken ihre nationalistischen Interessen und Wurzeln zu vertreten, auch wenn sie über Europa verstreut leben – zumindest wenn es nach Türkeş und den Grauen Wölfen geht.

Was soll das Türkentum sein?

Türkische Rechtsextreme definieren es als eine Kette verschiedener türkischer Stämme, die sich unter anderem auch in Zentralasien oder Russland niedergelassen haben. Sie alle sollen im großtürkischen Reich „Turan“ wiedervereint werden, das sich von der Chinesischen Mauer bis nach Zentralanatolien erstreckt. Diese Ideologie nennt sich Turanismus.

„Es ist wichtig zu zeigen, dass der Rechtsextremismus in migrantischen Gemeinschaften genauso existiert“

Dabei leben in diesem Gebiet ja lange nicht nur türkische Menschen.

Daher die Abwertung aller, die sich nicht dem Türkentum verpflichtet sehen. In erster Linie richtet sich dieser Rassismus gegen die in der Türkei lebenden Minderheiten: Kurden, Aleviten, Juden und ganz besonders Armenier.

Folgt der Abwertung auch eine Erhöhung des „eigenen Volkes“?

Definitiv. Die Erhöhung der türkischen Rasse und der türkischen Nation ist ein Kernelement in der Ideologie der Grauen Wölfe.

Demonstranten fordern am 01.03.1980 in Remscheid ein Verbot der "Graue Wölfe" und der NPD (Foto: picture alliance / Klaus Rose )
Fort, sofort: Schon 1980 wurde für ein Verbot der Grauen Wölfe demonstriert (Foto: picture alliance / Klaus Rose )

Ein Anführer, ein imaginiertes Großreich, die Erhöhung der eigenen gegenüber der Abwertung anderer „Rassen“ – klingt allzu bekannt. Aus heutiger Sicht scheint es bizarr, aber in den 70er-Jahren gab es sogar Kontakt zur NPD.

Alparslan Türkeş war mehrmals in Deutschland und hat auf der Suche nach Verbündeten mit verschiedenen extremistischen Netzwerken gesprochen, darunter die NPD und auch die damalige FAP (Anm. der Redaktion: Die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei galt damals als größte militant-neonazistische Organisation Deutschlands. Sie wurde 1995 verboten). Aber heute sind Türken und Muslime ja zentrale Feindbilder für deutsche Rechtsextreme, deswegen gibt es trotz ideologischer Nähe keine Basis mehr für eine Beziehung.

Die Grauen Wölfe werden heute als größte rechtsradikale Organisation Deutschlands eingeschätzt. Die rund 18.000 Mitglieder sind aber in Vereinen organisiert …

Offiziell nennen sie sich deutsch-türkische Kulturvereine, im Türkischen werden sie Ülkücü genannt. Ab 1977 war es türkischen Parteien untersagt, im Ausland Zweigstellen zu gründen. Deshalb musste sich die von Alparslan Türkeş gegründete Partei MHP hier in Ülkücü-Vereinen organisieren. 1978 wurde mit der ADÜTDF der erste Dachverband gegründet, der die lokalen Vereine vernetzt. In den 80er-Jahren spaltete sich die ATIB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) ab, die sich mehr als islamischer Flügel versteht. Ihre Mitglieder identifizieren sich jedoch ebenso mit der Tradition des Grauen Wolfs.

Wie sehen diese Vereine aus?

Sie sind Treffpunkte, in denen es um gemeinsames Beten, Kultur- und Sportveranstaltungen oder Hilfsangebote für die Gemeinschaften geht – aber auch um Bildungsarbeit und Kampagnen, die antidemokratische Einstellungen vermitteln. Sie werden in allen diesen Lokalen Porträts des Führers Alparslan Türkeş finden. Der übrigens ein Verehrer Hitlers war.

Was genau ist antidemokratisch an den Grauen Wölfen?

Genau dieses Prinzip eines großen Führers an der Spitze. Und eine enorme Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und politischen Gegnern, die sich auch in offener Gewalt äußert. Die MHP hat schon in den 60er-Jahren mehrere türkische Journalisten und Intellektuelle ermorden lassen. Später richteten die Grauen Wölfe Massaker in Maraş, Çorum und Sivas an: Pogrome, die sich vornehmlich gegen Aleviten sowie linke Gewerkschafter, Journalisten, Politiker und Wissenschaftler richteten.

Auch in Deutschland gab es Mordopfer. 1980 wurde in Berlin der Kommunist Celalettin Kesim erstochen. Wie gewaltbereit sind die Grauen Wölfe heute?

Die Gewalt hat nie aufgehört. 1995 wurde der junge Kurde Seyfettin Kalan ermordet. Ende der 90er Erol Ispir …

„Die antidemokratische Gefahr, die von den Grauen Wölfen ausgeht, ist deutlich zu erkennen“

Moment, die wurden alle in Deutschland ermordet?

In Neumünster. In Köln. Celalettin Kesim in Berlin. Die Gewalt der Wölfe hat ja nicht einfach an der deutschen Grenze haltgemacht. Momentan ist die MHP als Koalitionspartnerin der AKP in Deutschland sichtbarer geworden. Als der Bundestag 2016 die Armenien-Resolution veröffentlichte – also anerkannte, dass die durch das Osmanische Reich begangenen Massaker an den Armeniern ein Völkermord waren –, starteten MHP-nahe Netzwerke eine Hetzkampagne gegen deutsche Politiker, und türkischstämmige Politiker erhielten Morddrohungen. Die antidemokratische Gefahr, die von dieser Bewegung ausgeht, ist deutlich zu erkennen.

Jetzt wird ein Verbot der Grauen Wölfe geprüft. Wäre das wirksam?

Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, insbesondere symbolisch. Es ist wichtig zu zeigen, dass der Rechtsextremismus in der postmigrantischen Gesellschaft nicht nur ein deutsches Phänomen ist, sondern in migrantischen Gemeinschaften genauso existiert. Wenn rechtsextreme Gesinnungen verboten werden, muss das für deutschen Rechtsextremismus ebenso gelten wie für serbischen, kroatischen oder eben türkischen.

Dr. Kemal Bozay ist Professor für Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften an der IUBH Internationale Hochschule in Köln. Bozay arbeitet seit Jahren zum türkischen Rechtsextremismus und anderen postmigrantischen Formen von „Ungleichwertigkeitsideologien“. (Foto: privat)

Titelbild: picture alliance / dpa

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