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So ist es, Bedienung auf dem Oktoberfest zu sein

Mirjam, 27, hat gerade zum siebten Mal auf dem Oktoberfest gearbeitet. Hier erzählt sie, was sie mit kotzenden Gästen macht und wie viel sie an einem Bier verdient

Collage, in deren Zentrum eine Kellnerin steht, die mehr als fünfzehn Bierkrüge auf einmal trägt

Ich arbeite dieses Jahr zum siebten Mal als Bedienung auf der Wiesn. Zu Hause im Chiemgau habe ich schon als Teenager auf Volksfesten gekellnert. Dort bin ich von einer Bedienung gefragt worden, ob ich Lust hätte, mit ihr auf dem Oktoberfest zu arbeiten. Hauptberuflich bin ich Arzthelferin, aber Kellnern macht mir Spaß – und bringt einen Zuverdienst.

Wie es für neue Bedienungen üblich ist, war ich anfangs nur im Biergarten tätig, also draußen vor den großen Festzelten. Mittlerweile arbeite ich im Zelt einer großen Brauerei. Unser Team besteht dieses Jahr aus drei Frauen und zwei Männern, die 15 Tische bedienen. Mir ist aufgefallen, dass der Frauen-Männer-Anteil in den meisten Zelten gerade recht ausgeglichen ist. Wegen des Personalmangels in der Gastro haben jetzt auch Zelte, die bisher nur Frauen angestellt hatten, Männer angeheuert.

„Ein bisschen flirten gehört für mich zum Beruf und stört mich nicht. Einer meiner männlichen Kollegen wird gefühlt häufiger angemacht“

Während der Wiesn arbeite ich 17 Tage durch. Deshalb muss ich davor und danach drei Tage freinehmen. So will es das Arbeitsschutzgesetz. Unsere Frühschicht beginnt unter der Woche um neun Uhr und am Wochenende um acht Uhr. Wir wischen die Tische ab, richten sie aus, stellen Besteck und Speisekarten bereit. Eine Stunde später ist Einlass, die ersten Gäste kommen und bestellen. Die Spätschicht bleibt bis 23 Uhr, wenn die Zelte zumachen. Eine Schicht dauert um die zehn Stunden.

Meine Mittagspause verbringe ich oft im Biergarten eines kleinen Zeltes. Der Garten ist zwar für alle zugänglich, aber ein Hotspot unter uns Kollegen. Hier sitzen dann 20 bis 50 Bedienungen, trinken Weißbier und lästern über die Gäste. Gestern hat eine erzählt, dass bei einer Betriebsreservierung ein Angestellter in die Schuhe der Chefin gekotzt hat, die unter dem Tisch standen.

Auch bei uns im Zelt passiert es, dass jemand über den Durst trinkt. Kotzt ein Gast, hole ich die Security, die verweisen die Person des Zeltes. Eigentlich ist es die Aufgabe der Hausmeister, das wegzuwischen. Erreichen wir sie nicht und putzen selbst, verlangen wir 30 Euro vom Gast.

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Bereits im Vorfeld musste ich einiges organisieren. Eine Unterkunft habe ich über den Wiesn-Wohnungsmarkt auf Facebook gefunden. Ich teile mir nun ein Zimmer mit einer Freundin, die auch auf dem Oktoberfest arbeitet. Der Festwirt gibt vor, welche Tracht wir anziehen sollen. Deswegen musste ich mir für 140 Euro ein neues Dirndl kaufen.

Wir bekommen kein Geld vom Festzeltbetreiber, für den wir arbeiten, sondern nur durch verkaufte Maß. Jeder aus meinem Team hat 3.000 Euro seines privaten Geldes investiert, damit wir davon die ersten Bierchips kaufen konnten. Mit den Bierchips, die ein bisschen wie Pokerchips aussehen, bezahlen wir. Es gibt auch fortschrittlichere Zelte, in denen die Bedienungen einen Kellnerschlüssel haben, auf den sie Geld laden und digital bezahlen. Der Bierpreis ist zurzeit super für uns. Wir kaufen eine Maß Bier für 12,19 Euro ein und verkaufen sie für 13,40 Euro an den Gast weiter. Die meisten runden auf 15 Euro auf. Das Trinkgeld macht also den größeren Anteil unseres Verdiensts aus. An einem Bier verdiene ich etwa 2,80 Euro.

Mir ist wichtig, dass sich die Gäste wohlfühlen. Ein bisschen flirten gehört zum Beruf dazu und stört mich nicht. Sprüche wie „Oh, du bist so schön“ oder Küsschen rechts und links von fremden Besuchern erlebe ich häufig. Mich hat zum Glück noch nie jemand betatscht, aber ein paar Kolleginnen haben erzählt, dass ihnen an den Hintern gefasst wurde.

Einer meiner männlichen Kollegen wird gefühlt häufiger angemacht. Frauen fragen ihn oft nach seiner Handynummer oder ziehen ihn am Kragen zu sich, um ihm ungefragt ein Bussi zu geben. Besonders krass fand ich, als mir ein Gast einen Teller Rahmschwammerln aus der Hand geschlagen hat und diesen nicht bezahlen wollte. Ich bin hartnäckig geblieben, daraufhin meinte er: „Hier hast du einen Fuffi, und jetzt verpiss dich, du Schlampe.“

„Wir sind einem ständigen Temperaturwechsel ausgesetzt, die meisten von uns sind immer ein bisschen krank. Soweit ich weiß, testet sich niemand auf Corona“

In unserem Team sind wir zwischen 22 und 47 Jahre alt. Ich kenne auch Bedienungen, die 70 Jahre alt sind und den Job immer noch machen. Das ist beeindruckend, denn eine einzelne Maß hat ein Gewicht von 2,3 Kilo – ein Kilo Bier, 1,3 Kilo Krug. Und zehn Maß sollte eine Bedienung schon auf einmal tragen können. Ein paar meiner Kolleginnen tragen zur Sicherheit Bandagen an den Armen und Knien.

In den zwei Wochen nehme ich Grippostad als Dauermedikation ein, neben Zink, Vitamin D und Ingwer-Kurkuma-Shots – lauter Sachen, die das Immunsystem ein bisschen stärken oder auch nur den Anflug einer Erkältung unterdrücken. Auf dem Oktoberfest sind wir einem ständigen Temperaturwechsel ausgesetzt: Zwischen den Gästen im Zelt ist es sehr warm, bei der Schanke, durch die Bierkühlung, dagegen ziemlich kalt. Dadurch sind die meisten von uns immer ein bisschen krank. Soweit ich weiß, testet sich niemand auf Corona. Man ist krank, aber wir nennen das dann eben die „Wiesngrippe“.

Jeden Tag machen wir eine Abrechnung – teilen unseren Gewinn durch fünf. Aktuell verdiene ich am Tag um die 400 Euro. Beim letzten Oktoberfest habe ich insgesamt etwa 7.000 Euro brutto verdient.

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Titelbild: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.